Das Erbe der Pina Bausch

Ein Film von Anne Linsel jetzt bei arte

von Johannes Vesper

© arte

Das Erbe der Pina Bausch
ein Film von Anne Linsel jetzt bei arte
 
Von Johannes Vesper
 
Pina Bausch starb 2009, lebt aber in ihren Produktionen weiter. So war vor einem Jahr nach 43 Jahren Pause im Wuppertaler Opernhaus erneut ihr Tanzstück „Blaubart“ im voll besetzten Barmer Opernhaus wieder zu sehen Nach wie vor zieht das weltbekannte Tanztheater Pina Bausch begeistertes Publikum international an. Im Juni 2020 zeigte das „Rex“-Theater in Elberfeld erstmalig den jetzt im Fernsehen gesendeten Film Anne Linsels „Das Erbe der Pina Bausch“. Die Journalistin Anne Linsel (Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, ZDF) hat mit vielen Reportagen, Filmen und Berichten das kulturelle Leben Deutschlands gespiegelt. Sie verfolgte das Werk Pina Bauschs und kannte die Choreographin über Jahrzehnte, schon von Beginn ihrer Arbeit im Wuppertaler Theater 1973 an, was auch durch vorangegangene Filme „Pina“ (2006), „Tanzträume“ - Jugendliche tanzen KONTAKTHOF von Pina Bausch“ (2010) eindrucksvoll belegt wurde. Ihre Filme wurden in ganz Europa bis hin nach Istanbul gezeigt. Nun sind die Stücke der Pina Bausch, teilweise entstanden schon vor Jahrzehnten, wie ihre Darsteller und Darstellerinnen in die Jahre gekommen, obwohl natürlich die Themen - Liebe und Sex, Enttäuschung, Hoffnung, Aggression, Trauer, Zärtlichkeit - bleiben und jede Generation ihre eigenen neuen Antworten dazu finden muß. In den aktuellen Aufführungen trifft man auf ein jugendliches Publikum, welches zu Lebzeiten Pinas kaum das Licht der Welt erblickt hatte. In ihrem Film geht Anne Linsel Fragen nach, wie das choreographische Werk lebendig bleiben und die Compagnie ihre Ausstrahlung behalten könnte. Eine museale Konservierung alleine wäre sicher nicht im Sinne Pinas und würde auch für das Publikum auf Dauer nicht interessant bleiben können. Anhand der Wiederaufnahme von „1980", „Arien" und „Palermo-Palermo" analysiert Linsel im Film Ideen und Situation, auch die Motivation der neuen Tänzerinnen und Tänzer, die Pina selbst nicht mehr erlebt haben. Von ehemaligen Compagniemitgliedern bekommen sie Pinas Geist vermittelt, kennt inzwischen doch mehr als die Hälfte der Compagnie Pina nicht mehr. Und Adolphe Binder, die sich 2017 bei ihrem Antritt über ihr Glück sprach, das „wichtigste Tanzensemble der Welt“ zu führen, ist bereits nach einer Spielzeit schon wieder weg. Man mußte befürchten, daß mit diesen Querelen das Erbe von Pina Bausch verschwindet. Bettina Wagner-Bergelt konnte aber für die künstlerische Leitung gewonnen werden, die sie mit Sensibilität und Tatkraft ausfüllt. Was aber soll mit dem Erbe - 46 Stücke, Notizbücher Pinas zu allen Produktionen, Regiebücher, 200.000 Fotos, 9.000 Videos – passieren? Insgesamt haben unter Pina und nach ihren Vorstellungen im gesamten Zeitraum 180 Tänzer und Tänzerinnen die verschiedensten Bühnen auf der ganzen Welt betanzt. Die sofort nach dem Tod Pinas am 3.8.2009 gegründete Pina-Bausch-Stiftung übernahm den gesamten Nachlaß, katalogisiert, ordnet und bearbeitet ihn. Bei den Darstellern, die Pina noch selbst erlebt haben, ist ihr Vorgehen, ihre Methode noch lebendig und kann weitergepflegt werden. Es bedurfte der Sensibilität Pinas aus vom Ensemble gelieferten Antworten auf ihre Fragen auszuwählen, um das Richtige für das neue Stück zu finden und zu strukturieren. Wie das Ensemble die nahezu psychoanalytischen Fragen empfunden hat, wird in dem Film mit Hilfe von Interviews und Szenenbeispielen eindrucksvoll gezeigt.
 

