Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken

Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 19

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Ryszard Kopczynski

Michael Zeller

Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken
 
Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 19


Hurra! Geimpft!
 
Jetzt ist es also so weit. Es kommt mir vor wie ein Geschenk des Himmels. Ich habe einen Impftermin! Auf einem ordentlichen Blatt Papier, Schwarz auf Weiß, mit Straße, Hausnummer, Tag und Stunde: Zwölf Uhr, high noon … 
 
Ganz so richtig glauben kann ich es immer noch nicht. Das Ausfüllen der zahlreichen Formulare am Vorabend geschah noch in dem Gefühl: Na ja, mal sehen, ob das wohl was wird … Und jetzt – peng! – die Zusage. Den ganzen Vormittag über bis zum show down am  Mittag – was soll ich mit mir und den verrinnenden Minuten anfangen? Auf nichts kann ich mich konzentrieren.
 
Es ist keineswegs die Angst vor dem kleinen Pieks, den ich von der jährlichen Grippe-Impfung kenne. In diesen zwei, drei leeren Stunden erlebe ich jetzt, wie groß die innere Spannung sein muß, in der ich – wir alle – seit gut einem Jahr leben. Im Alltag spürt man selten etwas davon. Da hat man sich seine kleinen Ablenkungen und Selbstüberredungen antrainiert. Und wir stolpern ja auch keineswegs über Kranke oder von der Krankheit Gezeichnete, sobald wir das Haus verlassen. Bis auf diese komischen Gesichtsverhüllungen scheinen alle Leute unterwegs physisch genauso putzmunter zu sein wie ich. Diese Krankheit spielt sich für den, der nicht von ihr befallen ist, rein medial ab: in den Zeitungen, in Fernsehen, Radio, Internet. Da aber durchdringend und ohne Pause. Eine Dauerberieselung unserer Köpfe und Seelen, die mit den Morgennachrichten beginnt und nicht vor dem Einschlafen endet. Ohne jedes Entrinnen! Das bleibt nicht ohne Spuren.
 
Und jetzt gleich dieser Termin, der dem allem ein Ende bereiten soll, das einzige jedenfalls, das  derzeit möglich scheint. Nein, das ist etwas anderes als die Grippeimpfung jeden Winter. Das ist ein Stück Glücksverheißung – für mich und für die Menschen, die mit mir zusammenleben: Ein Krankheitsherd weniger im Haus.
 
Auch wenn das Impfen derzeit – rein medizinisch gesehen – ja einem Tasten im Nebel nahe kommt. Wenn wir uns impfen lassen, sind wir alle Versuchskaninchen. Wissenschaftlich stabile  statistische Erkenntnisse gibt es keine  … Doch da keine Alternative in Sicht ist, reißen wir Menschen uns darum.
 
Müßige Überlegungen. Denn nun ist es wirklich so weit. Reichlich Personal, das die ankommenden Autos in die vorgesehenen Bahnen weist. Vor den eigens dafür errichteten Zelthallen stauen sich zwei Menschenschlangen. Auch hier gibt es genügend (überwiegend junge) Menschen, Malteser in dunkler Uniform, Angestellte in klinischem Weiß. Sie verteilen die Wartenden auf die Schalter. Dort werden die Papiere gemeinsam durchgegangen, zum Teil ergänzt. So hatte ich die beiden Fragen, ob ich schwanger sei oder derzeit stille, offen gelassen. Das Zutreffende sei noch anzukreuzen, läßt die junge Dame, die mich bedient, nicht locker. Ein Jammer, daß ich hinter der Maske ihr Lachen nicht erkennen kann.
 
Es wird wirklich höchste Zeit, daß diese Seuche aus der Welt verschwindet!
 
In der Kabine zwischen Stoffplanen geht es ruckzuck. Pullover hochgeschoben für den kleinen Einstich in den Oberarm, der gar nicht zu spüren ist. Und fertig. Eine Viertelstunde solle man noch Platz nehmen, zur Sicherheit. Ein kleiner Roboter, der mir bis zum Nabel reicht, brabbelt etwas vor sich hin (wahrscheinlich auf Englisch), er will mir den Weg zur Ruhezone weisen. Er ist porzellanweiß. Da auch meine Hauptfarbe überwiegend hell ist, an den meisten Körperteilen jedenfalls, bin ich schon etwas verletzt. Man ist ja so fürchterlich sensibel geworden … auch ein Symptom von Corona?
 
Doch heute, an diesem Tag, will ich großzügig sein. Draußen lacht die Frühlingssonne dermaßen unbändig über die Leichtigkeit des Seins -   
 

© 2021 Michael Zeller für die Musenblätter