„Braun 100“

Ausstellung ab 21. April im Bröhan-Museum, Berlin

Red./Bec.

© Firma Max Braun, Frankfurt am Main / Archiv Musenblätter

„Braun 100“
 
Ausstellung vom 21. April bis 29. August 2021
im Bröhan-Museum, Berlin
 
Wie kein anderes Unternehmen in der deutschen Nachkriegszeit steht Braun für einen ästhetischen Neuanfang. An der Geschichte der Firma lassen sich sowohl die wirtschaftlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts als auch maßgebliche Tendenzen des deutschen Designs ablesen. Ob Rasierapparate, Hifi-Anlagen, Uhren oder Küchengeräte, sie alle verbindet eine Formensprache, die in Kombination mit ihrer Handhabung als Höhepunkt des gestalterischen Funktionalismus bis heute Schule macht. 100 Jahre nach Gründung der Firma Braun zeigt die Ausstellung im Bröhan-Museum mit rund 100 Leihgaben alle Spitzenstücke.
 
Fast zeitgleich mit der Geburtsstunde des Rundfunks in Deutschland gründet Max Braun 1921 sein Unternehmen. Als seine Söhne Erwin und Artur 1951 übernehmen, wagen sie einen Neustart und machen Braun zu einem Trendsetter des Designs. Durch die Zusammenarbeit mit bedeutenden Gestaltern wie Wilhelm Wagenfeld, Hans Gugelot, Otl Aicher und Dieter Rams wird Braun geradezu zur „Visitenkarte Deutschlands“ in der Welt. Nach dem frühen Verkauf von Braun an Gillette 1967 gelingt es Dieter Rams, durch sein Designverständnis des „Weniger, aber besser“ Braun zur Marke und zum Inbegriff des funktionalistischen Designs zu machen. Die prägnante Formensprache des Braunschen Industriedesigns ist jedoch nicht allein das Resultat einer erfolgreichen Designabteilung, sondern darüber hinaus Ergebnis politischer Strukturen, kultur- und kunsthistorischer Faktoren sowie marktorientierten Unternehmertums. Die Entwicklung der funktionalistischen Gestaltung der Geräte, die nachhaltig auch andere Firmen beeinflusst hat, wird in der Ausstellung ebenso thematisiert wie die Verflechtungen von Design, Kunst und Politik in der 100-jährigen Unternehmensgeschichte.
 
Parallel zur Ausstellung „Braun 100“ zeigt das Bröhan-Museum die Schau „Luigi Colani und der Jugendstil“ (ebenfalls bis 29.8.2021). Somit präsentiert das Haus zwei Gesichter des deutschen Designs, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Braun steht paradigmatisch für eine entscheidende Grundhaltung deutscher Gestaltung, die wiederum von Luigi Colani entschieden bekämpft wurde. Die Kombination der beiden Ausstellungen bietet die Möglichkeit, einen tiefen Einblick ins deutsche Design zu gewinnen.
 

© Firma Max Braun, Frankfurt am Main / Archiv Musenblätter

Das Image der Marke Braun ist eng an das Design ihrer Produkte geknüpft. Ob Rasierapparate, HiFi-Anlagen, Uhren oder Küchengeräte, sie alle verbindet eine Formensprache, die als Höhepunkt des gestalterischen Funktionalismus bis heute Schule macht. Im Jahr 2021 jährt sich die Firmengründung zum 100. Mal. Anlass genug, dem Braun-Stil, der zum Inbegriff des deutschen Nachkriegsdesigns wurde, in einer Ausstellung nachzuspüren.
Am anhaltenden Erfolg der Marke waren und sind die verschiedensten Designertypen beteiligt, die das Braun-Design jeweils unterschiedlich interpretieren. Eine genaue Betrachtung der Firmengeschichte zeigt jedoch, dass der Braun-Stil nicht allein das Resultat einer erfolgreichen Designabteilung ist, sondern als Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels aus politischen Strukturen, kultur- und kunsthistorischen Faktoren sowie marktorientiertem Unternehmertum verstanden werden muss.
Braun gilt zu Recht als Ikone der Designgeschichte, als ein historisches Phänomen und lebendiges Erbe, das weit über die Grenzen ästhetischer Diskurse herausragt. Die Deutungshoheit über den Mythos des Braun-Designs liegt dabei längst nicht mehr in Firmen- oder gar Familienhand. Denn was Braun war, ist und einmal sein wird, verhandelt eine heterogene Basis aus internationalen Vereinen, Sammlern, Zeitzeugen, Geschichtsschreibern und Kunden bis heute.
 
