Der rote Zauberhut

von Erwin Grosche

Markus Lüpertz - Foto © Frank Becker
Der rote Zauberhut
 
Es gibt Hüte, die machen unsichtbar und Hüte, die machen sichtbar. Oft braucht man nur den passenden Zauberspruch: „Unter einem Tropenhut geht’s mir antilopengut, unter meiner Baseballkappe ich nach einem Baseball schnappe.“ Der Hut schützt, kleidet, aber er ist auch ein Symbol. Mit ihm signalisiert man die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder daß man aus Dörenhagen kommt. Paderborns berühmteste Hutträger sind schnell vorgestellt. Ich erinnere an den Gitarristen Toto Blanke, der vielleicht der schönste Hutträger der Welt gewesen ist. Auch Jazzfreund Michael Werner wirkt ohne Hut wie eine Band ohne Bassisten, und wenn Puppenspieler Robert Husemann mit Hut auftaucht, denkt man, er wäre daraus gezaubert worden. Kürzlich traf ich den Künstler Eckhard Radau, der an dem Tag ungewöhnlich jung aussah. Ich wollte schon fragen, was er sich hat machen lassen, bis mir sein Hut auffiel. Ein Hut hält jung. Zum Glück haben wir in Paderborn den Hutladen Heinrichsdorff. Jeder sollte dort vorbeischauen und sich einen Hut aussuchen, der zu ihm paßt. Natürlich gibt es auch Baskenmützen. Das liebliche Aussehen der Bedeckung mit dem Zipfelchen ist oft nur schwer zu ertragen. Heinrich Böll rauchte deswegen Zigaretten, wenn er sie trug, Marlene Dietrich schaute unfreundlich, Ernest Hemingway erschoß sich und Pablo Picasso war darunter nackt. Die rote Baskenmütze taucht in unserem Straßenbild eher selten auf, dabei war sie im Anfang des 19 Jahrhunderts ein Widerstandssymbol des ersten Karlistenkriegs, als der aufständische General rote Baskenmützen als Erkennungszeichen einführte. Ich kenne nur einen Menschen, der eine rote Baskenmütze so tragen kann, als wäre sie ihm vom Himmel auf den Kopf gefallen. Es ist der Künstler Hans-Josef Mertensmeyer. Es ist dieser Zauberhut, dem er seine Schaffenskraft verdankt. Wer Hans-Josef zum Freund hat, wird nie Not leiden müssen. Er schöpft  seine Ideen aus einer Seelenlandschaft, in der man zur Ruhe kommt, um dann ganz neu starten zu können. Er kennt da auch mit 75 Jahren keine Grenzen. Was sich da unter seinem roten Hut ausbrütet, wird ihn oft selbst überraschen. Sein klassisches Ausleben von Liebe, Treue und Wohlerzogenheit, hindert ihn nicht daran moderne, gewagte und farbenbetonte Meisterwerke zu schaffen. Vielleicht gehören diese Charaktereigenschaften zusammen, um solche Ergebnisse wie bei der aktuellen Kunstaktion „Finkes Abriß“ zu erzielen. Welche Kraft und welcher Gestaltungswillen sich da austoben, erahnt man nicht, wenn Hans Josef einen besucht und Brot, Eier, Wurst und einen Apfelkuchen mitbringt. Gerade in diesen Zeiten braucht jeder Mensch einen Zauberhut. Gehen sie zu Heinrichsdorff, finden sie dort ihren Zauberhut und tun sie Gutes. Eine rote Baskenmütze, auch Mertensmeyermütze genannt, kann natürlich nur einer tragen. Du bist ein Lichtblick in grauen Tagen, du ewig junges Geburtstagskind, Hans-Josef.
 
Erklärungen für Nichtpaderborner:
Toto Blanke war ein berühmter Jazz Gitarrist, dessen Tourneen ihn in ganz Europa bekannt gemacht haben.
Michael Werner hat den Jazz nach Paderborn gebracht. Er ist im Paderborner Jazzclub aktiv.
Robert Husemann ist ein beliebter Paderborner Puppenspieler, der gerade an einem Puppenspiel über „Padermann, den Superhelden“ arbeitet.
Eckhard Radau ist ein Paderborner Kabarettist, der mit seinen Tucholsky-, Ringelnatz- und Kästnerprogrammen überall gastiert
Hans-Josef Mertensmeyer ist ein berühmter Paderborner Künstler, der am 28.5. 75 Jahre alt geworden ist.
„Heinrichsdorff“ ist ein berühmtes Hutgeschäft, dessen Einrichtung seit 1955 nicht mehr
geändert wurde. Wer sich hier einen Hut kauft, wird an die Anfangsszene des Romans „Hubert oder die Rückkehr nach Casablanca“ von Peter Härtling erinnert.
 
 © Erwin Grosche 2021