Bis zur letzten Konsequenz

Unverbunden, doch packend: Ein viergeteilter „Dantons Tod“ in Wuppertal

von Martin Hagemeyer

v.l.: Thomas Braus, Stefan Walz - Foto © Uwe Schinkel

Bis zur letzten Konsequenz
 
Unverbunden, doch packend: Ein viergeteilter „Dantons Tod“ in Wuppertal
 
Inszenierung: Anna-Elisabeth Frick - Dramaturgie: Peter Wallgram - Choreografie: Pascal Merighi - Bühne:
Christian Blechschmidt
Besetzung: Julia Meier (Robespierre) – Annou Reiners (Danton) – Thomas Braus (St. Just) – Stefan Walz (Conférencier).
 
Klimakampf als Tugendterror? Im Grunde stellt die Inszenierung von „Dantons Tod“ es so dar, die Anna-Elisabeth Frick auf die Bühne des Wuppertaler Opernhauses bringt. Ohne freilich über den Einsatz für die Umwelt den Daumen zu senken, im Gegenteil. Sie wählt die Umweltkrise aber zur Verortung von Büchners Drama und variiert sein Thema aktuell: Nicht vor dem Hintergrund der französischen Revolution also, sondern der katastrophalen Erderwärmung.
 
Der Abend packt und überzeugt dabei auch ästhetisch. Letzteres meint nicht zuletzt das Bühnenbild von Christian Blechschmidt, das den Zuschauer empfängt, anfangs still und würdig: Fast bis zur Decke ragt weiße Leinwand, Masten mit Tüchern, wie Vorhänge, die aber auch Segeln ähneln könnten: Sollen sie fragen, wohin die „Reise“ geht? Richtungsfragen sind es ja jedenfalls entschieden, die Büchner stellt und wohl auch beantwortet in seinem Drama: Die Hüter der reinen Lehre driften zur Schreckensherrschaft, der auch Danton, der Mahner zur Mäßigung, letztlich zum Opfer fällt.
 
Es sind im Grunde vier Monologe, zu denen Büchners Text hier umgeordnet ist. Offen kann bleiben, einen wie großen Anteil die pandemischen Abstandsregeln genau hatten (sicher keinen geringen – geprobt wurde schon im Frühjahr, bis die Spielzeit stoppte). Denn so wie nun das Ergebnis ist, hat es plausible Struktur. Getrennt, separiert, wie unversöhnlich treten zunächst Robespierre und Danton auf, die Hauptkontrahenten, stellen in je nur einem Auftritt sich selbst und ihre Weltsicht vor. Wie zu hören, erfuhr keiner der vier von den Rollenentwürfen der drei anderen, Regisseurin Frick war das einzige Bindeglied zwischen vier Einzelkonzepten. Annou Reiners bestätigt nachher erstaunlich: Jede und jeder entwickelte ihren Ansatz – die der anderen sehen sie erst zur Derniere.
Julia Meier als Robespierre (ihn wie auch Danton spielen Frauen) ist im strengen Kleid schon äußerlich Typ Gouvernante, doch ihre Argumente sind keineswegs harmlos, sondern ziemlich treffstark: Öko-Fakten sind der Trumpf, mit dem sie für sich wirbt - vom Tierartsterben bis zur Polareisschmelze. Derlei mahnende Zahlen hört man heute ja täglich und leider mit Grund. Sie weiß, es geht um alles: „Nicht nur für die Zeitgenossen, sondern für die Nachwelt.“ Nur daß sie einen Fisch in der Hand hält wie Hamlet den Schädel, läßt schmunzeln.
Kann das noch kippen, fragt man sich da; kann so edler Appell schließlich als Tyrannis dastehen? Abwarten.
 

Annou Reiners - Foto © Uwe Schinkel

Zunächst setzt Annou Reiners mit ihrem Kabinettstück als Danton einen starken Kontrapunkt. Gleich beim Schritt auf die Bühne reißt sie bildstark eine der Fahnen zu Boden. Der einstige Mitrevolutionär sieht das Projekt entgleiten, mit dem geflügelten Wort die eigenen „Kinder fressen“. Große Gesten auch hier, auch Wut (nicht zuletzt geht es um ihren Kopf), doch wie bei Büchner ist Danton dem Leben zugewandt. Trickreich ein Bühnenmittel, das die Facetten spiegelt - die blutrote Substanz zwischen ihren Fingern sind offensichtlich Kirschen, und die sind doch im Grunde weniger brutal als: sinnlich.
Hinzu erfunden ist der Conférencier; zugleich aber trägt Stefan Walz als Einziger eine Revolutionärsuniform. Als allererster hat er die Bühne betreten, als einziger hat er mehr als einen Auftritt – und einen Kontakt: In einer anrührenden Szene mit Reiners-Danton tritt er aus der Rolle als Kommentator außerhalb der Handlung heraus. Ein trauriger Clown, der sich mit Gewalt auskennt und übers langsame Töten spricht, als ginge es um Haushaltstips.
 
Alles kulminiert kraß und komplett spaßfrei in St. Just. Die historische Gestalt betrieb wesentlich Dantons Hinrichtung. Nach Robespierres immerhin idealistischem Start zeigt in Frickes Inszenierung hier der Fanatismus sein grausiges Gesicht. Beängstigend das erst stumme Spiel Thomas Braus', der sich ritzt, blutig windet und buchstäblich häutet - und dann so absurd wie unbeirrt dabei doziert: Seine Litanei der Totenzahlen von Kriegen und Krisen führt ihn zu finalen, in sich erschreckend stimmigen Schlüssen: Kaltes, lebloses Denken in Perversion.
 

Thomas Braus - Foto © Uwe Schinkel

Georg Büchner: Dantons Tod.
Nächste Aufführung: Freitag, 15. Oktober, 19.30 Uhr im Opernhaus Wuppertal 
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de