Max Braun (1890–1951)
 
Am 01.06.1921 wird die „Max Braun, Maschinen- und Apparatebau oHG“ in Frankfurter a. Main in das Handelsregister eingetragen. Zuvor legt Max Braun einen beeindruckenden Werdegang zurück:
Einer Schlosserausbildung folgen Arbeitsstationen in Hamburg und Berlin, dem Zentrum der Elektroindustrie. Dort erlebt er als Angestellter der „Allgemeinen Electrizitäts Gesellschaft“ (AEG) die Geburt des modernen Industriedesigns mit. Peter Behrens, künstlerischer Beirat der AEG, ist für die Gestaltung aller neuartigen Elektrogräte verantwortlich – u.a. Ventilatoren, Uhren, Wasserkessel und Heizgeräte. Er entwirft zudem Kataloge, Preislisten, Messestände, Fabrikgebäude sowie das Firmenlogo und formt so ein einheitliches Erscheinungsbild der AEG. Diese Pionierarbeit gilt als die erste Corporate Identity der Geschichte.
Nach zahlreichen Weiterbildungen – u.a. selbstfinanzierte Englischkurse – und mit einem Darlehen des Schwiegervaters wagt Max Braun den Schritt in die Selbstständigkeit. Die Erfindung eines Treibriemenverbinders ist die Grundlage des Erfolgs. Es folgen Radios, Phono-2-Kombinationen, eine Taschenlampe mit Dynamoantrieb, Küchengeräte und der erste Elektrorasierer. Max Braun stirbt unerwartet im Alter von 61 Jahren.


© Firma Max Braun, Frankfurt am Main / Archiv Musenblätter

Artur (1925–2013) und Erwin (1921–1992) Braun
 
„So war meinem Bruder und mir die Möglichkeit gegeben, neue Wege zu gehen und eigene Ideen zu verwirklichen – eine Chance, wie man sie in jungen Jahren nur selten hat.“ Artur und Erwin Braun sind 26 und 30 Jahre alt, als sie nach dem Tod ihres Vaters die Firma übernehmen. Sie erben ein solides Unternehmen mit 800 Mitarbeitern.
Die Ausbildungswege der Söhne hat Max Braun maßgeblich mitbestimmt. Erwin studiert Betriebswirtschaftslehre, Artur absolviert im eigenen Betrieb eine Lehre zum Elektrotechniker. Als gleichberechtigte Inhaber teilen sie das operative Geschäft gemäß ihren Fähigkeiten auf. Als technischer Leiter ist Artur für die Fortsetzung der bisherigen Produktion und die Weiterentwicklung technischer Innovationen verantwortlich. Erwin sucht in der Funktion des kaufmännischen Leiters nach neuen Wegen, die Firma auf dem Markt zu behaupten.
In 16 Jahren formen die Gebrüder aus einem mittelständigen Familienunternehmen einen Milliardenkonzern, schaffen tausende Arbeitsplätze und melden zahlreiche Patente an. Ende 1967 verkaufen sie ihre Firma an die amerikanische Gillette Company. Sie begründen ihren Schritt mit dem Schutz der Gesundheit und der Familie.
 
Der Restart
 
Nach dem Tod des Vaters sucht Erwin Braun nach neuen Wegen, das Unternehmen auf dem Markt konkurrenzfähig zu halten.
Entgegen der damals dominierenden Möbelkultur aus Eiche-rustikal und Gelsenkirchener Barock belegen Umfragen in deutschen Haushalten ein wachsendes Interesse an modernen Möbeln. Das Angebot für Rundfunkgeräte und Fernseher hat sich diesem Trend noch nicht angepasst und bietet eine freie Marktlücke. Erwin Braun erkennt die Gelegenheit und stellt den Neuanfang seiner Firma unter das Motto: „Für einen modernen Lebensstil.“
Aber was ist modern? Um das herauszufinden, trifft Erwin Braun drei ungewöhnliche Personalentscheidungen, die das Anknüpfen von Braun an die Vorkriegsmoderne einleiten.
 
