In einer Stimmung der Düsternis

„Der Spion“ von Dominic Cooke

von Renate Wagner

Der Spion
Ironbank / GB 2020

Regie: Dominic Cooke
Mit: Benedict Cumberbatch, Merab Ninidze u.a.
 
Dieser Film erzählt eine wahre Begebenheit, die dramatisch genug ist – wie ein Drehbuch. Man fragt sich, wie naiv Menschen sein können, die in Spionagetätigkeit gleichsam „hineingleiten“? Lesen die keine Thriller, gehen die nie ins Kino? Ahnt der freundliche britische Geschäftsmann, Mr. Greville Wynne, wirklich nicht, in was er hinein gerät, wenn er mit dem freundlichen Russen Oleg Penkowski scheinbar harmlosen Kontakt aufnimmt (ohne zu ahnen, wie MI 6 und CIA ihn da mißbrauchen)? Oder war man in den frühen sechziger Jahren – in dieser Epoche des eiskalten Krieges zwischen Ost und West spielt die Geschichte – wirklich unschuldiger?
Tatsache ist, daß zwei Männer hier Marionetten ihrer Geheimdienste werden, so daß fast undurchschaubar ist, mit wie viel Tücke zumindest der unschuldsvolle englische Geschäftsmann hier manipuliert wird: Benedict Cumberbatch spielt ihn an als grundanständigen Mann, der den russischen Bekannten und Geschäftspartner (undurchsichtig, aber nicht unsympathisch: Merab Ninidze) nach und nach regelrecht gerne mag. Es ist, und das ist das menschlich Schöne daran, auch die Geschichte einer ehrlichen Freundschaft auf beiden Seiten. Cumberbatch läßt aber auch den zunehmenden schweren Druck spüren, unter dem er steht.
Während der Brite dabei aber vor allem um seine Familie und seine finanzielle Situation besorgt ist, hat der Russe tiefere Einblicke in die sowjetischen Verhältnisse. Er ahnt, daß ein unberechenbarer Nikita Chruschtschow zu mancherlei imstande wäre und läßt folglich aus Patriotismus, weil er eine Atomkatastrophe verhindern will, den Engländern Informationen zukommen (obwohl er doch eigentlich für die Heimat spioniert).
 
Was Regisseur Dominic Cooke hier sehr überzeugend entwickelt, ist (im Gegensatz zu all den herrlichen, abenteuerlichen Spionage-Thrillern, die wir auf der Leinwand so gerne sehen) die absolute Glanzlosigkeit des Alltags der Männer, die unter dem Deckmantel irgendwelcher beruflicher Tätigkeiten die brisanten Informationen hin und her transportieren. Eine Stimmung der Düsternis (wie sie die Sowjetunion damals tatsächlich ausgezeichnet hat) liegt schwer über dem Geschehen.
Man spürt in der Realität (was ja auch die Krimis nicht verschweigen), wie gewissenlos die Geheimdienstleute ihre Agenten herumschieben und auch opfern. Und wie achselzuckend man einer Ehefrau erklärt, daß ihr Mann von den Russen geschnappt wurde und man ihm dort den Prozeß macht – das sind dann große Szenen für einen kahl geschorenen, verzweifelt herumbrüllenden Cumberbatch.
Man verrät nichts, was nicht bekannt ist, Greville Wynne kam davon, wurde nach ein paar Jahren in einem russischen Gefängnis ausgetauscht, als die Briten den Russen für ihn endlich jemand Gleichwertigen anbieten konnten. Penkowski wurde sang- und klanglos hingerichtet. In einer letzten Begegnung bat er den Freund um Verzeihung – und bekam sie. Wynne hat sich immer zur wahren Freundschaft mit dem Russen bekannt.
Die Briten haben den Heimkehrer triumphal empfangen. Am Ende des Films ist der echte Greville Wynne zu sehen. Auf die Frage, ob er je wieder in den Osten reisen werde, kann er nur sagen, daß er es nicht weiß… Er wird sich hüten, möchte man annehmen.
 
 
Renate Wagner