Das Grauen der NS-Konzentrationslager in einer bedrückenden Graphic Novel

Boris Golzio - „Die Geschichte von Francine R.“

von Andreas Rehnolt

Graphic-Novel über Widerstand
und Deportation unter dem NS-Regime

„Die Geschichte von Francine R.“

18 Jahre nach dem Tod der Französin Francine R. im Jahr 2003 ist im Berliner Avant-Verlag eine Graphic-Novel erschienen, die auf 132 Seiten in bedrückenden Zeichnungen und knappen Texten vom Engagement der jungen Frau in der Résistance gegen die deutschen Besatzer
1944 in der Region le Roannais erzählt, von ihrer Deportation durch die Nationalsozialisten, dem Grauen in verschiedenen deutschen Arbeits- und Konzentrationslagern und schließlich von ihrer Befreiung aus dem KZ Ravensbrück im April 1945 und ihrer Rückkehr in die Heimat.
Geschrieben und gezeichnet hat das Buchl Boris Golzio nach langen und intensiven Gesprächen mit Francine R., mit der er entfernt verwandt war.

Francine und ihre Schwester Marie-Louise waren Verbindungsleute, die die Mitglieder der Widerstandsbewegung unter anderem über Kollaborateure und Aktionen der Deutschen zu bevorstehenden Hausdurchsuchungen und Verhaftungen informierten. Eines Tages fuhren LKWs vor und die Deutschen verhafteten die beiden jungen Frauen. Zunächst kamen sie in französische Gefängnisse oder Kasernen, wo sie von der Gestapo verhört, geschlagen und gefoltert wurden. Die Graphic-Novel informiert neben den Erinnerungen von Francine auch über die einzelnen Aufenthaltsorte, die Art der Unterbringung und die Behandlung der Verhafteten. Schließlich kommen die beiden Schwestern als Gefangene auch nach Paris.
In Viehwaggons gepfercht geht es mit Hunderten anderer gefangener Frauen vom Gare de l'Est schließlich ins KZ Ravensbrück. Auf dem Bahnsteig dort Schäferhunde, Gewehre und Gewalt. Hier werden sie eingeteilt in die Kategorien Politische Häftlinge wie Francine und Marie-Louise, Kriminelle, Juden, Zeugen Jehovas, Zigeuner und vermeintlich „Asoziale“. Ihre Sträflingsjacken trugen die entsprechende Markierung. Francine mußte tote Mithäftlinge entkleiden, die Leichen auch zu den Verbrennungsöfen bringen. Es gab ohne Grund Schläge von den meist weiblichen Aufseherinnen oder dem Wachpersonal. In Ravensbrück trennen die Deutschen schließlich die beiden Schwestern.


Francine stand bereits in der Reihe der Frauen, die zur Vergasung ausgesucht worden waren. Und wurde doch ihrer Jugend wegen wieder herausgewinkt. Jetzt war sie über viele Wochen wie viele andere Frauen und Mädchen „Versuchskaninchen“ für medizinische Versuche im KZ. Unter anderem gab es „Spritzen in den Rücken, in die Schulter, wir haben nie erfahren, was sie uns spritzten. Ich bin davon unfruchtbar geworden“, sagt Francine. Dann wurde sie ins KZ Watenstedt/Leinde gebracht, wo sie Zeugin unfaßbarer Foltermethoden wurde. Dazu kamen das knappe Essen oder auch Essensentzug. In den Reichswerken Hermann Göring in Braunschweig arbeitete die junge Französin 12 Stunden pro Tag und sieben Tage in der Woche an einer Maschine für die Waffenproduktion.
Hier sorgte sie durch Sabotage dafür, daß „ihre“ Maschine häufig Fehlteile herstellte, die nicht brauchbar waren. Francine berichtet von Solidarität der anderen weiblichen Häftlinge, aber auch von Provokationen etwa von polnischen oder russischen Frauen, die ebenfalls bei der Waffenproduktion eingesetzt waren und „überfleißig“ gewesen sein sollen. Francine erzählt lobend von einem deutschen Vorarbeiter, der ihre Bestrafung verhinderte und erklärte, die Maschine sei sicherlich schon viel früher von jemand beschädigt worden. „Er war wirklich ein Deutscher, aber wohl keiner von der SS. Auf jeden Fall war er ein deutscher Arbeiter“, so Francine.


Sie erzählt in der von Golzio überwiegend grau, schwarz und braun bebilderten Leidensgeschichte auch von der Evakuierung des KZ durch das dänische oder schwedische Rote Kreuz. Drei Monate nach ihrer Befreiung kommt Francine in Paris und dann am 15. Juli 1945 in ihrem Wohnort Pouilly-sous-Charlieu an. Da ist sie 22 Jahre alt und auf 33 Kilogramm abgemagert. „Ich weiß nicht, ob ich noch drei Monate durchgehalten hätte, ich glaube nicht“, sagt sie am Ende ihrer Erinnerungen, die sie Boris Golzio wenige Jahre vor ihrem Tod erzählt hat. Francine hat viele Jahre im Museum der Résistance in Lyon Schülergruppen auf ihrem Weg durch das Museum begleitet und von ihren Erlebnissen in der Zeit der deutschen Besatzung erzählt. Sie starb am 25. März 2003. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof von Vougy.

Boris Golzio (Text und Zeichnungen) - „Die Geschichte von Francine R.“
Übersetzungen aus dem Französischen von Barbara Hahn, Katja Fröhlich und Carsten Hinz
© 2021 Avant-Verlag Berlin, 132 Seiten, Hardcovereinband, 19,5 x 27 cm - ISBN: 978-3-96445-047-0
24,- €
Weitere Informationen: www.avant-verlag.de

Redaktion: Frank Becker