Manche Gegenstände sind humorlos

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Manche Gegenstände sind humorlos
 
Es gibt Gegenstände, die man mag und andere die man nicht mag. Meine Glaszitronenpresse liebe ich, aber meine Zahnbürste lehne ich ab. Wer mag schon Zahnbürsten? Zahnbürsten sind langweilig, und man muß sie nach drei Monaten auswechseln, wie soll da eine Bindung entstehen? Meine Tochter brachte mal Zahnbürsten mit nach Hause, mit denen ich mich ungern in einem Raum aufhielt. Nichts gegen „Dr. Best“, er mag in der Zahnreinigung gewisse Verdienste haben, aber wie kann man eine Zahnbürste „HOCH-TIEF“ nennen? Mit dieser Beschreibung soll die Stellung der Borsten und die Zahnputzmethode gewürdigt werden. Ich meine, wer „HOCH-TIEF“ benutzt, neigt nicht zum fremdschämen, auch wenn Dr. Best die Wirksamkeit seiner Zahnbürsten an Bio-Tomaten ausprobiert hat. Den Einsatz von Gegenständen kann ich normalerweise tolerieren, aber finden Sie nicht auch, daß Q-Tips ein wenig unheimlich sind? Kann mir jemand verraten, warum ausgerechnet 206 Wattestäbchen in einer wiederverschließbaren Box lagern? Wollen die 206 Pflegestäbchen damit an die Anzahl der menschlichen Knochen erinnern? Ich weiß es nicht. Manche Gegenstände sind humorlos. Ich mag aber Kartoffelstampfer. So stelle ich mir meinen besten Freund vor. Okay, der Kartoffelstampfer gilt als humorlos und wird es auch in der Schule nicht weit gebracht haben, aber er hat sein Herz auf dem rechten Fleck und wer stampft nicht gerne? Interessant finde ich auch, daß Hunde die E-Scooter von TIER markieren, als empfänden sie sie als Eindringlinge in ihren Revieren. Die Firma heißt ja nur TIER, ist aber keins. Ich weiß noch, wie durchdacht Fleischerei Müller die Abstandsregelung im REWE durchgesetzt hat. Sie setzten dazu bekannte aber auch symbolträchtige Gegenstände ein: Im ersten Schritt bauten sie vor der Verkaufstheke eine Bierkistenmauer auf, damit die Kundschaft in ausreichender Entfernung nach einem Schnitzel rufen konnte. Man sah die Bierkisten und stellte sich dahinter. Bier verspricht Spaß und nimmt jeder Regelung den Anschein der staatlichen Einmischung. In der zweiten Phase ging Müller einen Schritt weiter. Fleischerei Müller stapelte plötzlich Grillkohlesäcke vor die Theke. Suchten Bierkisten noch die Nähe in der Entfernung steht die Grillkohle nun für reine Abgrenzung. Grillkohle, auch wenn sie nicht brennt, macht es uns leicht, Abstand zu wahren. Im dritten Schritt verzichtete Müller ganz auf diese Eselsbrücken und trotzdem wahrten die Kunden den Abstand, ohne durch entsprechende Gegenstände daran erinnert zu werden. Gegenstände können uns verzaubern und manchmal kann man ihnen auch Geschichten entlocken, wenn man reinen Herzens ist: Das wahre Wunder ist nicht, in der Luft zu schweben oder über das Wasser zu gehen. Das wahre Wunder besteht darin, auf dieser Erde zu leben.
 
 
 
© 2021 Erwin Grosche