Eine Soap über edlen Journalismus

„Hinter den Schlagzeilen“ von Daniel Sager

von Renate Wagner

Hinter den Schlagzeilen
Deutschland 2021 

Dokumentation / Regie: Daniel Sager
 
Investigative Journalisten wissen, daß sie zwar viel Lob einheimsen werden, wenn ihre Recherchen die Öffentlichkeit erreichen, daß sie aber infolge der konstitutionell brisanten Themen und Enthüllungen auch bittere Feinde haben. Und daß es Menschen gibt, die ihnen – ohne „Fake News“ zu rufen – kritisch auf die Finger sehen.
Dasselbe kann ein Film erwarten, der als echte (oder auch scheinbare) Dokumentation über die Arbeit dieser Männer in der Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“ gedreht wurde. Ausgangspunkt war dabei zwar der Mord an der maltesischen Bloggerin Caruana Galizia, die 2017 mit einer Autobombe getötet wurde (den Täter haben die Journalisten nicht ausfindig machen können). Dann ging es um einen gefährlichen Waffenhändler mit undurchsichtigen Vernetzungen (den sie auch nicht aufspürten).
Aber im Hintergrund lauerte schon die Story, die dann – nun nicht gerade eine Jahrhundertgeschichte wurde, aber immerhin eine, die nicht nur einen einzelnen Mann zu Fall gebracht, sondern eine ganze Regierung gestürzt hat. „Ibiza“ mit einem Wort.
Und man fragt sich, ob Regisseur Daniel Sager hier nicht a priori in der Hoffnung beim Journalistenalltag „mitgefilmt“ hat, um genau dieses Thema aufzubereiten. Gäbe es dieses nämlich nicht, hätte der Film kaum Chancen, über einige Festival-Auftritte hinaus zu kommen. So, mit dem Faktor des „Skandalösen“, verkauft sich die Geschichte mit dem Reizwort „Ibiza“ überall in Europa, zumal in Österreich.
 
Daniel Sager ist gewiß ein anerkannter Dokumentarfilmer, vielseitig unterwegs und zweifellos mit einem Sinn für eine „Story“. Und auch dafür, wie man Material aufbereitet. Man wird vorsichtigerweise nicht daran zweifeln, daß die Szenen, die er unter Journalisten aufnahm, echt sind – man wird aber auch wissen, daß man sich anders verhält, wenn man unter Beobachtung steht. Folglich sind alle Herren ein Muster an Gewissenhaftigkeit und Ehrbarkeit, einzig durchdrungen von der Mission ihres Jobs, der Welt die Wahrheit berichten (Wahrheit – was ist das? fragt sich jeder dialektisch denkende Mensch).
Von einem „Informanten“, der natürlich nicht genannt wird (und für den eine Lanze gebrochen wird für seine Ehrenhaftigkeit), bekamen sie die „Ibiza“-Bänder angeboten. Das Wissen, daß es juridisch strafbar war, diese mit versteckter Kamera herzustellen („Das ist verboten, bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe für den, der es macht“), fegten sie bald vom Tisch mit der Begründung, „wenn es um öffentliches Interesse geht, ist es nicht strafbar“.
 
Monatelang arbeiten sie an dem Fall, warten erst auf die  Bänder, überprüfen sie dann, lassen durch Videospezialisten die Echtheit noch einmal checken, wälzen den Inhalt herum (und lachen über die Austriazismen…), beraten sich mit Anwälten und wissen, wenn sie es veröffentlichen – „dann explodiert’s“. Was es ja auch getan hat. Und man erlebt anschließend die Zufriedenheit derer, die hier eine große Enthüllung geliefert haben: „Wir dürfen jetzt nicht in Triumphgeheul ausbrechen. Wir haben unsere Wächterfunktion erfüllt. Wir haben super journalistische Arbeit geleistet.“
Und das nur in dem ehrenwerten Bestreben, die dreckigen Gedanken eines Politikers öffentlich zu machen. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit…
Wie steht es mit der Wahrheit in einem Dokumentarfilm? Ob es „Ibiza“ ist oder „Hinter den Kulissen“, man weiß ja doch, wie man Material auswählen kann (Strache hat es zu spüren bekommen), um ihm eine Richtung und eine Aussage zu geben, indem man es aus dem Zusammenhänge reißt. Und Gleiches mag mit dem Material zu diesem Film geschehen sein. Ideologie durch Auswahl.
Was wird als Metaebene in diesem Film verkündet?  Journalisten sind Edelmenschen und Idealisten („Wenn wir die Bösen nicht stoppen“, heißt es einmal). Sie wollen nichts anderes als die Wahrheit (keinen wirkungsvollen Skandal, keine Aufmerksamkeit für sich selbst, keine Verkaufszahlen, keine politischen Interessen bedienen). Und sie sind so tapfer, daß sie –  wie der Fall der maltesischen Bloggerin zeigt – dabei sogar ihr Leben riskieren. (Wird es gefährlich, die Ibiza-Sache zu veröffentlichen? überlegen sie. Und fügen hinzu, daß die involvierte Partei schon Gewaltbereitschaft gezeigt hat, um das eigene Heldentum zu unterstreichen.)
Fazit ist, wir wissen es nach diesem Film: Journalisten sind Menschen, die mit höchster Gewissenhaftigkeit und reinen Herzens handeln. Wir können das glauben. Müssen es aber nicht. Wir können es auch für eine Soap über edlen Journalismus halten.
 
 
Renate Wagner
 
Filmstart:  9. September 2021