Der Versuch eines formalen Kunststücks

„Hinterland“ von Stefan Ruzowitzky

von Renate Wagner

Hinterland
Österreich 2021

Regie: Stefan Ruzowitzky
Mit: Murathan Muslu, Liv Lisa Fries, Max von der Groeben u.a.
Prädikat: wertvoll
 
Zu Beginn fahren sie auf einem klapprigen Dampfer auf der Donau in Richtung Wien: eine Handvoll Männer in zerschlissenen Uniformen einer Armee, die es nicht mehr gibt, einer von ihnen stirbt an Entkräftung. Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft, nach dem Ersten Weltkrieg, Anfang der Zwanziger Jahre. Sie starren auf eine verwüstete Stadt, keiner freut sich darauf, was ihn daheim erwartet. Kurz, Regisseur Stefan Ruzowitzky legt mit dem Beginn von „Hinterland“ die Schiene  zu einer Sozialstudie von Trostlosigkeit des Abgestorbenen und hektischem, kriminellen Auferstehen des Lebens.
Der Krimi, den er erzählt, ist nicht sonderlich interessant, vor allem ziemlich abgegriffen – daß ein extrem brutaler Serienmörder verstümmelte Leichen zurückläßt und geheimnisvolle Zeichen, die von den Ermittlern wie Rätsel gelöst werden müssen, ist uralte Schule. Und an dieser Geschichte ist nichts überraschend, am wenigsten, daß viele, die mit dem Helden, Peter Perg, heimkommen, unter den Opfern sind. Und auch nicht, daß Perg, einst Kriminalbeamter, die Zeichen besser „lesen“ kann als alle anderen.
 
Gerne sieht die Umwelt den Heimkehrer nicht wieder in Richtung seines alten Jobs, eigentlich ist nur die Gerichtsmedizinerin Dr. Körner freundlich zu ihm, weil sie seine Qualitäten erkennt. Murathan Muslu mit dem kantigen Gesicht, dem seine türkische Herkunft einen Hauch von Exotik verleiht, als der stille Mann voll von Problemen, und Liv Lisa Fries als die kluge und dabei kühle moderne Frau von damals, die weiß, daß sie ihren Job nur dem Männermangel durch den Krieg verdankt, ergeben ein ungewöhnliches und interessantes Paar.
Überhaupt fällt auf, daß Stefan Ruzowitzky kaum mit abgenützten „Star“-Gesichtern arbeitet, aber als Kehrseite der Medaille gehen die vielen Unbekannten in der Personenfülle unter. Und die nebenbei aufgeworfenen „Heimkehrer“-Fragen und –Dramen ebenso (hat die Ehefrau gewartet, mit wem hat sie einen betrogen, von wem ist das Kind).
Daß hier ein Mörder ganz nah bei Perg agiert, ein Rachefeldzug für Ereignisse im russischen Strafgefangenenlager, macht den Krimi nicht spannender, und die finale Jagd in den Glockengerüsten des Stefansdoms ist auch kein wahres Highlight.
 
Dennoch hat der Film die Aura des Besonderen, einfach deshalb, weil Ruzowitzky zu einem gestalterischen Trick gegriffen hat. Inspiriert gleicherweise von den Stummfilmen der Zwanziger Jahre wie vom bildnerischen Expressionismus der Zeit, setzt er das Geschehen in eine schräge, verzerrte Welt. Eine solche muß man heutzutage nicht mehr „bauen“, die schafft der Computer mit ein paar kompetenten Programmen. Die Welt wirkt irreal und  hat trotzdem auch einen echten Kern, spiegelt eine Epoche, die sich alles erst gerade richten mußte.
In diesem Sinne ist „Hinterland“ zwar ein Krimi, aber auch der Versuch eines formalen Kunststücks, und vor allem letzteres ist geglückt, wenn Mensch und Umwelt ineinander tragisch verschwimmen.
 
 
Renate Wagner