Fritz Eichler (1911–1991)
„Da traf Kultur auf Fabrik.“
 
Auf Erwin Brauns Suche nach Modernität wird Fritz Eichler 1954 zu dessen Mentor und engstem Mitarbeiter. Gemeinsam entwickeln sie eine ganzheitliche Unternehmensphilosophie nach der sich ökonomisches Handeln, gesellschaftliche Verantwortung und moderner Stil gegenseitig bedingen.
Erwin Braun lernt Eichler 1939 als Soldat in der Wehrmacht kennen und als Freund sowie Gesprächspartner schätzen. Der promovierte Theater- und Kunstwissenschaftler ist ein Verfechter der durch die Nationalsozialisten diffamierten Moderne, die er dem gerade volljährigen Unternehmersohn näherbringt: In Weimar stationiert, spricht er unter anderem über die Utopie einer Verschmelzung von Kunst und Industrie wie sie vom Deutschen Werkbund und dem Bauhaus angestrebt wurde.


© Firma Max Braun, Frankfurt am Main / Archiv Musenblätter

Eichler ist es, der 1956 die Gründung einer firmeninternen Abteilung für Form- und Werbegestaltung anregt, die er bis 1973 leitet. Gemeinsam mit Artur Braun entwirft er das Radio „SK 1/2", das erste Gerät im Braun-Stil, lange bevor davon die Rede ist.
 
Wilhelm Wagenfeld (1900–1990)
Der Künstler als Gestalter – Gestaltung als Kunst
 
1954 beginnt Erwin Braun damit, Kontakte zu ehemaligen Vertretern des Bauhauses aufzubauen. Jener Institution, die wie keine andere das Image der Modernität verkörpert. In Darmstadt besucht er einen Vortrag des Bauhausschülers und frühen Industriedesigners Wilhelm Wagenfeld. Braun ist von den Theorien des Universalkünstlers begeistert, die alle Bereiche des menschlichen Lebens durchdringen und sozialreformerisch wirken möchten.
Wagenfeld erhält von Braun verschiedene Gestaltungsaufträge. Schnell zeigt sich jedoch, dass die künstlerische Formfindung sehr zeitaufwändig und für eine maschinelle Massenproduktion ungeeignet ist. Dennoch ist Wagenfelds Einfluss auf Braun von großer Bedeutung. Er stößt nicht nur die enge Zusammenarbeit von technischer, kaufmännischer und künstlerischer Leitung an. Er vermittelt auch sein Verständnis von Produkten als zurückhaltende, stumme Diener.
Wagenfeld ist den Idealen der künstlerischen Moderne verpflichtet, wonach Kunst, Gesellschaft und Produktion in einem auf Wechselwirkung beruhendem Verhältnis stehen. Seine Theorien bewegen sich zwischen Sozialismus und Spiritualität. Im Sinne eines Gesamtkunstwerks fordert er die Unterordnung des Einzelnen – vom Künstlerego bis zum Produkt – in den Dienst am geistigen und gesellschaftlichen Ganzen.
 
Herbert Hirche (1910–2002)
Die leise Moderne
 
Nach Wilhelm Wagenfeld engagiert Braun mit dem 10 Jahre jüngeren Herbert Hirche, einen zweiten bedeutenden Bauhausschüler. Hirche – Professor für Innenarchitektur und Möbelbau in Stuttgart – erhält den Auftrag, den bereits vorhandenen Rundfunkgeräten ein modernes Gewand zu verleihen.
Im Unterschied zu Wagenfeld bezeichnet sich Hirche nicht als Künstler. Als Schüler der zweiten Bauhaus-Generation – unter dem Motto „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ – zählt er zu den Vertretern einer „leisen Moderne“, deren Entwurfsfähigkeiten näher an der industriellen Praxis entwickelt wurden als an Theorien der Kunst. Hirches Gestaltungsansatz fußt auf einer Ästhetik der reinen Funktionalität, die dem individuellen Wohn- und Lebensstil „unauffällig, pragmatisch und ohne formalistische Verbohrtheit“ eine Bühne bereiten will.
Die „HM“-Modelle, die seit 1956 produziert werden, stehen trotz ihrer sachlichen Gestaltung – geradliniger Aufbau, klare Flächen, Verzicht auf Schmuckelemente – noch ganz in der Tradition herkömmlicher Musiktruhen, die ihr technisches Inneres zugunsten einer vermeintlichen Wohnlichkeit verschleiern.


