Gier

Donna Leon – „Flüchtiges Begehren“

von Frank Becker

Gier
 
Commissario Brunettis 30. Fall
 
In Donna Leons 30. Venedig-Kriminalroman um den kultivierten Commissario Guido Brunetti, ein Philanthrop reinsten Wassers, finden wir den charismatischen Ermittler introvertierter denn je. Sein Leiden an der Welt, das einzig durch die zum Glück nicht wenigen ehrlichen Menschen seiner Umgebung, vor allem aber seine Familie als sicherem Hafen abgefedert wird, kann durch den Fall, den er zu bearbeiten hat, sicher nicht besser werden. Denn hier geht es, wie schon in „Lasset die Kinder zu mir kommen“ und „Vendetta“ um eines der widerlichsten Verbrechen, den Menschenhandel.

Es beginnt damit, daß zwei schwer verletzte junge amerikanische Touristinnen in einer Herbstnacht eher per Zufall auf dem Bootsanlegesteg vor der Notaufnahme des Ospedale Civile gefunden werden. Die mysteriösen Umstände lassen die Commissari Griffoni und Brunetti aufhorchen. Als sie die Ermittlungen aufnehmen und sich, weil ein Boot im Spiel war, mit der Küstenwache austauschen, werden Dimensionen sichtbar, die deutlich auf organisierte Kriminalität in ihrer schlimmsten Ausprägung hinweisen, kaltblütigen Mord und den Sklavenhandel mit Afrikanerinnen zum Zweck der Prostitution ohne Achtung vor der Würde des Menschen und ohne Rücksicht auf Menschenleben.
Über die Hintergründe des offenbaren Bootsunfalls der beiden jungen Frauen und ihre männlichen Begleiter stoßen Brunetti und Griffoni auf einen Transportunternehmer auf der Giudecca, der über durch seine legalen Geschäfte unerklärlichen Wohlstand verfügt und ebenso über unverhältnismäßig PS-starke Boote. Die beiden tauchen in die verschworene Welt der Bootsleute im Süden Venedigs ein und stoßen auf die hemmungslose Gier nach Geld – Triebfeder vieler Verbrechen.
 
Dem geübten Donna Leon-Leser fällt schnell auf, daß bis dato wichtige Standard-Nebenfiguren wie vor allem Vice-Questore Patta, aber auch Brunettis Schwiegereltern, die Faliers nur erwähnt werden, nicht erscheinen, Brunettis interner Intimfeind Tenente Scarpa gänzlich fehlt und daß die findige Sekretärin Signorina Elettra Zorzi (wie immer modisch auf der Höhe) und sein Freund Ispettore Lorenzo Vianello nur marginal tätig werden. Donna Leon scheint das Umfeld Brunettis vorsichtig umzubauen, ohne entscheidende neue Figuren einzuführen. Daß Claudia Griffoni stärker ins Geschehen eingreift, läßt hoffen, daß sie irgendwann vielleicht sogar ein größeres Büro in der Questura bekommt.
Werner Schmitz hat Donna Leons Roman in eine griffige und flüssig zu lesende deutsche Fassung gebracht, die den Spannungsbogen bis zum Showdown hält. Der allerdings enthält eine gänzlich unnötige Wendung, die nach dem sorgfältig geplanten und durchgeführten Coup von Küstenwache und Polizei gar nicht möglich sein sollte. Der einzige Mangel an der spannenden Geschichte, die diese dramatische Zuspitzung nicht gebraucht hätte.
 
Donna Leon – „Flüchtiges Begehren“
Commissario Brunettis dreißigster Fall
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Werner Schmitz
© 2021 Diogenes Verlag AG, 315 Seiten, Gebunden, Ganzleinen - ISBN-13: 9783257071207
24,- €
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch