Der Richard Rogler Report

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Der Richard Rogler Report
 
Eigentlich haben alle Kabarettisten eine eigene Garderobe, außer man ist so berühmt wie ich. Irgendeinen Maßstab muß man ja anlegen, um jemandem die Stargarderobe des Stadttheaters zu geben. Die Stargarderobe hat eine Sitzecke und ein eigenes Bad mit Dusche und Toilette. Wenn man nur so berühmt ist wie ich, dann benutzt man zum schminken die Toilette am Ende des Ganges, und wundert sich nicht, daß sich auch der Free-Jazz-Trompeter von der Showband dort einspielen muß. Ich weiß, daß Konstantin Wecker immer die Stargarderobe zugewiesen bekommt, und diese deutlich mit seinem Namenszug blockiert wird, damit nicht jemand wie ich sich dort breit macht und von dem Obst, Bio-Weintrauben und Demeter-Bananen nascht, die nur wirklich für berühmte Künstler auf dem Glastisch vor der Ledercouchgarnitur aufgebaut werden.
       Wieso gerade die Künstler, die so viel berühmter sind als ich, auch noch dermaßen verwöhnt werden, ist mir schleierhaft. Müßte es nicht andersrum sein? Müßte nicht der arme Poet die Demeter-Bananen in seiner Sammelgarderobe vorfinden, und müßten diese Demeter-Bananen nicht von dem berühmten Kabarettkollegen gestiftet worden sein? Gerade politische Kabarettisten, die das Unrecht der Welt anprangern, sollten mal überlegen, ob das nicht ein Schritt in die richtige Richtung wäre. Laßt den Worten Taten folgen. Natürlich brauche ich keine eigene Garderobe. Ich bin es gewohnt, mich in Getränkekellern umzuziehen, mein zweiter Vorname ist „pflegeleicht“ und mein dritter „ich werde nur krank, wenn ich Urlaub mache“. So hat es sich der Konstantin Wecker erarbeitet, daß ihm eine eigene Garderobe zugewiesen wird, eine Garderobe an der man anklopft und von außen schon „Entschuldigung“ ruft, nur weil man dem da drinnen sagen will, daß nun der Einlaß im großen Haus beginnt. Ich habe es immer noch nicht zu einer eigenen Garderobe geschafft, aber darf inzwischen aussuchen, mit wem ich sie teilen will. Da muß ich nicht lange überlegen. Ich hänge sowieso immer am liebsten mit Tina Teubner und Ben Süverkrüp ab, weil Ben immer irgendetwas fallen läßt und Tina immer was sagt, was mich verzaubert. Wir drei teilten uns also in Aachen die Losergarderobe, wo jede dritte Birne über dem Schminkspiegel defekt war und die Stühle so aussahen, als hätten gestern noch die Toten Hosen drauf gesessen. Es war vor unserem Auftritt im Stadttheater Aachen.
       Wir machten gerade nichts, was man auch nicht mit allen Kollegen machen kann, viele reden dann über Fußball, als plötzlich Richard Rogler in unserer Garderobe auftauchte und sich direkt vor uns auf den Schminktisch setzte. Wir wußten in dem Augenblick nicht so richtig, was Richard Rogler in unserer Garderobe suchte. Es wird nicht das Obst gewesen sein. Das gab es bei uns nicht. Er mußte sich verlaufen haben oder es stand an seiner Stargarderobe kein Namensschild oder man hatte bei ihm anstatt Richard Rogler „Richard Roggler“ geschrieben und er hatte sich geweigert, diesen Fauxpas mitzutragen. Richard Rogler ist nicht Richard Roggler. Er hätte gut in eine Stargarderobe mit Thomas Freitag gepaßt, obwohl Thomas Freitag natürlich am liebsten mit Thomas Freitag seine Stargarderobe geteilt hätte. Thomas Freitag kann ja nicht nur Franz-Josef Strauß nachmachen, sondern hat auch etwas von dessen Hemdsärmeligkeit geerbt. Ist das die Rache von Strauß? Ist er in den Kabarettisten gefahren und quält ihn nun mit seinem polternden Überschwang? Auf jeden Fall saß plötzlich Richard Rogler in unserer Garderobe des Aachener Stadttheaters und sprach über die lästigen Empfindlichkeiten des Alters. Tina Teubner, Ben Süverkrüp und ich wurden bei Roglers Ausführungen zu verkleideten Erwachsenen,  die dem Meister an seinen Lippen hingen und nickten.  