Pina Bausch und Rolf Borzik - Foto © Jan Minarik

Was hat das neue Stück „Bon Voyage, Bob“ von Alan Lucien Øyen, welches in Zusammenarbeit mit dem Théâtre de la Ville-Paris, dem Chaillot-Théâtre national de la Danse (Paris), Sadler’s Wells, London und dem Norwegian National Ballet Oslo entstand und am 3.Juni 2018 im Barmer Opernhaus seine Uraufführung erlebte, mit Pina Bausch zu tun? Die Methode des Fragens wendeten Ensemble und Regisseur dabei auch an und spürten eine große Kreativität dabei. Er nannte Wuppertal eine „Stadt der Geister“, war vom inzwischen legendären alten Probensaal im alten Lichtburgkino fasziniert und schuf aus der Kombination von Compagnie, Tanz, Film, viel Sprache und Text sein neues Stück, in welchem natürlich stilistisch viel an bekannte Produktionen erinnert. Die FAZ glaubte eine Tendenz weg vom Tanztheater zum Schauspiel feststellen zu müssen. Linsels Film zeigt junge Tänzerinnen, wie sie von den „alten“ in ihre Rolle eingewiesen werden (anrührend Stefanie Troyak und Barbara Kaufmann). Kenner des Tanztheaters werden die Interviews u.a. mit Lutz Förster, Julie Shanahan, Mechthild Großmann, Helena Pikon und auch mit Salomon Bausch zur Stiftung zu schätzen wissen, werden sich freuen an den Probearbeiten und Episoden aus verschiedenen Stücken und an der Erläuterung des Arbeitsweise der Choreographin. Der Film zeigt kenntnisreich und spannend das Tanztheater nach dem Tod von Pina Bausch und wird Fans begeistern. Und die Zukunft des Erbes?
 
In Zusammenarbeit mit der Bausch-Stiftung weitete das Tanztheater seine Aktivitäten nach Nordafrika aus. In Zusammenarbeit mit der Ecol de Sable wurde mit afrikanischen Tänzerinnen im Senegal u.a.. mit dem „Sacre“ „das kreative Umfeld miteinander geteilt und Gemeinsamkeiten erkundet“. Neben der Pflege des Repertoires oder auch einzelnen Neuproduktionen mit jungen Gastchoreographen will das das Tanztheater Pina Bausch auch im Hinblick auf das im alten Schauspielhaus entstehenden Tanzzentrum Pina Bausch die nahe Zukunft bewältigen. Ruth Amarante und Dominique Mercy diskutieren zuletzt darüber, können aber für die fernere Zukunft (noch) kein ein endgültiges Konzept präsentieren Auf der Fassade des wunderbaren Schauspielhauses, einem der schönsten Theaterneubauten in Deutschland nach dem Krieg, steht aber schon die Agenda: „Pina-Bausch-Zentrum under Construction. Wir bauen zusammen ein Haus.“
 
„Das Erbe der Pina Bausch“
52 Minuten
Regie: Anne Linsel, Deutschland 2019, gesendet auf arte am 10/01/2021, verfügbar auf der Arte Mediathek bis 08/02/2021.
Drehbuch: Anne Linsel, Jörg Adolph – Produktion: Gerd Haag, Kerstin Krieg - Kamera: Klaus Sturm, Daniel Schönauer - Schnitt: Volker Gehrke - Ton: Simone Hartmann, Lenin de los Reyes, Manuel Ernst, Mario Lederer - Produktionsleitung: Cornelia Kellers - Redaktion: Kathrin Brinkmann, ZDF
Darsteller: Ruth Amarante, Salomon Bausch, Emanuelle Demarcy-Mota, Ismail Dia, Jo Ann Endicott, Lutz Förster, Stefanie Troyak, Mechthild Großmann, Barbara Kaufmann, Daphnes Kookkinos, Dominique Mercy, Alan Lucien Oyen, Peter Pabst, Héléna Pikon, Julie Shanahan, Bettina Wagner-Bergelt, Johanna Wokalek, Benedicte Billiet