Immer auf dem Sprung

Jan Eduard Augener – „Zwischen den Welten. Aus dem Tagebuch eines Patiperro“

von Johannes Vesper

Immer auf dem Sprung

Unterwegs mit einem Patiperro
 
Nach Alexander von Humboldt (1769-1859) ist die „gefährlichste aller Weltanschauungen die der Leute; welche die Welt nie angeschaut haben“. Zu diesen Leuten gehört Jan Augener nicht.
Schon als Student der Politikwissenschaften hatte er Charles Darwin, Alexander von Humboldt und Alfred Wegener im Kopf und reiste also in 25 Jahren als Rucksacktourist durch 65 Länder. Nach der Promotion (2008) über ein politikwissenschaftliches Thema des globalen Südens ist er als Studienreiseleiter ca. 1/3 des Jahres in Süd- und Mittelamerika sowie auf Island und in Botswana unterwegs. Patiperro ist der chilenische Begriff für so einen, der mit brennender Neugier auf der Straße unterwegs ist. Im Deutschen fallen einem dazu die Begriffe Weltenbummler oder Globetrotter ein, für die der Weg das Ziel der Reise ist, was der alte Konfuzius schon wußte.
Auf 247 Seiten seines Buches „Zwischen den Welten“ läßt uns der Autor teilhaben an schönsten Erlebnissen seiner Reisen in die USA, in Nepal und in Brasilien (Amazonas und Ostküste).
 
Als 20jähriger mit dem gleichaltrigen Freund einen gebrauchten, tiefergelegten, feuerroten Pontiac Firebird mit Breitreifen in Miami zu kaufen, bedurfte munterer Unternehmungslust, die sich dann voll entfaltete, wenn die beiden in fünf Wochen von Miami nach San Francisco rauschen, nur ausgestattet mit kleinem Iglu-Zelt von Aldi, einem Campingtisch, einem Esbit Taschenkocher, einem USA-Baedeker und einem Straßenatlas. Gegessen wurde Dosenfutter, getrunken Gatorade (isotonisches Gesöff mit verschiedenen Geschmacksrichtungen). In New Orleans kamen sie nachts unter die Räder, fuhren morgens versifft, übermüdet zu den Seen Louisiannas, in denen die Lebensgeister langsam wiederkehren. Das Reisen ohne Papiere erfordert Charme Glück und ehrliche Finder. Denn Reisepaß, Führerschein , Flugticket, Kreditkarte und Impfausweis wurden tatsächlich  beim Burger King in Las Crucas (Mexico) mit dem Tablett in den Müll entsorgt. Weg war alles. Mit den Kopien der Dokumente konnte man damals noch die Grenze von Mexico zur USA queren. Das waren noch Zeiten.

Das lebendig und anschaulich geschriebene Original-Tagebuch der gesamten Reise füllt die ersten 40 Seiten. Daß man auch als Individualreisender dem Massentourismus nicht entkommt, wurde den beiden beim Besuch des Grand Canyon klar, der schon damals auch per Flug (80.000 touristische Flüge über der grandiosen Landschaft bis zu 10.000 Flüge pro Monat) besichtigt werden konnte. Gottseidank überlebten die beiden die infernalische Hitze des Death Valley ebenso wie die teilweise nahen Bekanntschaften mit Wüstenkänguruhratten, kalifornischen Eselhasen (Kein Schimpfwort!) oder nächtlich auch von Schakalen. Endlich erreichten sie den Pazifik, gaben sich dem Schwimmen und Surfen hin, was nach wochenlangem Trip durch amerikanische Einsamkeit („where the roads have no name“), etlichen versauten Nächten ohne Duschen dringend notwendig schien. Mit der Geschichte vom Verkauf des feuerroten Thunderbird in San Franciso, der auf dieser Reise nur einmal den Geist aufgab, endet dieses Tagebuch.
Auf den 50 Seiten des 2. Kapitels läßt uns der Autor an seiner vierwöchigen Reise im Jahre 2001 nach Nepal teilhaben. Nach dieser Lektüre hat man einen Eindruck von dem Chaos in Kathmandu, seinen Müll- und Abwasserproblemen, der Freundlichkeit der Nepalesen und von der grandiosen Himalaya-Landschaft, in der man als Tourist allerdings nicht allein den Sonnenaufgang am Poon Hill genießen kann. Zusammen mit hunderten von Touristen erblickt man morgens in aller Herrgottsfrühe das  Gebirgspanorama des Dhaulagiri (81667 m) und des Annapurna (8091 m). Paarungswütige Nashörner bedrohten unseren Reisenden, der mit herabgelassenen Hosen im Freien seine Notdurft verrichten muß, litt er doch nach Genuß infizierten Trinkwassers an heftigem Magen-Darm-Infekt. Die Reise endete in der Tempelstadt Janakpur (an die 120 Tempel), in der sich zahllose indische Pilger tummeln. Over-Tourismus anderer Art. Demjenigen, der nach Nepal reisen will, wird dieser informative Text über Land und Leute hiermit dringend empfohlen.
 

