Nachdenken über Grillparzer (2)

von Renate Wagner

Franz Grillparzer 1841 - Joseph Kriehuber pinx
Nachdenken über Grillparzer (2)
 
Von Renate Wagner
 
Wo würde man heute bei Österreich-Feiern noch „Es ist ein gutes Land“ zitieren lassen? Wer würde heute noch den Ausruf „O gutes Land! O Vaterland!“ wagen, auch mit Rücksicht auf die vielen Neuankömmlinge in unserer Heimat, die ihr Vaterland zurücklassen mußten?
Wir leben in einer sehr veränderten Welt.
Und die große Zeit Grillparzers als „vaterländischer“ Dichter ist vorbei.
Er wurde übrigens immer wieder benützt, das beweist der Weg durch die Biographien und Interpretationen.
Es gab jene Epoche, da man ihn unbedingt als den „Dichter der Deutschen“ reklamieren wollte, wo er doch Österreicher war wie kaum einer.
Aber freilich, 1946 wollte man ihn ganz schnell wieder zum „klassischen Wiener“ machen, mit seiner Hilfe sozusagen nach dem Gespenst des Deutschtums – aufgezwungen oder eher nicht, vorbei war vorbei – zurück zum Österreichertum.
Ein Österreichertum, das, sobald es ein sattes, prosperierendes Österreich wieder gab, nicht mehr gefragt war.
Und später? Hat man ihn da nicht durch den Fleischwolf einer Psychoanalyse gedreht, deren Tendenz die Herabwürdigung war? Der von mir an sich so geschätzte Hans Weigel, dem ich das allerdings nie verziehen habe, hat diesbezüglich in seinem Buch „Flucht vor der Größe“ einen Tiefpunkt gesetzt.
Das sollte uns übrigens an die Tatsache erinnern, daß es keine objektive Biographie gibt – jeder Autor hat seine Meinung, jeder Autor präsentiert Ihnen sein Objekt der Schilderung nach eigenem Augenmaß.
Julius Caesar ist mir in Biographien in allen Variationen zwischen Genie und Verbrecher begegnet. Und es stimmt schon, was einer der wichtigsten Forscher über Alexander den Großen angesichts der Hekatomben von Literatur seiner Kollegen festgestellt hat:
Jeder hat seinen eigenen Alexander.
Jeder hat auch seinen eigenen Grillparzer.
Über meinen Grillparzer nachdenken, einmal anders nachdenken, scheint mir der Weg, und damit bin ich jetzt schon sehr, sehr lange beschäftigt.
Mit größter Bewunderung dafür, was große Vorgänger geleistet haben – wer würde sich heute noch damit abgeben, jedes einzelne Buch in Grillparzers Bibliothek zu bibliographieren? Früher hat man es getan, das Verzeichnis findet sich in einer alten Broschüre über das Grillparzer-Zimmer, herausgegeben von Karl Glossy, ohne Jahr, ein kostbares Stück meiner privaten Grillparzer-Bibliothek.
Oder das Gesamtregister der 16bändigen Grillparzer-Ausgabe von Stefan Hock und Richard Smekal: Wie viel Arbeit hat man sich da gemacht, Orte, Menschen und Fakten aus Grillparzers Leben als Register so aufzuarbeiten, daß man gezielt suchen und finden kann!
Ganz zu schweigen von der Arbeit, die August Sauer leistete, als er unter dem Titel „Grillparzers Gespräche“ alles sammelte, was von Zeitgenossen als „O-Ton“, wie wir heute sagen würden, hinterlassen wurde.
Von dem Anmerkungsapparat der Historisch-kritischen Ausgabe will ich in Ehrfurcht gar nichts sagen, da ist jedes Fitzelchen an Dokumenten angeführt.
Und es hat, als Grillparzer noch etwas in diesem Land gegolten hat, zahlreiche große Ausstellungen über ihn gegeben, deren Kataloge Fundgruben dafür sind, was an Grillparzer-„Hardware“ vorhanden ist, um auch hier den modernen Ausdruck zu verwenden…
Und dann komme ich, sehe mir vieles an, das mir in die Hände kommt, durchaus – ich gestehe das – mit einem Gefühl kindlicher Beglückung.
Und weil ich Theaterwissenschaftlerin bin und es mit meinem alten Lehrer Prof. Kindermann halte, der gerne Goethe zitierte: „Das Theater bleibt immer eine der wichtigsten Angelegenheiten“, habe ich mich besonders bei den Theaterzetteln der Uraufführungen umgesehen, die oft in verschiedenen Publikationen bildlich dargestellt sind.
Nur – wo bleibt die „Ahnfrau“? Das erste aufgeführte Stück, der erste Riesenerfolg des jungen Dramatikers mit, wir würden schon sagen, einem schönen Schauerdrama, damals im Theater an der Wien?
Damals, das war der 31. Jänner 1817.
Kein Theaterzettel weit und breit.
Nun haben so viele Herrschaften wissenschaftlich so fabelhaft akribisch gearbeitet und das vorhandene Material zusammen getragen, daß ich die Sache eigentlich auf sich beruhen lassen könnte, aber das wäre unwürdig, wenn man sich mit einer Biographie befasst.
Ich beginne in der Theatersammlung, wo man besonders nett ist, alles durchwühlt, was man von dieser Zeit aus dem Theater an der Wien besitzt: nichts.
Wenn schon nicht die Premiere, so doch eine Folgevorstellung der „Ahnfrau“?
Auch das nicht.
Ich versuche es bei der Wien Bibliothek im Rathaus: besonders nett, leider nichts! Man schickt mir aber einen Bericht der Theaterzeitung, der ist kostbar.
Ich versuche es im Wien Museum bei meiner Nichte Elke Wikidal, die dort arbeitet: keine Frage, daß sie ganz lang und gewissenhaft sucht. Aber – nichts.
Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil ich ziemlich sicher bin, daß alles, was man aus Grillparzers Zeit noch finden konnte, gefunden ist. Das Material liegt vor.
Und jetzt? Es noch einmal umwälzen?
Natürlich, das ist unvermeidlich.
Aber – neu nachdenken ist das Motto.
Daß man grundsätzlich besser zu den Originalquellen geht als zur Sekundärliteratur, ist klar.
Daß man diese drehen und wenden muß,
daß nichts unbefragt und ungeprüft „for granted“ hingenommen werden kann, ebenso.
Schon gar nicht, was ein Dichter im Tagebuch und in autobiographischen Aufzeichnungen geschrieben hat.
Da muß man bekanntlich besonders vorsichtig sein.
 

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