Er rührte unser Herz. Wir waren nicht würdig seine Schuhe zu binden oder seinen hellblauen Anzug zu tragen. Richard Rogler sprach also mit seiner knarrenden Stimme über seine cholerischen Wutausbrüche, die ihn nun manchmal überfallen würden, wenn er in irgendeiner Schulaula zu spielen hat und mitbekommt, daß der Hausmeister den Schlüssel von seiner Garderobe noch bei sich hat, der aber gerade unterwegs ist, um die Getränke der Zuschauer zu holen. „Dann flipp ich aus“, sagte Richard Rogler und schon jetzt, wo er das nur erzählte, daß er dann ausflippt, flippte er aus und bot einen Eindruck, auf was man sich dann gefaßt machen konnte, wenn er mal wirklich ausflippte. Tina Teubner, Ben Süverkrüp und ich hörten gebannt zu. Ben Süverkrüp suchte dabei etwas in der leeren Schminktischschublade und Tina Teubner nickte manchmal und seufzte mitfühlend. Ich schaute ungläubig auf das Q-Tips-Stäbchen, welches Richard Rogler bei seiner Beichte in den Ohren herumführte, als suchte er den Eingang zur Hölle. Machte er sich in unserer Gegenwart die Ohren sauber? Hatte er deshalb seine Garderobe verlassen um ein unschuldiges Trio zu finden, in dessen Gegenwart er seine riesigen Ohren reinigen konnte? Oh, wie elegant er dabei wirkte. Das hatte Stil. Ich wußte, bei den meisten Menschen funktioniert der Abtransport des Ohrenschmalzes von allein und dort wird genauso viel gebildet, wie der Körper braucht. Aber Richard Rogler wütete in seinen Riesenohren, als wäre dort der Hausmeister mit seinem Garderobenschlüssel verschwunden und er wollte ihn hervorzerren aus seinem Schutzbunker, um ihn zu zeigen was mit Menschen passiert, die ihn, Richard Rogler, „wagen sie nicht mich Richard Roggler zu nennen“, vor einer verschlossenen Garderobe stehen lassen. Ich war so erleichtert, wie gelassen man im Alter mit intimen Angewohnheiten umgehen konnte, selbst wenn andere zusahen und in leeren Schubladen nach einer Bibel suchten, denn wenn was man leeren Schubladen findet, ist es eine Bibel, in der man blättern konnte und immer einen Satz findet, der einem in der Situation hilft, in der man gerade verzweifelt. „Suchet und ihr werdet finden“. Richard Rogler reinigte sich ja nicht nur die Ohren, sondern studierte auch genüßlich die Watteenden, um zu sehen was seine großen Ohren vor ihm verborgen halten wollten. „Einem Rogler verschweigt man nichts.“  Das war ein bewegender Moment und ein anmutiges Bild. Während er noch sprach und über einen Auftritt in der VHS Hamm berichtete, wo er selbst noch mit Hand anlegen mußte, um die Stühle aufzustellen, „ich flippte aus“, schaute ich Tina Teubner an und freute mich, daß ihr dieses Roglersche Ohrensäubern auch so viel gab und wir beide es so reinigend empfanden, als würden wir in einem Schlammbad stecken und gerade eine Gesichtsmaske verpaßt bekommen.
       Es gibt viele Wege um der Wahrheit auf den Grund zu kommen, das Ohrenausschaben mit einem Q-Tip-Stäbchen gehört dazu. Wir waren glücklich, daß der große Kabarettist uns in diesem Moment dabei sein ließ. Ich hätte es auch als Ehre empfunden, wenn sich Richard Rogler in unserer Nähe seine Schuhe geputzt oder mit Zahnseide seine Zähne gesäubert hätte. Vielleicht war dieses Treffen auch kein Zufall gewesen. Vielleicht war es ein Erbe, das er weitergeben mußte. Vielleicht saßen einmal Dieter Hildebrandt oder Hanns Dieter Hüsch in Richard Roglers Garderobe und reinigten sich die Ohren und übertrugen ihm als Verpflichtung dieses Lebenszeichen, an unschuldige Kollegen, die noch an dem Sinn von Sammelgarderoben zweifelten, weiter geben zu müssen. „Seid wachsam. Hört zu. Hockt zusammen. Verschweigt nicht die Wahrheit. Reinigt euch gegenseitig die Ohren.“ Später kam noch Stephan Horn in die Garderobe. Er hatte dunkle Flecken im Gesicht und stützte sich auf einen Gehstock mit Perlmuttgriff. „Ich bin nicht ansteckend“, sagte er lachend und wollte uns im Stadttheater begrüßen. Wir umarmten Stephan Horn ganz vorsichtig und wußten, daß wir uns nicht wiedersehen werden. Richard Rogler hatte inzwischen seine Ohren gesäubert und sagte noch den großen Satz: „Ich höre nun alles und verstehe nichts.“
       Wir haben dann alle ein wenig geweint und wußten im Grunde nicht warum. 
 
 
© 2021 Erwin Grosche