© Firma Max Braun, Frankfurt am Main / Archiv Musenblätter

HfG Ulm
 
Zum Gedenken an ihre Geschwister Hans und Sophie Scholl, die als Mitglieder der Widerstandgruppe „Weiße Rose“ von den Nazis ermordet wurden, hatte Inge Aicher-Scholl 1950 die Geschwister Scholl Stiftung gegründet. Die Stiftung wurde Träger der 1953 eröffneten Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm. Inge Aicher-Scholl wollte zunächst als Beitrag zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft eine politische Hochschule gründen. Unter dem Einfluss von Max Bill entschloß man sich jedoch für eine Hochschule für Gestaltung, die an das 1933 geschlossene Bauhaus anknüpfen sollte. Das Bauhaus hatte seit 1926 den Untertitel „Hochschule für Gestaltung“ getragen, der nun in Ulm als Namen für die neue Schule gewählt wurde.
Wie am Bauhaus spielte die Verbindung von Kunst und Gestaltung eine große Rolle. An der Schule unterrichteten eine Reihe von Künstlern, die wie Max Bill zur Konkreten Kunst zu rechnen sind. Die gestalterischen Prinzipien der Konkreten Kunst wurde zur Grundlage einer umfassenden Ästhetik, die die Basis für den Unterricht in den Abteilungen Visuelle Kommunikation, Produktgestaltung, Bau und Information war. Die Ästhetik von Struktur, Raster und System spielte in den Entwürfen der Schule eine große Rolle.
 

Links: Hochschule für Gestaltung Ulm (Redesign), Kofferempfänger mit Netzuntersatz „exporter 2“, 1956
Braun-Sammlung Ettel, Berlin Rechts: Kofferempfänger mit Netzuntersatz „exporter“, 1954, Braun-Sammlung Ettel, Berlin
Foto: Colya Zucker

Max Bill
 
Mit seinen Texten „Die gute Form“ und „Schönheit aus Funktion und als Funktion“ schuf Bill die theoretische Grundlage für das Design der HfG Ulm und von Braun. 1908 in Winterthur geboren, hatte Bill 1927 bis 1928 am Bauhaus in Dessau studiert. Als Architekt, Maler, Bildhauer und Grafiker hatte er sich in der Schweiz einen Namen gemacht. 1951 bis 1953 arbeitete er mit Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher an der Gründung der HfG Ulm und war von 1953 bis 1956 der Rektor der Schule. Als einer der wichtigsten Künstler und Theoretiker der Konkreten Kunst macht er ihre Prinzipien zu einer der fundamentalen Grundlagen der HfG. Er stellt den Lehrkörper zusammen und konzipiert die Lehre.
 
Hans Gugelot (1920–1965) und Braun
 
Max Bill berief Hans Gugelot als Dozent in der Abteilung Produktgestaltung an die HfG. Gugelot hatte an der ETH Zürich Architektur studiert und u.a. in Bills Büro in Zürich mitgearbeitet. Schon vor seiner Ulmer Tätigkeit hatte Gugelot das Systemmöbel „M 125“ entworfen. Den Systemgedanken bringt Gugelot auch bei Braun mit ein. Das Radio „G 11“, der Plattenspieler „G 12“ und der Fernseher „FS 1“ sind in den Proportionen so abgestimmt, dass sie zu einer Einheit kombiniert werden können. Für den Neustart der Firma Braun ist Gugelot eine der wichtigsten Figuren. Mit dem „SK 4“ (zusammen mit Dieter Rams) und der „studio 1“ (zusammen mit Herbert Lindinger) entwirft er Meilensteine des Phonodesigns. Sein Rasierapparat „Sixtant“ ist einer der Bestseller der Firma Braun.
 
