Simsalabim!

Malte Herwig – „Der große Kalanag“

von Frank Becker

Kalanag
 
Das schillernde Leben des berühmtesten
Zauberkünstlers der Nachkriegszeit
 
Wenn Sie glauben, ich mache etwas, dann mach ich nichts;
aber wenn Sie glauben, ich mache nichts, dann –
habe ich schon gemacht.
Kalanag
 
Wer bewundert nicht die an tatsächliche Magie grenzende Fingerfertigkeit von Zauberkünstlern, die schönen Trugbilder von Illusionisten, die uns zu unserer Freude für magische Momente an der Wirklichkeit und an den Naturgesetzen zweifeln lassen? Wer könnte sich der Faszination eines gelungenen Karten-, Münz-, Ring- oder Tuchtricks, schwebenden oder gar zersägten Jungfrauen, des Verschwindens und Wiederauftauchens von Gegenständen, Tieren, Menschen oder ganzen Automobilen auf der Bühne eines Varietés entziehen? Und wer ließe sich nicht genußvoll von einem solchen Magier täuschen und verblüffen?
Kalanag, eigentlich Helmut Ewald Schreiber (1903-1963) war ein solch hinreißender Zauberkünstler, ein Illusionist auf der Bühne – und in seinem schillernden Leben. Der Journalist Malte Herwig hat in seinem brillanten, akribisch recherchierten Buch „Der große Kalanag“ die Biographie Helmut Schreibers, der Kalanag wurde und war, aufgezeichnet.
 
Wie so viele Künstler hat Helmut Schreiber, Sproß einer bürgerlichen schwäbischen Kaufmannsfamilie, seinen Traum, einmal ein großer, nein, der größte Zauberer zu werden, gegen den Willen von Vater und Pfarrer durchgesetzt. Er hat es geschafft, weil er, wie man jetzt weiß, dieses Ziel rücksichtslos, intrigant und machtbesessen verfolgt hat.
Als späterer Produzent der Tobis und der Bavaria Film, Herausgeber und allmächtiger Chefredakteur des Fachblattes „Magie“ und Präsident des Magischen Zirkels wußte er mit sicherem Instinkt, welche Strippen er bei Nazi-Größen wie Hitler, Göring und Goebbels und deren Hofschranzen ziehen mußte, um jüdische Konkurrenten und hochkarätige Gegner wie Marvelli aus dem Weg zu räumen. Er stellte seine Arbeit ohne wenn und aber in den Dienst der nationalsozialistischen Sache, produzierte „Robert und Bertram“, das einzige antisemitische Musical der Zeit und sorgte durchaus auch im eigenen Interesse für die Gleichschaltung der deutschen Zauberkünstler.
 
 
Plakatentwurf - Quelle nicht feststellbar

Malte Herwig belegt mit einem aufwendigen Quellenapparat das äußerst wendungsreiche Leben Kalanags, der sich wie ein menschliches Chamäleon durch die Wirren der Weimarer Zeit, das Dritte Reich und die junge Bundesrepublik bewegte, sich stets passend färbte und aller Kritik zum Trotz in der Tat der vermutlich beste Zauberkünstler seiner Zeit war. Im Dritten Reich hatte er auf dem Obersalzberg für Hitler gezaubert, in Carinhall für Göring und allerorts wo es sich anließ für maßgebliche Figuren der nationalsozialistischen Nomenklatura. Fotos im Mittelteil des Buches und im Nachsatz belegen zweifelsfrei die unmittelbare Nähe Schreibers zu Adolf Hitler, Eva Braun, Hitlers Hoffotograf Heinrich Hoffmann, Joseph Goebbels und Hermann Göring. Nach dem „Anschluß“ Österreichs bootete er den Präsidenten des dortigen Magischen Zirkels aus und riß dessen Amt ebenso wie den begehrten Hofzinser-Ring - vergleichbar mit dem begehrten Iffland-Ring der Schauspielerei - an sich.
 

