Ja, eine auf lange Strecken starke Geschichte

„Hochwald“ von Evi Romen

von Renate Wagner

Hochwald
Österreich 2020

Drehbuch und Regie: Evi Romen
Mit: Thomas Prenn, Noah Saavedra, Kida Khodr Ramadan u.a.
 
Mit ihrem Regiedebüt hat Evi Romen, geborene Südtirolerin, bisher vor allem als Drehbuchautorin und Film-Editorin (auch für ihren Mann David Schalko) auf Anhieb Festival-Preise und Lob geerntet. Verdient für einen Film, der absolut nichts Neues erzählt, dies aber sensibel, klug und human tut, nur im Lauf der Handlung dann etwas an Intensität verlierend und mit einem offenen Ende, das nicht wirklich befriedigt, aber doch auch seine innere Logik hat. Denn die Probleme von Mario sind bei weitem nicht gelöst.
 
Ihr Held Mario, dessen tiefe Verwirrung und stellenweise verzweifelten Kampf Hauptdarsteller Thomas Prenn wirklich meisterlich vermittelt, hat ein Problem: Er paßt nicht in sein Südtiroler Dorf, irgendwo in den Bergen über Bozen. Er möchte nicht Konditor für die Fremdenverkehrsbranche sein, sondern vielleicht Tänzer. Gern stülpt er sich eine weiße Lockenperücke auf, schminkt sich auch. Er ist auf der Suche.
Die Tanzszenen, in denen er sich zu Beginn präsentiert, setzen genaue Signale dafür, daß es hier um Befreiung geht. Und das, obwohl die Autorin / Regisseurin nicht den Fehler macht, die Eltern als stur und böse zu verteufeln, was die Sache gewissermaßen mit geklärter Schuldfrage billig machen würde. Nein, der Vater, der einst auch nach Mexiko auswandern wollte, weiß, wie das ist, wenn man glaubt, es in der Enge nicht aushalten zu können – und er ist doch geblieben. Die Mutter hat liebendes Verständnis, auch als ihr Sohn die dörflichen Grenzen sprengt. An ihnen liegt es nicht. Eher am Dorf, am Katholizismus und daran, daß er seinen Weg sucht – und nicht weiß, wie. Denn ohne Ausbildung schafft man es auch nicht zum Tänzer, und woher nimmt man das Geld? Wo er doch das, was er verdient, für seine Drogen braucht.
 
Freund Lenz (Noah Saavedra) hat es leichter, ist aus wohlhabender Familie, kommt von der Schauspielausbildung in Wien („Dort sind eh alle schwul“) und wird nach Rom gehen. Der Ton zwischen den beiden ist fast zärtlich, von Mario her unsicher, es geht auch um Sexualität, aber die erhoffte Gemeinsamkeit realisiert sich nicht. Denn als Mario den Entschluß faßt, Lenz nach Rom zu folgen, kommt es in einer Schwulenbar, wo der Freund ganz zuhause zu sein scheint, zu einem islamischen Überfall, Lenz wird in der Schießerei getötet, Mario durch die Unerklärlichkeit des Schicksals nicht einmal ein Haar gekrümmt.
Meist wird in den Besprechungen des Films die Geschichte nur bis hierher erzählt, aber was dann folgt, ist nicht nur der viel längere, sondern auch interessantere Teil. In vielen Szenen macht Evi Romen klar, daß man Mario im Dorf gewissermaßen vorwirft, daß er lebt – und der andere tot ist. (Obwohl selbst dessen Mutter einmal zugibt, daß der Lenz ohnedies nicht „hierher“ gepaßt hätte – und da läßt man einen schon gehen.) Man kann recht hart sein in solch einer Tiroler Dorfgemeinschaft. Und die salbungsvollen Worte des Pfarrers helfen gar nicht, bringen Mario nur zu einem wütenden, brüllenden Verzweiflungsausbruch. Seine Welt ist enger denn je.
 
Die Autorin / Regisseurin hat etwas Mühe, Mario in das Milieu der Moslems zu bringen, die sich in Bozen rund um einen geschickten Imam scharen, den Kida Khodr Ramadan als charismatisches Schlitzohr zeichnet. Anfangs scheint das eine Umgebung, in der Mario sich von dem Druck befreit fühlt, er geht nicht mehr nach Hause, wo man ihn ohnedies nur für seine Drogensucht in Therapie stecken will. Doch hier geht der Geschichte langsam die Luft aus, obwohl man die ratlose Unstetheit des immer aggressiver agierenden jungen Menschen natürlich begreift.
Seine heimatliche Umwelt schockierend, als er in Moslem-Gewändern erscheint, ist seine Abwendung von der neuen Gruppe (die zwar behauptet hat, den IS gäbe es nicht, der sei nur eine Erfindung der Amerikaner, ihn aber keinesfalls zu ihrem Glauben bekehrt hat) dramaturgisch kaum begründet. Daß er wieder im Dorf bei einem Fest auftaucht, in „normaler“ Kleidung, aber mit der weißen Lockenperücke, mit der er sein Außenseitertum demonstriert, scheint auch in der Luft zu hängen. Und das Ende? Der junge Held, der so viel Trotz und Verletztheit gezeigt hat, einfach im heimatlichen Wald spazierend? Andererseits – was soll er denn tun, wenn die Geschichte ja nicht auserzählt werden kann?
 
Sie ist sorglich gemacht, malt ihre verschiedenen Milieus, bringt die schweigende Schönheit der Landschaft ein und hat das Mitleid mit dem Unangepaßten, ohne je triefend zu werden. Ja, eine auf lange Strecken starke Geschichte.
 
 
Renate Wagner