Der Messestand von 1955
 
Auf der Düsseldorfer Funkausstellung 1955 wollte die Firma Braun sich erstmals mit ihren neuen Produkten präsentieren. Schnell war klar, dass nicht nur die Produkte völlig neu sein sollten, sondern auch die Präsentation auf der Messe selbst. Die HfG Ulm unter der Federführung von Otl Aicher und Hans G. Conrad wurden beauftragt, einen völlig neuen Messestand zu entwerfen. Im Gegensatz zu den nur einmal verwendbaren und sehr plüschig-opulenten Ständen der Konkurrenz konzipierte Aichers Team ein leicht montierbares und damit wiederverwendbares Messesystem auf der Basis eines offen sichtbaren Skeletts aus Vierkantstahlrohren. Der Braun-Stand war dezent mit modernen Möbeln von Knoll eingerichtet und wirkte präzise, transparent, filigran und offen. Der Messestand wurde bis in die 1980er Jahre von Braun verwendet und ist auch die Grundlage dieser Installation.
 
Otl Aicher (1922–1991) und die Visuelle Kommunikation
 
Parallel zu einem Studium der Bildhauerei in München eröffnete Aicher in Ulm ein Büro als Grafiker. Für die zusammen mit seiner Frau Inge Aicher-Scholl gegründete Volkshochschule Ulm entwarf er Plakate und entwickelte ein Plakatsystem. An der HfG Ulm, die er mitgründete, wurde er Dozent in der Abteilung Visuelle Kommunikation. Aicher, der u.a. das Erscheinungsbild der Lufthansa überarbeitete und Gestaltungsbeauftragter für die Olympischen Spiele in München war, ist einer der wichtigsten Grafikdesigner Deutschlands.
Für Braun entwickelte Aicher zusammen mit Wolfgang Schmittel das Erscheinungsbild der Firma, entwarf den wiederverwendbaren Messestand und konzipierte die Schaufensterdisplays.
 
Wirtschaftlicher Durchbruch bei der Interbau 1957
 
Bekanntheit und Umsätze der Firma Braun stiegen sprunghaft dank Westdeutschlands größtem Ausstellungereignis der 1950er Jahre – der Internationalen Bauausstellung in Berlin, kurz: Interbau. Hier wurden über 100 Braun-Serienmodelle in Musterwohnungen präsentiert. Fortan galten diese als integrale Bestandteile des modernen Wohn- und Lebensstils.
Das Großbauprojekt im Hansaviertel diente als Leistungsschau der jungen BRD und präsentierte zugleich ein eindrucksvolles Gegenmodell zur Stalin-Allee im Osten der Stadt. Auf dem 25 Hektar großen kriegszerstörten Gelände entstanden verschiedene öffentliche Einrichtungen und rund 1300 Wohneinheiten. Gebaut wurde im funktionalistischen Stil der internationalen Moderne, die sich zunehmend als Stil westlicher Demokratien etablierte. Prominent vertreten wurde diese durch Architekten wie Alvar Aalto, Le Corbusier und Walter Gropius.
 
„Visitenkarten Deutschlands“ - Auf der Weltausstellung 1958
 
Den Höhepunkt erlangten die Sichtbarkeit von Braun und die Verknüpfung des Unternehmens mit der BRD 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel. In der Zeit vom 17. April bis zum 19. Oktober 1958 zog sie unglaubliche 41 454 412 Besucher an.
Im bundesdeutschen Pavillon waren 16 Braun-Geräte in Musterzimmern, Vitrinen und in einem Musterhaus ausgestellt. „Sie wurden in eine strenge Auswahl besonders hochwertiger Erzeugnisse industrieller und handwerklicher Produktion aufgenommen“, erklärt ein Braun-Prospekt. Eine Reklame zur Weltausstellung bezeichnet Braun-Geräte sogar als „Visitenkarten Deutschlands“ und bewirbt sie somit als mustergültiges Staatsdesign. Und tatsächlich wurde Braun zu der deutschen Vorzeigefirma, deren Produkte noch im selben Jahr in die Sammlung des Museum of Modern Art in New York einzogen und dort das moderne Design Westdeutschlands bewarben.
 
