Psycho-Thriller und Vexierspiel

„The Father“ von Florian Zeller

von Renate Wagner

The Father
GB 2020 

Originalstück, Drehbuch (mit Christopher Hampton) und Regie: Florian Zeller
Mit: Anthony Hopkins, Olivia Colman, Imogen Poots u.a.
 
Viele Wiener Theaterbesucher werden „Der Vater“ kennen: Das Theaterstück des französischen Autors Florian Zeller wurde 2016 mit Erwin Steinhauer als Vater und Gerti Drassl als Tochter in den Josefstädter Kammerspielen gezeigt. Ein Stück über einen sehr alten Alzheimer-Patienten, und was das für ihn selbst und seine schwer belastete Umgebung bedeutet. Nicht gerade leichte Kost. Wer das Problem selbst aus seiner Umgebung kennt, weiß alles darüber, wer nicht, der kann nur beten, dass es ihm nicht begegnet.
Als Theaterstück tat sich der „Vater“ ein wenig schwer, weil man Realität und Irrealität, wie sie im Kopf des Titelhelden umherschwirren, da weniger gut auseinander halten kann. Im Film gelingt das leichter, und daß kein Geringerer als der britische Dramatiker-Star Christopher Hampton dem Franzosen Zeller beim Drehbuch geholfen hat, erwies sich als höchst erfolgreich – das gab nicht nur eine „Oscar“-Nominierung, sondern gleich den „Oscar“ für das „beste adaptierte Drehbuch” selbst. Der Film, den Florian Zeller persönlich inszenieren durfte, erwies sich mit sechs Nominierungen überhaupt als eine der Überraschungen der „Oscar“-Verleihung von 2021. Als besondere Pointe wurde empfunden, daß Hauptdarsteller Anthony Hopkins während der Zeremonie angeblich friedlich zuhause saß, weil er nicht im Traum daran dachte, als bester Hauptdarsteller gekrönt zu werden. Nun, er wurde es, noch ein spätes Highlight einer Schauspieler-Karriere, deren Außerordentlichkeit jedem Filmfreund bewußt ist.
 
Hopkins spielt also den 80jährigen Anthony, der sich seiner Situation – der Zerfall seines Gehirns und seiner Persönlichkeit – nicht bewußt ist. Wohlhabend genug, um mit Betreuerin in einer beneidenswerten Londoner Wohnung zu leben, widmet  Tochter Anne ihm schon seit längerer Zeit einen Großteils ihrer Lebenskraft. Anthony, der äußerlich ganz normal wirkt, alt zwar, aber nicht wirklich greisenhaft, mit einer Art von Würde, keinesfalls ein seniler Idiot, nimmt das Opfer der Tochter als ganz selbstverständlich hin, während sein Bewußtsein andauernd changiert, wodurch sich für ihn die Umwelt, in der er sich befindet, dauernd verändert.
Der Zuschauer ist mit ihm in seinem Kopf und weiß dabei nicht immer, wo er sich gerade befindet , nur daß er im Gegensatz zu Anthony zumindest erkennt, daß ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Erinnerungen fließen in eine Gegenwart, die der Protagonist nicht mehr wirklich beurteilen kann, alles verändert sich auch optisch rund um ihn, ohne daß Anthony dies wahrnimmt, der ganz selbstverständlich, von einer Laune in die andere fallend, in diesem Chaos zuhause ist.
Ein absolutes Virtuosenstück für Anthony Hopkins, dem mit Olivia Colman eine Tochter gegenüber steht, die endlich ein unabhängiges Leben führen und nach Paris übersiedeln will. Das zerreißt ihr – immer die Haltung bewahrend – das Herz, während der Vater nicht weiß, worum es geht. Die Tapferkeit dieser Anne wird keine Sekunde „ausgestellt“, und doch hält man sich an sie, fühlt mit ihr, ist man froh, aus Anthonys Kopf herauszukommen und zeitweise eine Außen-Sicht auf ihn einzunehmen zu dürfen.
Rein von der Handlung her geschieht wenig, Anthony hat mit seinem Launen viele Pflegerinnen vergrätzt, nun kommt mit Laura (Imogen Poots) eine hübsche neue, da gibt es auf einmal einen Mann, der vielleicht der Ehemann (Mark Gatiss) von Anne ist und den Anthony nicht erkennt, weil sein Bezug zur Realität schon abgeschnitten ist. Wenn dann aber ein anderer erscheint (Rufus Sewell), der angeblich auch Annes Gatte sein will, weiß  man, daß der Film auch als Psycho-Thriller und Vexierspiel für den Zuschauer gedacht ist.
Am Theater war es besonders bitter, als die Regisseurin den „Vater“ dort zum Schluß in einen gläsernen Käfig gesperrt hat – ein erschütterndes letztes Bild. Im Film ist man „kinogerechter“, wenn auch sentimentaler. Am Ende, wenn Anne weg ist, weiß der zerfallene alte Mann in den Armen einer Pflegerin nicht mehr, wer er ist, weint nach seiner Mutter und geht einer Art „betreutem Sterben“ entgegen… traurig und in der Umarmung seltsam tröstlich. Man verläßt das Kino nach einer Achterbahn der Gefühle, wovon man sich erst einmal (tief durchatmen!) erholen muß.
 
 
Renate Wagner