Es gibt Filme, die man nicht verstehen muß...

„Malmkrog“ von Cristi Puiu und „The Green Knight“ von David Lowery

von Renate Wagner

 

         





Es gibt Filme, die man nicht verstehen muß...

Malmkrog
Rumänien (u.a.) 2020

Drehbuch und Regie: Cristi Puiu

Mit: Frédéric Schulz-Richard: Nikloai - Diana Sakalauskaité: Ingrida - Marina Palii: Olga - Agathe Bosch: Madeleine - Ugo Broussot: Edouard - Istvàn Teglàs: Istvàn
 
Cristi Puiu ist ein Name für Fachleute. Ein rumänischer Regisseur, bei Festivals vertreten, mit großen Worten angekündigt, mit Preisen überschüttet, von den Kritikern enthusiastisch gefeiert. Nicht unbedingt ein Mann, der Filme für ein Publikum macht, das sich nicht intellektuell verbiegen möchte. Sein jüngstes Werk „Malmkrog“ dauert gestrichene dreieinviertel Stunden und wird als „einer der großen Glücksfälle im neueren Kino“ gefeiert. Ist das gerechtfertigt?
Wenige werden die Vorlage kennen, nach welcher der rumänische Regisseur sein Drehbuch ausgerichtet hat: „Trirasgowora“ von Wladimir Sergejewitsch Solowjow, zu Deutsch Erzählungen vom Antichrist, philosophische Überlegungen zu Religion, Christentum, zu Gott und der Welt. Diese Texte sind als Gespräche die Grundlage des cineastischen Epos „Malmkrog“.
 
Es beginnt mit einer verschneiten Landschaft, im Hintergrund ein schloßartiges Gebäude (nur noch einmal wird die Außenaufnahme wiederholt, da hört man – man sieht sie nicht – eine Eisenbahn fauchen). Man befindet sich im Jahre 1900 an einer Außenstelle des Zarenreichs, dem Schloß Malmkrog in Siebenbürgen (das gibt es wirklich, gehörte einst einer ungarischen Magnatenfamilie). Dort treffen sich eine Handvoll Aristokraten und Intellektueller, über die man nichts Genaues erfährt.
Was sie tun? Reden. Über Gott und die Welt. Sie tun es auf Französisch, das sie alle gut sprechen, aber doch wie eine Fremdsprache (das macht das Verstehen für ein Publikum, das Französisch auch als Fremdsprache kennt, leichter). Wenn mit den Dienern ganz kurz Deutsch gesprochen wird, ist das ein schreckliches Kauderwelsch. Was das Ungarische betrifft, auch ein bißchen Dienersprache, kann man es natürlich nicht beurteilen.
Zwei Männer und drei Frauen reden (was es mit einem offenbar schwerkranken Mann auf sich hat, den man gelegentlich zu sehen bekommt, weiß man nicht). Die erste Stunde des Films lang, der in sechs „Kapitel“ geteilt ist, die die Namen der Protagonisten tragen, stehen sie alle herum. Unbeweglich auch die Kamera. Sie spulen ihren Text herunter (anfangs geht es um die Frage, ob Soldaten heute – damals 1900 – noch von irgendeinem Idealismus geleitet würden), fast bewegungslos. Wäre es ein Theaterstück, so fragte man sich, ob dem Regisseur nichts eingefallen ist. In diesem Fall ist ziemlich klar, daß es Cristi Puiu um „Stil“ ging, man produziert schließlich Arthouse.
 
Allerdings hat er sich einiges von den Inszenierungen von Alvis Hermanis abgeschaut, wie man es auch mehrfach am Burgtheater gesehen hat – verschachtelte Räume bieten immer wieder rudimentäre Blicke in andere Zimmer, wo unaufhörlich die Bediensteten stumm und eifrig tätig sind. Aber besonderes Interesse für die untersten Stände – nein, das ist es nicht. Man sieht die Herrschaften so gut wie nur andeutungsweise.
Auch wenn ein Kapitel „Istvan“ heißt, nach dem ungarischen Diener, gerät das Personal nicht wirklich ins Zentrum. Man sieht nur, daß sie nach einem Essen (wo die Darsteller auch strikt mit dem Rücken zur Kamera saßen und nur zu hören, aber kaum zu sehen waren) den Tisch abräumen, wie sie (das ist eklig) die Reste in den Trinkgläsern in einen Krug gießen, wie Istvan später einen Diener zwingt, ein Glas (mit diesen Resten?) auszutrinken… Ja, stimmt schon, der Regisseur hat empfohlen, man möge sich seinen Film mehrfach ansehen, um ihn wirklich zu begreifen, aber sich diese dreieinviertel Stunden zwecks tieferer Erkenntnis noch und noch einmal zu Gemüte zu führen – das würde an Masochismus grenzen.
Es bleibt bei den Gesprächen, wobei die einzelnen Personen, wie gesagt, weder Persönlichkeit noch irgendeine Art von Anteilnahme spüren lassen- Und man ist (auch wenn man die Untertitel zu Hilfe nimmt) nicht unbedingt sicher, worum es geht. Gewiß, die begeisterte Kritik versichert, mit den philosophischen Überlegungen, die darstellerisch steif heruntergebetet werden, erreiche man auch die Probleme unserer Zeit – wirklich?
Jeder Zuseher muß hier für sich selbst die Antwort über den Wert von Inhalt, Stil und Sinnhaftigkeit des Gezeigten finden.
 