Der „Braun-Stil“
 
Mit dem Aufstieg der Firma zur „Kulturinstitution“ setzt eine verstärkte Theoretisierung über den „Braun-Stil“ ein. Den Beginn markiert der 1962 von Richard Moss veröffentlichte Aufsatz „Braun style“. Moss stellt darin fest, dass es sich weltweit um den einzigen Firmenstil handelt und dass alle Braun-Erzeugnisse auf drei Gesetzen basieren: Ordnung, Harmonie und Sparsamkeit.
Die Jahre 1962 bis 1967 gehen als Phase des „Grand Design“ in die Braun-Literatur ein. Erwin Braun entlehnt den Begriff der transatlantischen Außenpolitik John F. Kennedys und markiert damit eine Phase der Expansion: Zum einen werden neue internationale Märkte erschlossen, zum anderen die Anwendung des Braun-Stils auf weitere Produktsparten vorangetrieben.
Seit dem Elektrorasierer „sixtant SM 31“ (1961/62) entwickelt sich die Kombination aus schwarzen und silbernen Oberflächen zum Markenzeichen von Braun. Die „edle Form“ – die bei dem Toaster „HT 1“ (1961) das erste Mal angewendet wird – soll die hohe Produktqualität visuell repräsentieren.


Hans Gugelot / Gerd Alfred Müller, Elektrorasierer „sixtant SM 31“, 1962,
Braun-Sammlung Ettel, Berlin - Foto: Colya Zucker

Die Ära Rams
 
Dieter Rams ist mit Abstand der produktivste Designer in der 100-jährigen Geschichte des Unternehmens. Als der gelernte Architekt 1955 seine Tätigkeit bei Braun aufnimmt, ist er gerade 23 Jahre alt. Rams, der bereits seit 1961 Leiter der Abteilung Produktdesign ist, wird spätestens 1973, mit dem Ausstieg Eichlers aus dem operativen Geschäft, zur höchsten Instanz formgestalterischer Angelegenheiten. Sein Selbstverständnis als Designer leitet sich „von einer Ästhetik des Bildes, der visuellen und plastischen Qualität von Produkten“ ab. Im Laufe der Jahre tritt die Marke Rams immer stärker in den Vordergrund: Dem Design-Star werden zahlreiche Monografien und Ausstellungen gewidmete, er erhält eine Professur und wird Präsident des Rats für Formgebung. Seine Gestaltungsethik – „Weniger, aber besser“ – prägt das Image des Braun-Designs bis heute.
Als unbestrittener Meister einer sachlich-geordneten Ästhetik und vehementer Gegner postmoderner Ausschweifungen wird er einerseits als Wegbereiter des Apple-Designs gefeiert und andererseits zum Feindbild einer Generation erklärt, die in seiner kompromisslosen Haltung einen verdächtigen Hang zur Rationalisierung und ein gefährliches Streben nach Reinheit erkennt. Zum Mr. Braun gekürt, vereint er schlussendlich die Zerrissenheit seines Berufstandes, changiert zwischen Design-Star und Werkbund-Idealist, zwischen „stummem Diener“ und Künstlerego, Inspiration und Abschreckung. Und während ihn die einen als Heilsbringer der „10 Thesen“ verehren, werfen ihm andere Verrat am Kollektivgedanken von Braun vor.
 
Braun Bunt
 
Der große gesellschaftliche Wandel, den man mit dem Jahr 1968 verbindet, spiegelt sich auch im Design wider. Der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno stellte als erster 1967 den Funktionalismus Begriff in Frage und löste damit die Funktionalismus-Debatte aus. Dies konnte natürlich auch die Firma Braun nicht kaltlassen, war ihre Gestaltung doch Inbegriff des deutschen Funktionalismus. Junge Designer in Deutschland wie Luigi Colani zettelten mit abgerundeten Formen und Objekten aus buntem Kunststoff eine Revolution an. Die Funktionalismus-Debatte und der sich durch den gesellschaftlichen Wandel verändernde Geschmack fielen zusammen mit dem Verkauf von Braun an die Gillette Company. Für eine kurze Zeitspanne versuchten Dieter Rams und sein Team mit dem sich wandelndem Zeitgeschmack zu gehen und entwarfen ungewohnt bunte Geräte. Bald jedoch beendete Rams diese Experimente und kehrte zu Weiß, Schwarz, Metallic und ausnahmsweise einmal Rot zurück
 