Werbepostkarte ©  Deutsche Fordwerke Köln

Nach 1945 wurde er wie ein Phoenix aus der Asche der größte Showstar der jungen Bundesrepublik. Woher er das Geld für seine aufwendigen Revuen nahm bleibt unerforscht, wenn ihn auch einige nicht ganz ohne Grund mit dem verschwundenen Nazi-Gold in Verbindung bringen. Als Magier startete er, nach seiner Flucht aus der amerikanischen Zone, in der ihm Verhaftung drohte, in der britischen Zone eine Weltkarriere: Helmut Schreiber (der es nicht ablehnte, einen ihm fälschlich angedichteten Doktor-Titel vor seinem Namen zu sehen) alias Kalanag. Seine Zaubervorführungen waren aufwendig, brillant, exotisch, technisch perfekt und von atemberaubendem Tempo, und sie schlugen die Zuschauer in ausverkauften Sälen und an den Fernsehschirmen mit eigenem Orchester, Revuegirls und vor allem der schönen Gloria, die gleichberechtigt neben Kalanag auf den Plakaten genannt wurde, in ihren Bann. Größere Shows stellten erst viel später andere Deutsche auf die Beine: Siegfried und Roy und die Ehrlich-Brüder.
Beinahe wäre er sogar Programmdirektor des ersten deutschen Privatfernsehens unter Kanzler Adenauer geworden – wenn das Verfassungsgericht nicht Adenauers Plan gekippt hätte.
Doch sein größtes Kunststück war es, seine zwielichtige Vergangenheit in der NS-Diktatur, seine Parteizugehörigkeit ab 1939 und das damit verbundene stets mit Stolz getragene Parteiabzeichen - Simsalabim - verschwinden zu lassen. Auch jetzt schaffte er es wieder, Zeitzeugen mundtot zu machen oder sich durch Lügengeschichten reinzuwaschen. Das Wort „Persilschein“ bekommt im Zusammenhang noch einmal einen bersonderen Geschmack.
 
 
Gloria de Vos und die Kalanag-Girls - Foto © (Courtesy) Deutsches Tanzarchiv Köln

Kalanag brannte, wie man so sagt, jedoch seine Lebenskerze mit zahllosen Auftritten, Revuen, Tourneen und Weltreisen von beiden
 
   © (Courtesy) Deutsches Tanzarchiv Köln
Enden her ab. Man kann ihm bei aller Abneigung, die durch Herwigs Buch entsteht, nicht seinen illusionistisches Genie, seinen Fleiß und seine Arbeitsdisziplin nehmen. Nur drei Jahre, nachdem sich seine kongeniale Partnerin, die schöne Gloria de Vos (d.i.
Anneliese Voss, 1918-1985) aus nicht ganz erhellten Gründen von ihm getrennt hatte, erlosch nach dem soundsovielten Infarkt Kalanags Lebenslicht.
Malte Herwig bringt in seinem Buch mit großem Geschick ebenfalls zwei Kunststücke zustande. Zum einen schafft er es, den Leser Helmut Schreiber mal schätzen, denn wieder ihn ablehnen zu lassen, aber ihn auch immer wieder ob seiner grandiosen Kunststücke und der konsequenten Grundhaltung der Geheimnisbewahrung der Zauberei zu bewundern. Zum anderen gelingt es dem Autor, von Tricks wie Kalanags berühmter Wunder-Bar“, dem gläsernen Wasserkrug, aus dem Kalanag für sein Publikum jedes gewünschte Getränk einschenkte und von magischen Shows zu erzählen, ohne selbst auch nur einen Hauch von Verrat an den Grundfesten der Zauberei zu begehen. Es wird nichts erklärt oder auch nur angedeutet.
Ein ganz wunderbares, allerhöchst unterhaltsames und äußerst aufschlußreiches Buch, das unser Prädikat, den Musenkuß redlich verdient hat.
 
»Kalanag (…) zeigt, daß die Stunde Null die größte Illusion der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert ist.
Eine Stunde Null hat es nie gegeben. Es hat nichts neu und voraussetzungslos angefangen.
Die Menschen waren die alten. Die Idee, daß alles auf Null zurückgesetzt wird
und man von vorne anfangen kann – das ist (…) ein gigantischer Taschenspielertrick.«
Malte Herwig
 
Malte Herwig – „Der große Kalanag“
Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte
© 2021 Penguin Verlag /Random House, 472 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen, mit 16-seitigen Farbbildteil – ISBN: 978-3-328-60054-1
24,- €

Weitere Informationen: www.penguin.verlag.de
 
Wir danken dem Deutschen Tanzarchiv Köln für die Erlaubnis, die beiden Illustrationen zu Gloria de Vos zu verwenden. Rechte Dritter bleiben davon unberührt.
Fotos mit Repräsentanten des Dritten Reichs zeigen wir mit Vorbedacht nicht.