Wuppertal 1957 - (V)erlebte Kulturgeschichte

Das Portrait einer ehemals aufstrebenden Stadt

von Frank Becker

© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal

(V)erlebte Kulturgeschichte
 
Das Portrait einer ehemals aufstrebenden Stadt
 
Es war einmal… So fangen Märchen an. Wie Bilder aus einem Märchen wirken aus heutiger Sicht auch die zauberhaften Illustrationen von Alfred und Ellen Schmitz, mit denen im Jahr 1957 die Stadt Wuppertal in einer Broschüre für sich warb. Märchenhaft auch die Fakten und Zahlen aus diesem sonnenbeschienenen, optimistischen Jahr im engen Tal der Wupper, einem Jahr voller Stolz auf Kultur, Sport und Architektur, auf die Bevölkerungsentwicklung und die Verkehrs-Infrastruktur, auf Wirtschaft, Bildung und Industrie. Federleicht kommt das her, luftig und heiter. Ja, in dieser Stadt hätte man wohnen, leben mögen.
 
 
© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal


© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal

Das war 12 Jahre nach dem verheerenden Weltkrieg, der weite Teile der Stadt in Trümmer gelegt hatte. Man baute auf und pflegte, was man neu errungen hatte. Die Schwebebahn quietschte zuverlässig über der Wupper und auf Armlänge zwischen den Häusern im Westen der Stadt, die Bergbahn verband im Ortsteil Barmen Tal und Berg mit dem Alten Markt als niedrigstem Punkt und dem Toelleturm als höchstem mit Umsteigemöglichkeit in Straßenbahnen Richtung Remscheid, Schwelm u.a.. Straßenbahnen fuhren wintersicher durch die ganze Stadt und in Nachbarstädte wie z.B. Neviges.
 

© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal

Es gab Theater von Rang – das Wuppertaler Schauspiel gehörte zu den zehn renommiertesten Bühnen der Bundesrepublik -, eine große Oper mit gerühmtem Opernballett, das „Thalia“, das 1906 das größte und eleganteste Variété- u. Operetten-Theater des Continents“ war, 32 (!) Kinos mit 20.000 Sitzplätzen, darunter das nicht zerbombte Jugendstil-Kino „Odin“, Jazzclubs und elegante Cafés. Drei Tageszeitungen gab es, geblieben ist ein Monopolist.
 

© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal

Die Bergbahn wurde abgeschafft, danach die Straßenbahnlinien und O-Bus-Linien; die Schwebebahn fährt wegen anhaltenden Missmanagements nur noch sporadisch, mitunter jahrelang gar nicht. Die Verkehrs- und die Stadtplanung gehen an den Wünschen und Bedürfnissen der Bürger vorbei. das denkmalgeschützte Schauspielhaus, in welches das berühmte große Ensemble 1966 umzog, verfällt durch die Politik erst der CDU-Stadtregierung, dann der SPD zusehends, während das Ensemble mehr und mehr reduziert wurde und nun in einer ehemaligen Lagerhalle ein eher unbedeutendes Randdasein fristet. Die großen eleganten Cafés sind bis auf eines, das Café Grimm verschwunden, ähnlich ging es der Restaurantkultur. Wer erinnert sich nicht noch gerne z.B. auf das Dachrestaurant auf dem ehemaligen Kaufhaus Hertie?
 

© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal

Apropos Kaufhaus: Damals gab es Hertie, Kaufhof, Kaufhalle (alle mit Lebensmittelabteilung), später Woolworth und einige private Kleinkaufhäuser in den Randbezirken, dazu individuelle Bekleidungs- und Schuhgeschäfte. Fast alle perdu, verdrängt von internationalen Ketten.
 

© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal

Wuppertals 178 Treppen rühmt der Prospekt und weckt auch damit Wehmut. Denn auch hier zeigt sich die Folge des städtischen Missmanagements: Viele der als Verbindungswege wichtige Treppen in der an die steilen Hänge gebauten Stadt sind seit Jahren gesperrt und verfallen. Die Stadt verändert sich in ihrem Erscheinungsbild von Tag zu Tag, was sicher auch mit an der veränderten Bevölkerungsstruktur liegt. 420.000 Einwohner hatte Wuppertal 1957, davon ca. 5% mit Wurzeln im Ausland. Ca. 350.000 Einwohner waren es 2019, davon ca. 40% mit Wurzeln im Ausland.
 

© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal


© 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal

64 Jahre ist es nun her, daß man Wuppertal nach den Bildern dieses Prospektes lieben konnte, aber wer glaubt, daß die Stadt weiter dem Schönen entgegengewachsen sei, muß nur den Blick um sich wenden, um zu erkennen, daß dem so nicht ist. Graffiti von Narrenhänden verschandeln Wände, Parkanlagen und Randbegrünungen verkommen, weil viele Bürger dort ihren Müll hinwerfen, anstatt die paar Schritte zu einem der vielen Mülleimer zu gehen. Zigarettenkippen und ausgespuckte Kaugummis, neuerdings Hunderte Atemschutzmasken pflastern die Gehwege. Dagegen kommt die wirklich fleißige Straßenreinigung nicht an. Nein, Wuppertal schwebt nicht mehr, weil ihm der Unrat bis an die Knöchel reicht.
Da wünscht man sich ein bißchen 1957 – oder noch ein bißchen mehr.
 

Döppersberg © 1957 Presse- und Werbeamt der Stadt Wuppertal