55 Tage in Peking

Gerhard Seyfried - "Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer"

von Robert Sernatini
Germans to the front!

Gerhard Seyfried, dessen Name mit der Hochblüte der deutschen Polit-Karikatur der 70er und 80er Jahre untrennbar verbunden ist ("Wo soll das alles enden?", "Freakadellen und Bulletten", "Invasion aus dem AllTag", "Flucht aus Berlin"), begab sich danach mit "Der schwarze Stern der Tupamaros" auf politisch- literarisches Terrain. Es folgte 2003 sein erfolgreicher historischer Afrika-Roman "Herero". Nun liegt bei Eichborn, rechtzeitig zur aktuellen China-Diskussion und den Olympischen Spielen in Peking sein jüngstes Werk vor: ein Roman über den Boxer-Aufstand im Jahr 1900, zu dem landläufig und beinahe schon volkstümlich zwei Zitate überliefert sind:
"Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!"
(Wilhelm II. in seiner legendären "Hunnenrede")
und
"The Germans to the front!"
(der britische Admiral Seymor)

Gerhard Seyfried macht mehr daraus, als nur die Kolportage solcher Zitate und bekannter historischer Vorgänge. Er hat nach genauem Studium unfangreicher historischer Quellen und allem erreichbarem Bildmaterial einen Roman geschrieben, der die Vorgänge um den Aufstand des nationalistisch fremdenfeindlichen Geheimbundes der "Boxer", einer Art Miliz gegen die sich in China immer dreister gebärdenden internationalen Vertretungen, durchaus auch der Deutschen, aus der Sicht der deutschen Beteiligten und Betroffenen schildert. Letzter Auslöser des offenen Konflikts wird nach bereits etlichen blutigen Scharmützeln die Ermordung des Deutschen Gesandten Freiherr Klemens von Ketteler am 20. Juni 1900, die zur Entsendung der internationalen Expeditions-Armee unter dem britischen Admiral Seymour führte. 55 Tage lang belagern die von der chinesischen Kaiserinwitwe Tzu-Hsi (gelb ist die dem Kaiser vorbehaltene Farbe) geduldeten Rebellen das diplomatische Viertel in Peking, bis die Entsatzarmee den Aufstand niederschlägt - ein ewiges Trauma der Chinesen.

Der auf diesen Tatsachen basierende, sachlich recherchierte und brillant erzählte Roman schlägt ein längst fälliges Kapitel der Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte auf. Seyfried verknüpft Lücken in den Fakten geschickt mit Fiktion und stellt mit der Figur der 27-jährigen Lehrerin Arletta Lind, die eine Erzieherinnen-Stelle bei der deutschen Familie Lenck in Tsingtau (Qingdao) annimmt, ein ziviles Schicksal neben die  militärischen und diplomatischen Handlungsfäden. Seyfried betont, daß er er sich bewußt gehütet hat, den Versuch zu unternehmen, auch die chinesische Sicht zu schildern - zu weit sind Europäer vom Verständnis chinesischen Denkens entfernt. "Spannend, farbig, faktenreich: das erste große historische Epos über Deutschlands koloniale Vergangenheit und den Boxeraufstand in China", schreibt der Verlag im Klappentext. Stimmt - und ist zudem allerfeinste Literatur, neben der Ernsthaftigkeit ihrer Anlage mit hohem Unterhaltungswert. Eines der gelungensten deutschen Bücher der Saison. Der Sommerschmöker!
 
Beispielbild

Gerhard Seyfried
Gelber Wind  oder
Der Aufstand der Boxer

Roman

© 2008 Eichborn Berlin

641 S. und vier Karten, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen
29,95 €

Weitere Informationen unter:
www.eichborn.de

Ein Filmtip dazu:

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Bei verschiedenen DVD-Anbietern zu bekommen.