Unkorrekt, sexistisch, blasphemisch (also perfekt)

Martin Perscheid †

von Frank Becker/Red.

Martin Perscheid - Foto © Sabrina Didschuneit
Unkorrekt, sexistisch, blasphemisch
(also perfekt)
 
Martin Perscheid ist gestorben
 
Der Cartoonist Martin Perscheid, unser Samstags-Kolumnist, ist im Alter von nur 55 Jahren gestorben. Nach langer Krankheit hat er in der Nacht zum 31. Juli den Kampf gegen den Krebs verloren. Martin Perscheid lebte und arbeitete bis zu seinem Tod in Wesseling bei Köln. Er hinterläßt seine Ehefrau und zwei Kinder.
„Dieser Verlust ist dramatisch. Wir verlieren mit Martin Perscheid nicht nur einen der besten und populärsten Zeichner der Komischen Kunst, sondern auch ein Vorbild und einen Wegbereiter – und einen Freund. Wir trauern mit seiner Familie und mit seinen vielen Fans“, sagt Martin Sonntag, Leiter der Caricatura Galerie. Antje Haubner, Programmleiterin des Lappan Verlages: „Martin Perscheids Humor war nicht erfrischend, er war schwarz. Er wollte mit seinen Cartoons nicht nur spielen, sondern zubeißen. Dort, wo es wehtut und wo andere sich lieber wegducken, weil es kaum auszuhalten ist. Wir trauern um einen der größten deutschen Cartoonisten und um einen lieben Freund. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie.“
Seit 1994 wurden seine Cartoons in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht, 1995 erschien sein erstes Buch im Lappan Verlag. Unter dem Titel „Perscheids Abgründe“ schuf er über 4.300 Cartoons und wurde zu einem der bedeutendsten Cartoonisten unserer Zeit.
Er wurde mehrfach ausgezeichnet: Im Jahr 2002 erhielt er den „Max & Moritz-Preis“ für die beste deutsche Comic-Serie. 2004 belegte er den dritten Platz beim „Deutschen Karikaturenpreis“, 2018 ebenfalls den dritten Platz beim „Deutschen Cartoonpreis“. Martin Perscheid ist zudem Träger der Kulturplakette der Stadt Wesseling, die ihm 2006 verliehen wurde. Die Caricatura in Kassel ehrte ihn 2016 mit dem „Denkmal für den unbekannten Idioten", das seitdem auf dem Vordach der Caricatura am Kasseler KulturBahnhof steht.
 
Seit Anfang 2016 hatte Martin Perscheid eine feste Samstags-Kolumne in den Musenblättern, die selbstverständlich weiter erscheinen wird, um an ihn zu erinnern.
 
 
Politisch völlig unkorrekt, extrem sexistisch, männerfeindlich,
frauenfeindlich, blasphemisch, manchmal echt bösartig
 
Wir leben nun mal in einer völlig verrückten Welt voller korrupter Diktatoren, einer Gesellschaft ohne Anstand und Stil, dafür voller Irrtümer, Lügen, Selbstüberschätzungen. Manchmal sieht es aus, als wären wir von lauter Selbstdarstellern zum Fremdschämen umgeben. Da braucht es schon Leute wie Martin Perscheid, die mit dem Zeichenstift dreinfahren, um Spießer und Politiker, Lügner und Betrüger, SUV-Besitzer und Neonazis, Schwanzgesteuerte und Frauenbewegte, Chauvinisten und Veganer mit all ihren Tölpeleien und Dummheiten, ihrer Hybris und Arroganz vorzuführen, sie zu verhöhnen, durch den Kakao zu ziehen und mit grobem Spott und beißendem Hohn zu überziehen.
 

Politisch völlig unkorrekt war er, extrem sexistisch, männerfeindlich, frauenfeindlich, blasphemisch, gerne auch mal echt bösartig und wider den sogenannten guten Geschmack – also perfekt. So haben wir ihn geliebt und werden es weiter tun. Zu seinen bevorzugten Zielen gehörten von Dogmen vernagelte Menschen und Meinungen sowie deren grenzenlose Dummheit: eben Frauen, Männer, Moslems, Frauen, Pfaffen, Jesus, die Kirche, Fette, Frauen, Trump, Politiker, Glaubensfanatiker jeder Färbung, Dumme, Klugscheißer, Querdenker und andere Dumpfbacken, Soziale Medien, Tierfreunde, Musiker und Heimwerker, Frauen am Steuer, Quoten, Männer bei Logik-Versuchen, Frauen, Musiker, Youtuber, Erziehungsberechtigte und Eltern. Habe ich jemanden vergessen? Am allerliebsten sind Perscheid mögliche Kombinationen aus den genannten Gruppen gewesen, also z.B. SUV fahrende Frauen und SUV fahrende Männer, vor allem dumme Nazis, dumme Politiker, dumme Moslems, dumme Youtuber oder dumme Frauen und dumme Männer. Von allen gibt es leider reichlich genug, um Witze über die zu reißen. In der Schauspielerei nennt man Leute wie ihn eine Rampensau. Den passenden Ausdruck für seine Branche habe ich noch nicht gefunden, freue mich aber über Anregungen.
Frauenverbände, rief er auf den Plan, christliche wie moslemische Fanatiker und die üblichen Berufs-Ästheten. Doch Perscheid nahm da erfreulich wenig Rücksicht. Die Wahrheit wird eben hie und da nicht gerne gesehen. Daß z.B. 10 Sekunden Geschlechtsverkehr einigen Frauen offenbar nicht genügen. Na klar, da ist mal wieder der Mann schuld. Ein bißchen politisch korrekt war Perscheid dann doch, denn er hätte niemals einen Cartoon gezeichnet, in dem man einen Hund „Erdogan“ nennt. Und nie hätte er Herrn Putin nie mit nacktem Oberkörper abgebildet, Frauen verunglimpft, die Katzen und Einhörner lieben, gar hätte er SUV-Besitzern kleine Penisse unterstellt oder Frauen überhaupt in irgendeiner Form geschmäht.


Martin Perscheid, Denkmal des unbekannten Idioten, © Caricatura, 2016

Martin Perscheid war einzigartig, wir werden ihn nicht vergessen, sondern ihn feiern, solange wir Cartoons von ihm haben.