Italiensehnsucht!

Auf den Spuren deutschsprachiger Künstlerinnen und Künstler 1905-1933

von Rainer K. Wick

Ausstellungsansicht mit 'Monterosso al Mare' von Max Pechstein, 1924 (lks) und „Blick von der Villa Romana auf Florenz“ von Theo van Brockhusen, 1913 (re) - Foto © Rainer K. Wick

Italiensehnsucht!
 
Auf den Spuren deutschsprachiger Künstlerinnen und Künstler 1905-1933
 
Nach einer langen Durststrecke kommt der Kulturbetrieb bei aktuell rückläufigen Inzidenzwerten allmählich wieder in Gang. So konnte inzwischen auch das Museum August Macke Haus in Bonn – es handelt sich um das durch einen Museumsneubau erweiterte ehemalige Wohn- und Atelierhaus des rheinischen Expressionisten August Macke – endlich seine Pforten öffnen. Zu besichtigen ist hier seit dem 18. Juni die Ausstellung „ITALIENSEHNSUCHT! Auf den Spuren deutschsprachiger Künstlerinnen und Künstler 1905–1933“.
 
Die – bis heute ungebrochene – Italiensehnsucht der Deutschen hat eine lange Tradition, die bis in die Zeit der Romzüge deutscher Kaiser im Mittelalter zurückreicht. In ihrem Gefolge kamen Aristokraten und Angehörige der Kurie nach Italien, später strömten Pilger, Kaufleute und Handwerker über die Alpen, dann, seit der Renaissance, auch Künstler und Gelehrte, um den Delitiae Italiae, den sinnlichen wie auch intellektuellen Genüssen Italiens – Resultat einer einzigartigen Mischung aus Klima, Kunst und Kultur, aus gebändigter Natur und geschichtlichem Erbe – zu frönen. Einen zentralen Platz in der Geschichte der Italienreisen nimmt in der Neuzeit die sog. Grand Tour, die Kavalierstour, ein. Sie diente der Vorbereitung der jugendlichen Adeligen auf ihre späteren Aktivitäten bei Hofe, der Erweiterung ihres Gesichtskreises, der Vertiefung ihres Erfahrungswissens und ihrer Selbstkultivierung. In der Tradition der Grand Tour schickte dann seit dem 18. Jahrhundert auch das gehobene Bürgertum seine Söhne auf Reisen, die bald explizit den Charakter von Bildungsreisen annahmen. Zur Entfaltung gelangte dabei ein neuartiges literarisches Genre, das der Reiseliteratur. Prägend war in diesem Zusammenhang Goethes auf Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1786 bis 1788 beruhende „Italienische Reise“, ein autobiografisch grundierter Reisebericht, der die Italiensehnsucht ganzer Generationen angeheizt hat.
 

Mathilde Vollmoeller-Purrmann, Piazza del Popolo mit Blick auf Santa Maria in Monte Santo und Santa Maria dei Miracoli,
Rom, um 1924-27 - Foto © Rainer K. Wick

Eine spezifische Form der Italienreise ist der – meist zeitlich ausgedehnte –Künstleraufenthalt mit dem Ziel, sich durch Natur und Kultur, Landschaft und Geschichte, Klimabedingungen und Lebensgewohnheiten des Landes „wo die Zitronen blühn“ (Goethe) inspirieren zu lassen, also südlich der Alpen künstlerische Anregungen zu suchen und zugleich das eigene Profil als Künstler zu schärfen und die professionellen Kompetenzen zu erweitern. Das ist eine Traditionslinie, die sich bis Albrecht Dürer zurückverfolgen läßt. Die Ahnenreihe ist lang. Hier – eher unsystematisch und natürlich unvollständig – nur einige Namen: Rubens, Poussin, Lorrain, Thorwaldsen, Schadow, Schinkel, Klenze, Koch, Dahl, Carus, Tischbein, Cornelius, Carlosfeld, Pforr, Overbeck, Blechen, Nerly, Bonington, Turner, Corot, Böcklin, Marées, Thoma, Lenbach, Monet, Signac und andere.
 
Daß Italien auch im 20. Jahrhundert in Scharen vor allem deutschsprachige Künstler angezogen hat, zeigt derzeit die schöne  Ausstellung „Italiensehnsucht!“, die die Kunsthistorikerin (und neue Direktorin des Kunstmuseums Ahlen) Martina Padberg im Bonner Macke Haus eingerichtet hat. Ihr Fokus liegt auf den Jahren von Max Klingers Gründung des Künstlerhauses Villa Romana in Florenz 1905 bis zum Beginn der NS-Herrschaft in Deutschland.
 
 
 Alexander Kanoldt, Ansicht von Subiaco, 1924 - Foto © Rainer K. Wick

Daß sich deutschsprachige Künstler, die der sogenannten klassischen Moderne zuzurechnen sind, Italien zuwandten, mag überraschen, war Anfang des 20. Jahrhunderts doch Paris das Mekka der Moderne, und Italien mit seinem überwältigenden historischen Erbe – Antike, Renaissance, Barock – erzeugte bei manch progressivem Künstler einen regelrecht antiakademischen Affekt, der bei Paul Klee in der lapidaren Frage „warum Italien?“ kulminierte. Gleichwohl war und blieb das Land ein beliebtes Ziel deutscher Künstlerinnen und Künstler – zumal dann, wenn dies mit einem Stipendium in der Villa Romana oder in der Villa Massimo verbunden war. So kamen etwa der Mitbegründer der expressionistischen „Brücke“-Gruppe Karl Schmidt-Rottluff, August Mackes Vetter Helmuth Macke oder der Bauhäusler Max Peiffer Watenphul als Stipendiaten nach Rom. Und in der Florentiner Villa Romana arbeiteten Max Beckmann, die mit Beckmann befreundete Dora Hitz oder Hans Purrmann, Schüler und Freund von Henri Matisse.
 

 Max Pechstein, Monterosso al Mare, 1924 (© 2020 Pechstein Hamburg/Tökendorf) - Foto © Rainer K. Wick

Die Bonner Ausstellung vermittelt mit rund hundert Arbeiten – Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien und einigen Skulpturen – von dreißig Künstlerinnen und Künstlern ein motivisch und stilistisch breites Spektrum, das vom Spätimpressionismus über expressionistische und kubistische Tendenzen bis hin zur Neuen Sachlichkeit reicht. Dabei dominieren Landschaften und Stadtansichten, Figuratives bleibt eher marginal. Neben Bekanntem überraschen nie gesehene Leihgaben aus Privatbesitz, und überraschend sind auch zahlreiche Werke von „Malweibern“, wie malende Frauen zur jener Zeit despektierlich genannt wurden. Erwähnt seien nur die großformatige „Weinernte“ (um 1910) der Villa Romana-Preisträgerin Dora Hitz, eine Momentaufnahme vom Landleben unter der Sonne des Südens, die locker gemalten Italienaquarelle von Mathilde Vollmoeller-Purrmann oder die Ölskizzen und Fotografien Gabriele Münters, die sich 1906 mit ihrem damaligen Lebensgefährten Wassily Kandinsky in Rapallo aufhielt.


Adolf Erbslöh, Positano, um 1923 - Foto © Rainer K. Wick

Besonders beliebt war bei deutschsprachigen Künstlerinnen und Künstlern der Fischerort Positano an der Amalfiküste, der sich in den frühen zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu einer lebendigen Künstlerkolonie entwickelte, wo zeitweise u.a. Anita Rée, Carlo Mense und Richard Seewald lebten und Adolf Erbslöh um 1923 seine spektakuläre Ansicht des steil aufragenden Ortes vor dem Hintergrund eines schroffen Bergmassivs malte – ein Bild, das in seiner dramatisch gesteigerten Formgebung der ein Jahr später entstandenen, das Kubische betonenden „Ansicht von Subiaco“ von Alexander Kanoldt durchaus vergleichbar ist. Dominiert hier durch die gebrochenen Farben eine verhaltene Grundstimmung, entfesseln die ehemaligen Brücke-Maler Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff mit kräftigen Rot-, Gelb-, Blau- und Grüntönen einen regelrechten Farbenrausch. Schmidt-Rottluffs „Monte Palatino“ von 1930 zeigt eine Erhebung mit einigen schlichten Häusern sowie Palmen, Zypressen und Pinien und erscheint auf den ersten Blick wie eine x-beliebige südliche Landschaft. Erst beim zweiten Hinsehen kommt dem Betrachter das antike Erbe dieses bedeutungsschwangeren römischen Hügels und seiner Kaiserpaläste zum Bewußtsein, angedeutet durch eine umgestürzte Säule im Vordergrund und Überreste alten Ziegelmauerwerks im Mittelgrund.
 

Max Peiffer Watenphul [im Uhrzeigersinn], Römischer Kopf; Rom, Aufgang zum Kapitol; Rom,
Trajanssäule; Rom, Am Kapitol [sog. Nil], alle 1932 - Foto © Rainer K. Wick

Im Unterschied zu diesem Gemälde Schmidt-Rottluffs ist die Gegenwart der römischen Vergangenheit in den großartigen Fotografien von Max Peiffer Watenphul, der am Weimarer Bauhaus studiert und sein halbes Leben in Italien verbracht hat, unmittelbar evident. Doch sind die 1932 in Rom entstandenen Aufnahmen alles andere als reine Objektfotografien oder touristische Postkartenansichten. Vielmehrt markieren sie mit ihren zum Teil ganz unkonventionellen Perspektiven, ihren harten Schlagschatten und ihrer strengen Bildtektonik innerhalb der progressiven Fotografie des sog. Neuen Sehens der Zwischenkriegszeit eine bemerkenswert eigenständige Position. Zusammen mit Peiffer Watenphuls Ölgemälde „Villa Massimo in Rom“ von 1934 bilden diese Fotografien den Schlusspunkt einer sehenswerten Schau, die nicht nur ein Augenschmaus für Italienliebhaber ist, sondern deren Besuch auch dazu anregen kann, eine eigene Italienreise auf den Spuren der hier ausgestellten Künstlerinnen und Künstler zu planen.
 

Ausstellungsansicht mit 'Weinernte' von Dora Hitz, um 1910- Foto © Rainer K. Wick

Die Ausstellung läuft noch bis zum 19.09.2021. Im Wienand-Verlag Köln ist ein reich bebildertes Katalogbuch mit Textbeiträgen der Kuratorin Martina Padberg, des ehemaligen Direktors der Villa Massimo in Rom Joachim Blüher und der Kunsthistorikerin Magali Wagner erschienen, an der Museumskasse erhältlich zum Preis von 19,90 €, Buchhandelspreis 25,00 €.
 
Weitere Informationen: www.august-macke-haus.de/