 
Renate Wagner
 

The Green Knight
USA 2021

Drehbuch und Regie: David Lowery
Mit: Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton u.a.
 
Es gibt seltsame Filme (man denke an „Malmkrog“, s.o., derzeit in den Kinos, und dergleichen), aber nicht übertrieben viele. Einer der seltsamsten, an die man sich seit langem erinnert, ist „The Green Knight“ von Regisseur David Lowery (der auch das Drehbuch schrieb und sich den Schnitt vorbehielt, was in diesem Fall sehr wichtig war).
Erzählt wird die an sich bekannte Geschichte aus dem Artus-Kreis, überliefert aus dem 14. Jahrhundert, wo Ritter Gawain (ein Neffe von König Artus, Sohn von dessen Hexen-Schwester Morgan Le Fay) die Herausforderung des geheimnisvollen Grünen Ritters zum tödlichen Duell annimmt. Aber es ist mit Sicherheit kein Film aus der Artus- Welt wie alle anderen, wo strahlende Ritter in glänzenden Rüstungen ausreiten, um mit Blick auf die schönen Damen, die ihnen zuwinken, für das Gute, Wahre und Schöne zu kämpfen. Wäre auch nicht eben zeitgemäß.
 
David Lowery spielt erst einmal mit dem Formalen – vieles, was man sieht, ist absichtsvoll zwielichtig, nicht genau zu erkennen. Neben düsteren Innenszenen gibt es (oft nicht weniger düster) Bäume, Wald, Landschaftsbilder – die Stimmung ist unheimlich. Eine große Rolle spielt die raffiniert eingesetzte Musik, die irgendwie zwischen Glass und Orff und mittelalterlichen Chorälen liegt, ohne die Ritter-Welt zu beschwören, die hier nicht geboten wird.
Es gibt krude Effekte – ein Kopf rollt, man schwenkt zum Kasperltheater, wo das nachgespielt wird, wo sich das Rad mit den einzelnen Figuren immer wieder dreht… man muß sich schnell daran gewöhnen, daß hier eher Symbolismus als Realismus regiert. Kurz gesagt, man wird ganz schön zum Rätselraten eingeladen, was allerdings einen Großteil der internationalen Kritik schrankenlos für diesen Film begeistert hat. (Das Publikum hat die Kassen allerdings noch nicht gestürmt.)
Zudem läßt sich der Regisseur immer wieder aufreizend Zeit, die einzelnen Episoden, aus denen er seine Geschichte zusammen setzt, zu entwickeln. Gibt es zwischen Magie, Sci-Fi und Horror überhaupt eine Handlung? Der Grüne Ritter taucht bei Artus auf, Gawain nimmt die Herausforderung an, begibt sich auf die Reise zu ihm, die keine unterhaltsame wird, wo man mehr Surreales sieht als Greifbares. Die berühmte Suche nach dem eigenen Selbst kann man natürlich hineininterpretieren, wenn man will. Oder auch nicht – alles ist offen und möglich.
 
Und da ist noch Dev Patel in der Titelrolle, der zwar derzeit erst 31 Jahre alt ist, aber eigentlich nicht jung wirkt, wie es die Rolle verlangen würde. Niemand wird heutzutage wagen, ein Wort darüber zu verlieren, daß er Inder ist, man darf ja gar nicht mehr bemerken, daß Menschen unterschiedlich sind und ein Inder nicht unbedingt wie ein Ritter aussieht – dann stimmt nach derzeitiger Weltanschauung eben unsere Vorstellung von Rittern nicht.
Nüchterne Gemüter mögen aus diesem Film eher unbefriedigt scheiden, weil ein Regisseur hier mit der Form gespielt hat und den Inhalt einfach den Spekulationen der Betrachter hinwirft. Regietheater, auf Kino umgelegt.
Am Ende der mehr als zwei Kinostunden hat man das Gefühl, man sei eigentlich ununterbrochen durch Nebel geritten – man weiß nur nicht, warum und wohin.
 
 
Renate Wagner