Lob des Schaukelns

von Erwin Grosche

Foto © Pia Raap

Lob des Schaukelns
 
Es ist die Schaukel, die auf uns wartet. Ein Hängesitz, der zwischen zwei Pfosten hängt und im unbenutzten Zustand ein eher einsames Bild abgibt. Das Schwungholen erfolgt durch Streck- und Beugebewegungen mit den Armen und Beinen. Man kann auch einfach nur die Beine heben oder senken und schon beginnt, wie von selbst, eine einzigartige Reise. Schaukeln macht glücklich. Erst kürzlich fiel mir auf, daß auf manchen Spielplätzen keine Schaukeln zu finden sind. Am Lippesee kann man auf dem neu entstandenen Spielplatz immerhin eine Nestschaukel nutzen, aber wenn das In-den Schlaf-wiegen vorbei ist, will man sich durch eigene Kraft in Schwung bringen. So bekommt man sein Leben in den Griff. „Ein Leben ohne Schaukel ist ein Mißverständnis“, faßte der Künstler Hugo Kükelhaus, der bis zu seinem Tod in Soest lebte, die Bedeutung dieses Spielgeräts zusammen. Es ist verwunderlich, daß manche Spielplätze mit so wenig Feingefühl gestaltet werden. Oft fehlt sogar eine Wippe. Alles was einen nachhaltig verändern kann, wird vermieden. Vielleicht wäre auch die Rutsche verschwunden, wenn man wüßte, daß sie unsere Widerstandskraft stärkt. Es gibt kaum einfachere Methoden seine Sinne zu schärfen, als durch schaukeln, wippen oder rutschen. Ist es nicht ein gutes Gefühl angeschubst zu werden? Manchmal braucht man doch nur einen kleinen Anschub und weiß, wie alles weiter gehen kann. Es ist auch ungemein poetisch, jemanden anzuschubsen und selbst im Hintergrund zu stehen. Das beschreibt das ideale Verhältnis von Eltern und Kind. Hans Jürgen von der Wense, Universaldilettant, der auf seinen Wanderungen auch Paderborn schätzen lernte: „Was anderen Rom oder Paris, das ist mir Paderborn“ schrieb er in einem klugen Aufsatz über „Die Schaukel“ (blauwerke-Verlag, Berlin) und setzte sie in seiner Sammlung poetischer Gegenstände, an die erste Stelle, „denn nur durch Rückfälle kommt man vorwärts.“ In Elsen rufen die Kinder, wenn sie die Schaukel anstoßen: „Unsere Schaukel kennt den Weg ins Licht, aber auch im Schatten sind wir zu Hause.“ Das Schaukeln heilt. So setzen in Dörenhagen Hirten Hunde auf die Schaukel, daß sie nicht toll werden. Eugen Drewermann beschloß auf einer Schaukel, sich von der Amtskirche loszusagen, Verani Kartum von der Volt-Partei, fällt immer erst wichtige Entscheidungen, wenn er eine halbe Stunde geschaukelt hat, und auch Katharina Kreuzhage vom Neuen Theater will die Spannungen im Ensemble durch gemeinsames Schaukeln lösen. Zum Einsatz soll die Partnerschaukel - zwei Schaukeln, die sich gegenüberstehen und miteinander verbunden sind - von Hugo Kükelhaus kommen. Zu zweit entsteht die Freude, daß der eine schaukelt und der andere - ohne etwas dazu zu tun - ihm entgegenschwingt. Wir werden auch nicht traurig, wenn wir an unser Alter denken, denn: „Als die Menschen nervös wurden, erfanden sie den Schaukelstuhl“ (v.d. Wense). Wir werden das Kind schon schaukeln.
 
© 2021 Erwin Grosche