Simon Stricker bei »Campiones PodCasting«.

Ein neues Format der Oper Wuppertal

von Johannes Vesper

Simon Stricker in "Die Zauberflöte" - Foto © Jens Grossmann

Simon Stricker bei »Campiones PodCasting«.
Ein neues Format der Oper Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
In Coronazeiten, da ist das Theater geschlossen, sind weit und breit weder Opern noch Publikum zu sehen oder zu hören. Kontakte zwischen Fans und Sängern drohen hin wie her einzuschlafen. Virtuelle Produktionen bleiben rar und bieten allenfalls mickrige Ersatzbefriedigung für einen leibhaftigen, großen Opernabend, an dem die Emotionen im Rund des Zuschauerraums flirren und wabern. Sebastian Campione, Baß im Ensemble der Oper Wuppertal, will die Opernfans nicht verlieren und lädt jetzt ein zu einem monatlichen Podcast, in dem persönliche Einblicke gewährt, über Sternstunden berichtet und so Kontakte pflegen möchte.
 
Der trockene Begriff „Podcast“ (ipod und broadcasting: MP3-Audiobeitrag im Internet zum Herunterladen oder Streamen) spiegelt die Atmosphäre seines knapp halbstündigen Gesprächs mit einzelnen Ensemblemitgliedern nicht recht wieder. Als erster ist aktuell Simon Stricker zu Gast im kleinen Foyer des Opernhauses, welches zum Radiostudio umfunktioniert wurde. Stricker erzählt von sich, von seiner Herkunft aus Herrenberg bei Heilbronn (Übrigens: was wird aus diesem Ort im Zuge der Gendersprache?), erzählt von seinem Beginn im Schulchor, den er zunächst nur besucht hatte seinen Notenschnitt (heute Punkte-Konto) zu verbessern. Das Chorsingen habe aber unter dem Lehrer und Leiter des Chors Thomas Reiß viel Spaß gemacht und seine Neigung zur Musik alles andere als behindert. „Immerhin habe ich dabei die Faszination des Singens zum ersten Mal gespürt und bald gemerkt, daß mich die Musik als Beruf interessieren könnte“. War zunächst Schulmusik angedacht, habe er aber auch Gesangsunterricht genommen, sich unbefangen an der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler beworben und sei auch tatsächlich aufgenommen worden. Schnell wurde dort, wo er mit Thomas Quasthoff vor allem Kunstlieder erarbeitet hat, „Schulmusik“ als Brotberuf uninteressant geworden, spürte er doch, daß seine Stimme zu mehr taugte. So wechselte er nach Stuttgart, um sich der Opernliteratur zuzuwenden, landete dort auch bald im Opernstudio, in dem er seinem unbändigen „Spieltrieb“ auf der Bühne nachgehen konnte. „An Pop war ich nicht interessiert, weil Pop und Klassik die Stimme doch unterschiedlich belasten. Das ist so, als wenn man in einem Auto mit Diesel und Benzin gleichzeitig fahren würde. Mindestens drei Tage nach einem Popkonzert sind nötig sind, um den komplizierten Stimmapparat mit Zunge, Kehlkopf, Wange, Atmung Stimmband umzustellen“, erzählt er.
 
Was machen Opernsänger in diesen Zeiten, in denen die Oper stillsteht.? „Wir proben und singen meist alleine, dann auch ohne Maske. Daß wir bei der Probe mit dem Pianisten Maske tragen sollen ist, fällt uns nicht leicht. Wir haben immerhin riesige Probebühnen“ bedauert er und bereitet sich vor: Der „Barbier von Sevilla“ soll wieder aufgenommen werden, auch die „Zauberflöte“. Im Juni soll, wenn Corona es zuläßt, mit „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono die nur scheintote Oper Wuppertal zu Leben erweckt werden. „Welches war denn für dich die Rolle, der Du viel Respekt entgegengebracht hast?“, fragt Sebastian Campione. Kurze Überlegung. „Vielleicht der betrunkene Vater in „Hänsel und Gretel“, an sich keine gro0e Rolle. Aber ich sollte ihn weit hinten auf der Bühne singen und mußte die Laufzeitverzögerung des Klangs bis zur Rampe kompensieren, damit meine Stimme dort gleichzeitig mit allem anderen ankommt. Tricky!“. Sind ihm schon mal richtige Pannen passiert. „Nein, Schmisse passieren nicht. Ich kann mich nur an einen erinnern, als die Koordination mit der Sopranistin nicht völlig homogen war und sie mich von unten bedeutungsvoll anschaute. Aber bevor auf bleichen Gesichtern Schweiß glänzte, war das Problem schon wieder vorbei.“

Was ist ihm im Probenalltag besonders wichtig? Genügend Zeit für intensive Vorbereitung. „Schweres unter Zeitdruck zu üben mag ich überhaupt nicht.“ Die Souveränität der Beherrschung braucht einfach Zeit, ihm „heilige“ Zeit. Er lerne die Musik oft schon sehr früh und beherrsche sie auswendig oft schon vor Beginn der eigentlichen Proben. Genügend Zeit für Absprachen mit der Dirigentin sei wichtig, welche natürlich im Verlauf der Probenarbeit auch wieder geändert werden. Als was sei er eigentlich eingestellt worden? Simon Stricker hält nicht soviel von der Einteilung in Fächer bzw. von Spezialisierung auf lyrischen, dramatischen oder Helden-Bariton, sauber, richtig und ausdrucksvoll zu singen ist ihm wichtig. 2016 beim Neuaufbau des Ensembles sei er als Allzweckwaffe eingestellt worden. Solch sympathische Allzweckwaffen sind im Zuge der aktuellen Kulturferne und ständigen Bedrohung unverzichtbar, wobei sie singend leider in diesem Podcast nicht eingesetzt werden. Seinem Faible für lange Melodiebögen und -linien bei Puccini und Verdi wäre man gerne gefolgt, was per youtube-Link sicher möglich wäre. Die Musik, welcher der Zuhörer im Podcast ausgesetzt wird, hat hingegen Vertreibungspotential. „Leider ist die „Boheme“ Corona zum Opfer gefallen, den „Marcello“ hätte ich schon gerne gesungen“, bedauert er. Unter dem sonoren Zwiegespräch der beiden tieferen Stimmen vergehen die knapp 30 Minuten wie im Fluge. In einem Monat kommt die zweite Folge, in der sich Sebastian Campione mit der Mezzosopranistin des Ensembles Iris Marie Sojer trifft.
 
Verfügbar auf allen gängigen Podcast-Plattformen: z.B. Apple Podcasts, Spotify, Deezer, Google Podcasts, Amazon Music und Podimo. Weitere Informationen unter: oper-wuppertal.de/podcasting
 
Darüber hinaus erzählen in »Mein Bühnenmoment« Sänger und Sängerinnen der Oper Wuppertal von bewegenden, aufregenden oder unvergeßlichen Momenten, die sie selbst auf der Bühne des Opernhauses erlebt haben. Simon Stricker erzählt dort über seinen Auftritt (mit Maschinengewehr) in ›AscheMOND oder The Fairy Queen‹. → Hier ist die gesamte digitale Präsenz von Oper, Schauspiel und Sinfonieorchester Wuppertal sichtbar.