Nicht gerade atemberaubend spannend

„Goli Jan – Afghanistans stille Heldinnen“ von Houchang Allahyari

von Renate Wagner

Goli Jan – Afghanistans stille Heldinnen
Österreich 2019 

Drehbuch und Regie: Houchang Allahyari
Mit: Fatemeh Jaffari, Nematolah Amiri, Halimeh Nassim Amiri u.a.
 
Houchang Allahyari ist vor vielen Jahrzehnten nicht als Flüchtling, sondern als Medizinstudent aus dem Iran, der damals noch Persien hieß, nach Wien gekommen. Und er ist hier geblieben – als Arzt (Psychiater und Neurologe) und als Filmemacher mit dem besonderen Blick für die Benachteiligten und Ausgegrenzten der Gesellschaft.
So hat er sich seinen festen Platz in der österreichischen Filmszene erobert, die ihn nun, rund um seinen 80, Geburtstag, mit einer Retrospektive feiert. Und seinen neuesten Film zeigt, der 2019 entstanden ist und heute, durch das plötzlich so aktuelle Reizwort „Afghanistan“, natürlich besonderes Interesse erregt.
 
Vor einigen Jahren ist der aus Teheran gebürtige Allahyari in seine Heimat zurück gereist, hat das Wiedersehen mit seiner Familie halb persönlich, halb dokumentarisch verarbeitet, und schon damals auf das Schicksal der afghanischen  Flüchtlinge im Iran hingewiesen – an die drei Millionen, von den Einheimischen wenig geliebt, als Bauarbeiter und Haushaltshilfen ausgebeutet. Wenn sein jüngster Film, den er vor zwei Jahren im Iran, in der Nähe der afghanischen Grenze gedreht hat, nun den Untertitel „Afghanistans stille Heldinnnen“ erhalten hat, ist das irreführend, evoziert die Erwartung auf eine Dokumentation afghanischer Frauenschicksale, die es nicht ist.
Allahyari hat zwar die Geschichte des Mädchens Goli Jan nach Schicksalen gestaltet, die ihm die Flüchtlinge im Iran erzählt haben, aber es ist ein Spielfilm über eine junge Frau und ihre Flucht vor der Zwangsverheiratung daheim. Sie findet einen jungen Gefährten, der auch weg will, und wenn sie sich als Mann verkleidet, erleichtert das den langen Weg (wird aber keinesfalls so humorvoll wie bei Yentel).
Houchang Allahyari drehte im Grunde ein Road Movie, der lange Weg übers Land, durch kleine Dörfer, durch Städte, bis sie nach vielen Mühen und Schwierigkeiten endlich im Iran landen. Und er zeigt, wie wenig menschliche Anteilnahme die jungen Leute finden, die immer Geld bereit haben müssen, um weiter transportiert zu werden.
Wenn man sich vorstellt, wie „dramatisch“, mit großen Gesten und Gefühlen, ein landläufiger Film zu diesem Thema ausfallen würde, dann merkt man, wie schlicht und tatsächlich wohl „dokumentarisch“ Allahyari (der am Ende selbst mitspielt) vorgegangen ist. Das macht den Film (er ist in persischer Sprache gedreht, die die zweite Landessprache in Afghanistan ist), nicht gerade atemberaubend spannend, gibt ihm aber den Charakter der Authentizität.
 
Die Hauptdarstellerin Fatemeh Jaffari fand der Regisseur bei einer afghanischen Theatertruppe in Teheran, die Nebenrollen sind meist mit Laien besetzt, drehen konnte er oft nur, wenn iranische Kollegen für sich selbst Genehmigungen erlangten, die er ausnützte.
Die Einzelschicksale der beiden jungen Leute sagen viel aus – und doch, erhöhen sie wirklich unser Verständnis? Wir interessieren uns unter den neuen Bedingungen in Afghanistan plötzlich für diese Menschen, fragen uns, wie ähnlich sie uns vielleicht sind – oder wie fremd. Und werden ja doch in eine ganz, ganz andere Welt geführt.
Wenn die beiden jungen Helden dem „Dr. Allahyari“ begegnen und ihn fragen, ob es schön ist, in Österreich zu leben, kann er ihnen nur bedingt Mut machen. Er selbst hat lebenslang erlebt, als „Fremder“ behandelt zu werden. Trotzdem besteht die Schlußpointe des Films darin, daß Goli Jan ihn plötzlich anruft und augenscheinlich in Österreich ist. Wunschdenken… wo der Regisseur doch bis dahin so realistisch war.
 
→ Vorschau   Filmstart:  9. September 2021
 
Renate Wagner