Manchmal ist die Realität noch verrückter als jedes Drehbuch

„Curveball – Wir machen die Wahrheit“ von Johannes Naber

von Renate Wagner

Curveball – Wir machen die Wahrheit
Deutschland 2020 

Regie: Johannes Naber
Mit: Sebastian Blomberg, Dar Salim, Virginia Kull u.a.
 
Wir kennen (was heißt kennen? Vermutlich wissen wir gar nichts) die Welt der Geheimdienste aus der Literatur (John le Carré und Co) und aus dem Kino. Aber was geht da wirklich vor? Sicher eine ziemlich glanzlose Angelegenheit. Und, was man in diesem Ausmaß gar nicht vermutete, ein Hickhack der Bürokratie, die immer einen Sündenbock braucht, wenn etwas schief geht – und ebenso wie immer putzen sich die Mächtigen ab und werfen die Unterläufel in den Orkus.
 
Eine wahre Geschichte erzählt in diesem Rahmen Regisseur Johannes Naber (der mit „Zeit der Kannibalen“ schon eine hochrangige Psycho-Politstory geliefert hat). Ende des Jahrtausends befanden sich viele Wissenschaftler und Experten – darunter der deutsche Biowaffenexperte Dr. Wolf  (ein im Lauf der Handlung zunehmen hektischer werdender Sebastian Blomberg) – im Irak, um das Waffenarsenal zu kontrollieren. Was natürlich (die Regierung von Saddam Hussein war trickreich) nicht so einfach gelang. Wolf war jedenfalls überzeugt, daß vom Irak diesbezüglich Schlimmes zu erwarten war (die Kurden erlitten einen Giftgasanschlag und konnten diesbezüglich ein Lied singen).
Man teilte Wolf dann in Deutschland dem Asylbewerber Rafid Alwan, Deckname ,Curveball‘ (Dar Salim), zu, der sich als Insider aus Saddams Biochemie-Programm ausgab. Und Wolf war natürlich genau der Mann, dessen ausführliche Geschichten über mobile Giftgaserzeugung und –verbreitung zu glauben. Um der Geschichte einige private Verwirrung beizufügen, spielt auch eine CIA-Agentin (Virginia Kull), Ex-Freundin aus Wolfs Irak-Zeit, eine Rolle, denn die Amerikaner waren hoch interessiert – ohne sich selbst in diesen „deutschen“ Fall involvieren zu wollen.
Noch dienlicher waren solche Informationen, die der geflüchtete Iraker nur gegen die Leistung eines deutschen Passes (und Aufnahme in das Sozialsystem)  preisgab, für all jene an den führenden deutschen Schaltstellen, die den Kriegsvorwand der USA unterstützen wollten… Und die Geschichte wird wirrer und wirrer, die Interessen verstricken sich bis zur Undurchsichtigkeit.
 
Um eine lange Geschichte kurz zu machen – Rafid Alwan hatte mit seinen Informationen, die kaum nachzuprüfen waren, schlicht gelogen, um sich das deutsche Asyl zu erschwindeln. Was aber niemand zugeben konnte – und da zeigt der Film nicht nur den verwirrten Dr. Wolf, sondern auch jede Menge skrupelloser Geheimdienstleute und Politiker, die die Wahrheit nicht brauchen konnten. Als die Bombe platzte, bot sich Wolf als „Schuldiger“, der alles falsch beurteilt hätte, an.
Man darf die Schlußpointe verraten, denn sie ist historisch – Wolf war seinen Job los, Rafid Alwan (oder wie immer er im wahren Leben hieß) genoß oder genießt noch immer die deutsche Staatsbürgerschaft mit allen ihren Privilegien… („I lost my job and you got your passport!“ reagiert Wolf fassungslos.) Am Ende gibt der Iraker zu, von Biowaffen keine Ahnung zu haben und die gesamte deutsche Geheimdienst- und  Polit-Szene einfach – verarscht zu haben.
Es ist eine tolle, immer wieder komisch wirkende, aber eigentlich furchtbare Geschichte, die allerdings auch zeigt, wie schwer es in einer Welt andauernder und  gezielter Fehlinformationen ist, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Und das Argument, daß man nur mit einer Sprühflasche mit Biogift  (zum Beispiel Milzbrand) Hunderttausende auf einen Schlag ermorden könnte – das ist ja nicht unglaubhaft?
Fazit: Manchmal ist die Realität noch verrückter als jedes auf Spannung ausgerichtete Drehbuch.
 
 
Renate Wagner