Schlagerdenken

von Josef Bordat

Josef Bordat - Screenshot
Schlagerdenken
 
Auf Volksfesten im Spätsommer kommt man ins Grübeln. Ich jedenfalls. So rätsle ich jetzt schon seit einigen Stunden angesichts einiger Texte, die sich von mir einfach nicht durchgängig erschließen lassen. Also, zum Beispiel diese Frau. Die tut mir wirklich leid! Die gibt unter Tränen zu Protokoll: „Du hast mich 1000 Mal belogen“. Ich meine, da fragt man sich doch: Wieso ist es überhaupt so weit gekommen? Hat sie vorher nichts gemerkt? Sie hat es doch offenkundig mit dem zu tun, was man einen Gewohnheitstäter nennt. Hätte sie nicht nach der – sagen wir mal – 347sten Falschaussage dem Treiben des Angesprochenen ein Ende setzen können? Was ist mit ihrem sozialen Umfeld? Warum hat da niemand reagiert? Ich verstehe es nicht!
 
Und dann dieser nette junge Mann, der behauptet, es gäbe einen „Stern, der deinen Namen trägt“. Ja, ich meine – welche Frau heißt denn „Kepler 23/98“ oder „XRT-2003-A“? Also, ich weiß nicht. Wenn er sich da mal nicht völlig verrennt! So wie dieser ebenfalls sehr nette, nicht mehr ganz so junge Mann, der folgende Kausalkette behauptet: „Verlieben, verloren, vergessen, verzeihn“. Ich meine, wie kann man erst vergessen und dann verzeihn? Man kann doch nur „verzeihn“ im vollen Bewußtsein dessen, was es zu „verzeihn“ gibt? Oder?
 
Man hat sich kaum beruhigt, da geht es schon weiter: „Verdammt, ich lieb' dich – ich lieb dich nicht“. Ja, was denn jetzt?! Kann sich der Herr vielleicht mal entscheiden?! Hm…?! Oder ist das eine Anspielung auf die Ambivalenz des postmodernen „Eigentlich-Menschen“? Eigentlich liebe ich dich, aber dann kommt diese Bindungsschwäche. Das mit dem Prospekte-Austragen ist nicht so, eigentlich bin ich Kulturwissenschaftler. So in der Art? Ja, dann soll er das doch bitte sagen! Meine Güte! Und wo soll das jetzt wieder sein: „Jenseits von Eden“? Auch „Tränen lügen nicht“ ist längst widerlegt (Psychologie heute, Nr. 4, 1999)!
 
Und dann ist die Rede von einem Schloß namens „Albany“. Leute – ich hab mich informiert: „Albany“ ist kein Schloß, sondern eine Universitätsstadt im US-Bundesstaat New York! Sie hat etwa 100.000 Einwohner, ein Rathaus (Albany City Hall), ein Gerichtsgebäude (Albany County Courthouse) und im September eine durchschnittliche Höchsttemperatur von 22,9 Grad Celsius. Aber kein Schloß! Nirgends.
 
Ein Text ist allerdings ganz leicht verständlich. Als Berliner kennt man das nur zu gut, wenn die letzte S-Bahn weg ist und man gucken muß, daß man noch irgendwie den N48er kriegt: „Atemlos durch die Nacht“.
 
Josef Bordat