Vergeigt, verzuckert, verdorben

„Die perfekte Ehefrau“ von Martin Provost

von Renate Wagner

Die perfekte Ehefrau
La bonne épouse - Frankreich 2020

Drehbuch und Regie: Martin Provost
Mit: Juliette Binoche ,Yolande Moreau Noémie Lvovsky Edouard Baer u.a.
 
Natürlich ist es ein Film über weibliche Emanzipation – oder sollte zumindest einer sein. Man fragt sich, ob es tatsächlich „so kurz her“ ist, daß es in den späten sechziger Jahren in Frankreich noch „Frauenhaushaltsschulen“ gab, in denen gelehrt wurde, eine „perfekte“ Frau zu sein. Das heißt eine, die ihre eigene Unterdrückung annimmt und angehalten ist, sie gewissermaßen freudig zu leben. Kinder, Küche, Kirche. Alles zum Wohl des Ehemanns. Kochen, Haushalt führen, ihm seine Wünsche vom Gesicht ablesen…
In ihrem Internat, noch kurz vor 1968, predigen das drei Damen mit schierem Enthusiasmus: Paulette Van der Beck, deren Gatten die Schule gehört, ohne daß er selbst etwas dazu beitrüge, außer… das klärt sich später. Ihre drollige Schwägerin Gilberte Van der Beck, die vor allem für Kochkünste zuständig ist, denn Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen, und eine Nonne ist auch noch dabei, die vor allem zu Unterwerfung unter den männlichen Willen auffordert.
Man traut seinen Augen und Ohren nicht, und ist auf Seite der jungen Teenager-Mädchen, die das alles eigentlich auch nicht mögen, deren Protest aber noch harmlos ausfällt. Wenn einer der Schülerinnen das Wort „Feminismus“ in den Mund nimmt, ist das wirklich „horrible“! Und wenn ein Mädchen versucht, ein anderes zu küssen, wird sie von dieser weggestoßen – so etwas darf es ja nicht geben. (Und man muß jetzt schon berichten, daß der Film mit ewig ähnlichen Szenen gewaltig auf der Stelle tritt.)
 
Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Als der ältliche Gatte von Paulette das Zeitliche segnet, stellt sich heraus, daß seine Vorliebe für Pferdewetten das Institut an den Rand des Ruins getrieben hat. Das ist das eine. Und als Paulette in dem Notar André ihre Jugendliebe entdeckt, ändert sich noch einiges. Da kann der Panzer der Perfektion ganz schöne Sprünge bekommen – und man erlebt die einstige Kunstfrau vor Glück ganz verwandelt.
Und außerdem… ja, man schreibt 1968, da gingen nicht nur die Studenten in Paris auf die Barrikaden, da formierte sich mit Gewalt ein neues Weltbild, das die Schülerinnen begeistert aufnehmen.
Kurz, man könnte eine Menge Brisanz in der Geschichte finden, aber Regisseur Martin Provost beläßt es bei einer so harmlosen, wenn auch nett-angenehm ironischen Komödie, daß man überall die verpaßten Möglichkeiten zu spüren meint.  
Auch ist die Dramaturgie etwas wacklig, die Mädchen werden nicht wirklich profiliert, auch die Nonne (Noémie Lvovsky) nicht (wenngleich sie am Ende nach Jeanne d’Arc ruft), die Männer bleiben im Hintergrund, auch wenn sich Edouard Baer als Liebhaber André in allerlei Splapstick vorhopsen muss. Nur Yolande Moreau  ist als Schwägerin schon von der Erscheinung her die geborene Komikern.  
 
Juliette Binoche predigt von Anfang an die Eigenschaften der idealen Ehe- und Hausfrau in den allerhöchsten Tönen und mit einem bezaubernden Enthusiasmus. Ob sie es wirklich glaubt? Logisch, daß sie Theater spielt, wenn sie die geforderte Perfektion scheinbar vorlebt wobei sie entzückend übertreibt. Aber da hätte der Regisseur schon einen doppelten Boden einziehen müssen… Schließlich bedeutet der Tod des Gatten, daß sie plötzlich auf eigenen Beinen stehen und Verantwortung übernehmen muß.
Aber die Geschichte wird immer lustspielhafter, bis sie im Finale in eine musicalartige Gesangs- und Tanzszene ausbricht, wo Lehrerinnen und Mädchen die Namen der großen weiblichen Widerspenstigen der Geschichte hinausjubeln. Das ist dann so billig, daß es nichts mehr nützt, wenn Paulette ausruft: „Ich erzähle keinem Mädchen mehr, daß sie als Sklavin eines Mannes glücklich wird!“ Das wirklich zu erzählen, hat sich der Regisseur selbst vergeigt, verzuckert, verdorben.
Es ist, seien wir ehrlich, vom Inhalt und der Aufbereitung her, eine dürftige Sache. Wäre da nicht die Binoche… Aber da ist Juliette Binoche, und ihr Zauber steckt alles in die Tasche!
 
 
Renate Wagner