Rundum pralles Kino

„Schachnovelle“ von Philipp Stölzl

von Renate Wagner

Schachnovelle
Deutschland, Österreich 2021 

Regie: Philipp Stölzl
Mit: Oliver Masucci, Albrecht Schuch, Birgit Minichmayr, Andreas Lust u.a.
Prädikat: Besonders wertvoll
 
Die originale „Schachnovelle“ aus der Feder von Stefan Zweig ist im Grunde ein „schlankes“ Werk. Es spielt auf einem Schiff in Richtung Südamerika, anfangs scheint es, als ob der an Bord befindliche Schach-Weltmeister die Hauptfigur wäre, bis der Erzähler der Geschichte jenen „Doktor B.“ kennen lernt, der dem Weltmeister Paroli bietet. Dann folgt, von Dr. B.  erzählt, jene Sequenz, die die Novelle berühmt gemacht hat: Seine Erinnerungen an die Einzelhaft im Wiener Hotel Metropol, wo er zwar „verrückt“ wurde, es der Gestapo aber nicht gelang, ihn zu brechen. Am geistigen Leben erhielt er sich, weil er mit Hilfe eines Schachbuches, das ihm zufällig in die Hände geriet, im Kopf Schachpartien nachspielte und so im Widerstand gegen die Befragungen in den Wahn auswich.
 
Man versteht, daß eine so aufs Geistige konzentrierte Geschichte für das Kino nicht ausreicht, daß Regisseur Philipp Stölzl eine „füllige“ Handlung und runde Schicksale wollte – und das hat ihm Drehbuchautor Eldar Grigorian auch geliefert. Da wird Dr. B. zu Doktor Bartok, bekommt eine attraktive Frau, mit der er im März 1938, kurz vor dem Anschluß, noch auf eine elegante Gesellschaft tanzen geht. Da gibt es einen Freund, der schon im Untergrund ist und ihn warnt. Und vor allem bekommt Bartok in der Wiener Gestapo-Zentrale einen Gegner, der mit hintergründigem Zynismus mit ihm spielt. Daß ihm dieser Gegner dann (so verkleidet mit Bart und Frisur, daß man ihn erst nach und nach erkennt) am Schiff in der Figur des Schach-Weltmeisters gegenübersteht, ist das Tüpfelchen auf dem i.
 
Kann man nun angesichts der Anreicherung von einer Verfälschung sprechen? Gewiß nicht, denn was Stölzl auf die Leinwand bringt, ist zweifellos im Sinn der Geschichte, wenn sie auch psychologisch etwas anders läuft: Bei Zweig geht es um herbeigeführte Schizophrenie, wenn Dr. B. sich im Schach in das Ich-Weiß und das Ich-Schwarz spaltet, weil er ja immer nur gegen sich selbst spielen konnte, geht es im Film um zunehmende Wahnvorstellungen – man ist ganz nahe an der Figur, wenn Dr. Bartok den Bezug zur Realität verliert, und oft ist man mit ihm selbst desorientiert, was nun eigentlich wirklich ist und was nicht. Das bezieht sich besonders auf die Erscheinung seiner Frau, über die man wenig Konkretes erfährt – wenn sie ihm allerdings am Ende im Irrenhaus vorliest, ist das ein berührender Schluß. Ob er nun wahr ist oder nicht.
 
Oliver Masucci, der auch einige Zeit am Burgtheater verbracht hat, war zuletzt als Rainer Werner Fassbinder auf der Leinwand zu sehen, optisch nicht wirklich ähnlich, wohl aber vom Typ her. Nun hat er mit dem „Doktor Bartok“ wieder eine Hauptrolle geangelt, obwohl er auf Anhieb vielleicht nicht der richtige Typ für das Opfer ist, den hätte man sich reiner, gewissermaßen unschuldiger vorgestellt, was die Anteilnahme vergrößert hätte. Masucci ist durchaus der Anwalt, dem man schmutzige Geschäfte zutraut, aber wenn es darum geht, sich in die Besessenheit hineinzusteigern, überzeugt er völlig. Hier läßt ihn das Drehbuch übrigens, um den Bildungshorizont des Abendlandes einzufügen, immer wieder Homers Odyssee zitieren.
 
Birgit Minichmayr legt die schöne Gattin ganz als die geheimnisvolle Mondäne an, die durchaus ein Typ der Dreißiger Jahre gewesen sein kann – man glaubt ihr Zuneigung, Mitgefühl ebenso wie den Wunschtraum, den sie für den Gatten darstellt.
Als der interviewende Gestapo-Beamte gibt Albrecht Schuch (kürzlich erst in „Fabian“ neben Tom Schilling als total zerrütteter Charakter zu sehen) den blonden, scheinbar so kultivierten, aber hintergründigen Nazi-Softie, während  Andreas Lutz für den prügelnden Nazi zuständig ist, den es zweifellos so gegeben hat. Als Schachweltmeister spielt Schuch dann fast (nicht ganz) eine Rasputin-Parodie… Rolf Lassgård hat die wichtige Rolle des bulligen, jovialen und doch so tyrannischen Iren inne, der am Schiff die Schachpartie arrangiert und damit das tragische Finale einleitet. In einer winzigen Rolle schwankt immerhin Samuel Finzi durch den Dampfer.
 
All das hat Stimmung, wenn auch die „Wiener“ Szenen typisch so klingen, wie Deutsche sich Wien vorstellen (also nicht richtig), aber der Umsturz durch die Machtübernahme wird ebenso überzeugend gezeichnet wie die Szenen im „Hotel“ (das Metropol war ein solches, auch als die Gestapo darin hauste) und auf dem Schiff, und vor allem jene, wo Bartok sich seine Gattin erträumt. Rundum pralles Kino, was mehr hergibt, als es eine getreue, skelettierte Literaturverfilmung getan hätte.
 
 
Renate Wagner