Jan Augener 2013 in Peru

Zuletzt wird auf 140 Seiten über eine zweimonatige Reise durch Brasilien im Sommer 2002 im Anschluß an sein Studienjahr in Santiago de Chile berichtet. Wie er von Manaus mit dem Schiff den Amazonas hinunter schippert, dann entlang der brasilianischen Atlantikküste, wird angereichert mit die privaten Erlebnissen, An- und Hinsichten, lebhaft geschildert. Die Beschreibung des Fischmarkts von in Belem läßt an den Fischmarkt Zolas im „Bauch von Paris“ denken. Die Altstadt von São Luis do Maranho (UNESCO-Weltkulturerbes, gegründet 1612) zeigt mit schmucker Architektur den Einfluß zahlreicher europäischer Nationen und weist mit dem Museo de Negro auf deren Rolle und Bedeutung beim Dreiecks-Sklavenhandel des 17. Jahrhunderts hin. Hier kamen die afrikanischen Sklaven an, bevor sie auf die Zuckerrohrplantagen ins Landesinnere transportiert wurden. Das „Florenz der Tropen“ - das ist die große Industriestadt Recife -, das kleine portugiesisch-barocke Olinda nebenan wurden besucht. Die barocke Altstadt Salvador de Bahia mit hunderten von prachtvollen Kirchen, ursprünglich auf Kosten der indigenen Bevölkerung bzw. von Sklaven gebaut, wurde dank UNESCO jetzt restauriert, „gnadenlos kommerzialisiert und gentrifiziert“. Den Capoeira, einen brasilianischen Kampftanz mit afrikanischen Elementen aus der Sklaverei zur Musik des Berimbau, darf man sich nicht entgehen lassen. Beim Berimbau handelt es sich um einen präparierten Flaschenkürbis, der die Resonanz eines elastischen Holzbogens mit Drahtsaite verstärkt, die mit einem Schlagstöckchen angeschlagen wird. Natürlich wurde viel mehr besucht, als hier geschildert werden kann. Über Rio de Janeiro gibt es ein langes Kapitel. Den Reisestil des Autors zu kopieren wird nicht jedem leichtfallen. Das Reisen mit Bus, Schiff und Flugzeug erfordert Mut und Improvisation. Nicht jeder wird sich mit fremden Leuten Doppelzimmer in Kaschemmen teilen oder mit ihnen gemeinsam Büffel reiten. Private Fotos ergänzen die lockeren und unterhaltsamen Texte.
 

Jan Augener 2013 in Peru

Sie stammen von einem eingefleischten Individualtouristen, dem die Probleme des modernen Tourismus durchaus gewärtig sind. Unsagbare Müll- und Menschenmengen an den schönsten Orten der Welt sind heutzutage mit Fernflügen in Jumbos leicht zu erreichen. Nachhaltigkeit von Massen- und Partytourismus ist nicht Thema dieses Buches, wäre aber des Nachdenkens wert. 2030 rechnet man mit 1,8 Milliarden international Reisender. Die mit einem solchen Overtourismus verbundenen Probleme werden zunehmen. Zuletzt noch der Hinweis auf andere Zeiten und andere Sitten. Im 19. Jahrhundert latschte Johann Gottfried Seume noch zu Fuß alleine von Grimma nach Sizilien und Theodor Fontane durch die Mark Brandenburg. Auch nicht schlecht. Blaise Pascal behauptete gar, „alles Unglück der Menschen kommt davon her, daß sie nicht verstehen, sich ruhig in der Stube zu halten“.
 
Jan Eduard Augener – „Zwischen den Welten. Aus dem Tagebuch eines Patiperro“
© 2021 Jan Augener, 248 Seiten, Broschur, 1. Auflage Berlin/Norderstedt - ISBN: 978-3-7534-5747-5
20,99 €