Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken

Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 18

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Ryszard Kopczynski

Michael Zeller

Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken
 
Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 18
 
Wenn die Masken fallen
 
wäre, sollte, könnte, hätte … Wer hätte denn geahnt, daß der Konjunktiv in der deutschen Sprache noch einmal eine so glanzvolle Auferstehung feiern  dürfte wie in diesen Tagen? Dabei war es doch schon so oft für tot erklärt worden, das Sprechen in der Möglichkeitsform. Und jetzt, auf einmal - auf allen Wegen und Kanälen, in Klang und Schrift: … hätte, sollte, könnte, wäre …
 
Was ist geschehen? In dem Moment, wo in diesem Land das Impfen hätte beginnen sollen, ist das große Zaudern ausgebrochen. Eine Hilflosigkeit greift um sich, die fassungslos macht. Hier, wo bisher so vieles für „alternativlos” erklärt worden war, wird plötzlich ein Wort ganz groß geschrieben: VIELLEICHT, und dieses dröhnende VIELLEICHT zieht einen Rattenschwanz von Fragezeichen hinter sich her. Statt „alternativlos” zügig und konzentriert zu impfen, ist behördlicherseits ein Tohuwabohu ausgebrochen ohnegleichen.
 
Die Welt um uns reibt sich die Augen. Wenn Deutschland je internationalen Respekt genoß, dann galt das seiner Fähigkeit zu organisieren – mit Präzision, Pünktlichkeit, Durchblick, einer gewissen Pingeligkeit und durchaus auch mit solchen Ladenhütern wie Pflichtbewußtsein und Verantwortlichkeit. Damit gelang es in diesem Land, umfangreiche und komplexe Prozesse in den Griff  zu bekommen und ins Laufen zu bringen und durchzuziehen, selten ohne diese nervige Sturheit, aber unentrinnbar effizient.
 
Woran mag es liegen, daß diese früher gerühmten deutschen Qualitäten vom Erdboden verschwunden zu sein scheinen? Wie kann es sein, daß die Behörden in diesem Land, vor einem zugegeben gigantischen Projekt,  dermaßen erbärmlich hilflos in die Knie gehen?
 
Kann es vielleicht sein, daß diese von außen als deutsch gerühmten Tugenden aus einer gewissen Ecke lang genug im Land selbst als „Sekundärtugenden” verhöhnt worden sind? (Gar so viele „Primärtugenden” werden den Deutschen vom Ausland ja nicht unbedingt gutgeschrieben …) Und bestimmt bleibt es nicht ohne Folgen, wenn hierzulande ohne jedes Gespür für gesamtgesellschaftliche Verantwortung das Gesundheitswesen und andere öffentliche Dienstleistungen heruntergewirtschaftet werden, auf Kosten der eigenen Bevölkerung, damit einige wenige „globale” Geldfresser sich ihre Wänste noch voller stopfen können
 
Dergleichen wurde uns allen in den letzten Jahren  als „alternativlos” – ja: verkauft. Und jetzt, in einer Menschheitskatastrophe historischen Ausmaßes, bekommen wir die Quittung dafür präsentiert: den Offenbarungseid der Politik. Lauter nackte Könige und -innen. Von Staatsversagen ist zu Recht die Rede. Nicht weniger.
 
Doch wenn noch irgendwo ein Fünkchen Hoffnung glimmt, dann sind es die Worte der Dichter, die dem von hochgradig überschätzten Staatsmännern und -frauen angerichteten Chaos immer wieder einen überraschenden Ausweg eröffnen.
 
 „Wenn der Mensch in der Rolle seiner eigenen Person auftritt, gleicht er sich am wenigsten”, stellte vor über hundert Jahren der Zuchthäusler Oscar Wilde fest.
 
„Gebt ihm eine Maske, und er wird euch die Wahrheit erzählen.”
Ist es am Ende eine erlaubte Utopie, daß uns alle das ständige Tragen der Mund-Nasen-Masken wieder ein bißchen empfänglicher für die Wahrheit machen wird: die Wahrheit der anderen – und nicht zuletzt unsere eigene?
 
Zeit wäre es. Wenn wir sie noch haben -   


© 2021 Michael Zeller für die Musenblätter