Reinhold Weiss - Schlagwerk-Kaffeemühlen „Aromatic, KSM 1/11“, 1967, Braun-Sammlung Ettel, Berlin - Foto: Colya Zucker
 
Last Edition
 
1991 stellte Braun die Produktion von Hi-Fi-Geräten ein. Obwohl Braun auf eine ganze Reihe von erfolgreichen Produkten verweisen kann, war doch der Radio- und Phonobereich immer die Königsdisziplin. Deshalb verabschiedete Braun diese Sparte mit einem Paukenschlag. Basierend auf den schon 1980 von Peter Hartwein entworfenen Bausteinen der Hi-Fi-Anlage „Atelier“ wurde die „last edition“ herausgegeben. Ein Jahr vor Schließung der Produktion wurde die Presse informiert und die im letzten Jahr produzierten „Atelier“ Anlagen als „last edition“, als nummerierte und limitierte Auflage „für designbewußte Konsumenten als Sammlerobjekte“ angekündigt. Durch die Vermarktungsstrategie wird die Stereoanlage zu einem Auflagenobjekt wie in der Kunst. Passend dazu wird die „last edition“ auf Plakaten mit Werken der konkreten Kunst abgebildet. Die Presse stieg voll auf das Thema ein und kommentierte die Kampagne mit Headlines wie „aus der Braun“ oder „Schneewittchen kocht nun Kaffee“.
 
Brauns Erben – 1995 bis heute
 
In den 1980er Jahren wird der 1967 durch den Verkauf an Gillette eingeleitete Wandel im Sortiment der Produktlinien deutlich: Die Bereiche Film und HiFi werden abgebaut bzw. ausgegliedert und das Feuerzeuggeschäft angesichts schwacher Nachfrage aufgegeben.
1995 übernimmt Peter Schneider die Leitung der Designabteilung. Der formalen Strenge der Ära Rams folgt eine Phase undogmatischer Gestaltung und stilistischer Pluralität. Schneider reagiert damit auf die großen Umwälzungen der Zeit: Das Ende des Kalten Kriegs und der Fall des Eisernen Vorhangs eröffnen neue Märkte mit neuen Verbraucherstrukturen; ein immenser Innovationsschub auf dem Gebiet der Kunststofftechnologie erlaubt nie dagewesene Anwendungs- und effizientere Verarbeitungstechniken; die digitale Revolution führt zu einer Verlagerung des Entwurfsprozesses vom Analogen ins Digitale, von der Modellwerkstatt in die 3D-Software.
Oliver Grabes – seit 2009 Nachfolger Schneiders – setzt der Stil-Pluralität ein Ende und baut auf eine stärkere Wiedererkennbarkeit der Braun-Produkte und ihrer Vermarktung. Seine Aufgabe sieht Grabes darin, „ein Markengefühl neu, aber passend und durchgängig zu interpretieren“. Seinen Worten nach versteht er sich in der Rolle des Intendanten einer geschichtsträchtigen Bühne mit progressivem Programm – eine Funktionsbeschreibung, wie sie einst Fritz Eichler vertrat.
 
„Braun 100“
 Ausstellung vom 21. April bis 29. August 2021 im Bröhan-Museum, Berlin
Schloßstraße 1a  -  14059 Berlin
Öffnungszeiten: Di bis So von 10 bis 18 Uhr und an allen Feiertagen (Pfingstmontag geschlossen)
Eintritt: 8,- €, erm. 5,- €.
Vor dem Besuch ist der Kauf eines Zeitfenstertickets (https://www.broehan-museum.de/service/#/) sowie die Vorlage eines tagesaktuellen negativen Corona-Tests derzeit obligatorisch.
 
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Wienand Verlag, 272 Seiten mit zahlreichen farbigen Abb., 29,- € an der Museumskasse
Für Kinder gibt es ein kostenfreies Entdeckerheft.
 
Weitere Informationen:  www.broehan-museum.de  -  www.wienand-verlag.de
 
Redaktion: Frank Becker