Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt
Graphik, Malerei und Plastik aus der Zeit von 1945 - 1951
"Zwischen Bombenhagel
und Wirtschaftswunder"
Als sich Deutschland 1949 auch über zwei verschiedene Nationalhymnen spaltete, schrieb Johannes R. Becher 1949 den Text der Hymne Ost. Mit der Anfangszeile "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt" traf er genau das, was die Künstler dieser Zeit bewegte und was vom kommenden Sonntag an im Wuppertaler Von der Heydt-Museum zu sehen sein wird - hier allerdings mit dem Fokus auf den Westen. Die Abwendung vom Gestern mit dem Blick nach vorn, neue Impulse, im Westen häufig von Amerika aus gezündet, Aufbruch und Neubeginn.
Nach dem Trauma des Infernos des Zweiten Weltkrieges, zerbombter Städte, zerstörter Biographien und der Nazi-Herrschaft, unter der auch die Kunst einen fatalen Niedergang erlebt hatte, galt es neue Ausdrucksformen zu finden oder an die Stile anzuknüpfen, deren Entwicklung vom Dritten Reich abgeschnitten wurde. Viele der damaligen Künstler hatten das Land verlassen, andere waren umgebracht worden oder waren verstummt. Das kunstinteressierte Publikum war ausgehungert, der Appetit auf Neues war groß, der perspektivische Blick nach Europa und Übersee bot einen lange vermißten Reichtum. Wuppertal nahm nach 1945 im Westen eine besondere Stellung ein. Auch anderenorts blühte die Kunst- und Kulturszene wieder auf, wurden unter erbärmlichen Verhältnissen Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen organisiert, bei denen oft genug mit einem Brikett der Eintritt entrichtet wurde. Bereits 1946 zeigte die Kunstschau Ennepe-Ruhr" u.a. den Wuppertaler Josef Horn, Hans Dost, Christian Rohlfs und Emil Schumacher. Köln feierte 1949 im Staatenhaus der Messe die "Deutsche Malerei und Plastik der Gegenwart" mit Arbeiten von u.a. Heinz Wildemann, Ewald Mataré, Carl Hofer, E.W. Nay, Gerhard Kadow, Georg Meistermann und Willi Baumeister. In Düsseldorf stellte die Rheinische Sezession 1946 u.a. Otto Pankok, die Wuppertaler Paul Flores und Josef Horn, Robert Pudlich und Zoltan Szekessy aus.
Mäzene und Idealisten
Das durch Bombardements stark in Mitleidenschaft gezogene Wuppertal hatte das Glück, über Mäzene und Idealisten zu verfügen, die der Kunst tatkräftig auf die Beine halfen. Während der
Nazi-Zeit hatte der Industrielle Dr. Kurt Herberts in seinem Lack-Werk Künstler wie Willi Baumeister, Oskar Schlemmer und Franz Krause unter dem Vorwand wissenschaftlicher Forschung beschäftigt, ihnen damit ermöglicht, trotz Verbots ihre Arbeit fortzusetzen. Schon im Dezember 1945 fand in der Städtischen Galerie Wuppertal die erste Ausstellung Bergischer Künstler statt, im selben Jahr gründete der Architekt Heinz Rasch das "Studio für neue Kunst", das sofort zum Mittelpunkt neuer Kunstformen im Westen wurde, bis 1947 gab es in Wuppertal immerhin 30 Ausstellungen neuer Kunst. Ab 1951 schrieb sich die Galerie Parnass in die Kunstgeschichte ein. Die Bergische Kunstgenossenschaft (BKG), der Barmer Kunstverein und der Elberfelder Museumsverein beteiligten sich energisch am Wiederaufbau einer funktionierenden, lebendigen Kunstszene. Einen wichtigen Beitrag leistete die Städtische Galerie, indem sie in den ersten Jahren nach 1945 ausschließlich Arbeiten aus den Bereichen des Abstakten und der Neuen Sachlickeit erwarb, womit sie junge Künstler der Region förderte, später große Namen wie Nay und Baumeister hinzuerwarb, damit einen enormen Bestand an junger Kunst anschaffte. Die Jubiläumsausstellungen "50 Jahre Städtisches Museum Wuppertal 1902 • 1952" und "Bergische Kunstgenossenschaft 1905 - 1955" zeugten vom Wiederaufblühen der Kunst. "Der Kulturboom", so Dr. Gerhard Finckh, Direktor des Von der Heydt-Museums, "der 1945 einsetzte, brach allerdings mit der Währungsreform 1948 schlagartig zusammen". Der Hunger nach Kunst mußte dem Hunger nach realen Lebensgrundlagen weichen. Doch blieb das Städtische Museum bei seiner Ankaufspolitik, die heute die aktuelle Ausstellung möglich macht.
Dr. Herbert Pogt, Kurator der Ausstellung
"Zwischen Bombenhagel und Wirtschaftswunder", konnte also die komplette Ausstellung mit 85 Werken von Ewald Mataré bis Norbert Kricke, von Hans Dost bis Heinz Trökes, von Karl Otto Götz bis Ernst Wilhelm Nay aus Beständen des Hauses zusammenstellen, ja sogar auswählen, denn das Gezeigte stellt nicht einmal ein Drittel des Bestandes an Kunstwerken der Epoche des Aufbruchs von 1945-1955 dar. Auffällig ist das fast vollständige Fehlen von Sujets, die sich mit den Folgen des Krieges auseinandersetzen - Karl Barths "Akkordeonspieler vor zerstörten Häusern" (1947), Cuno Fischers "Die Kriegsblinden" und Werner Heldts "Der Trümmerberg" (1949) sind einige der wenigen auf diese Thematik schauenden Stücke der Ausstellung. Es überwiegt die Lust an Formen und Farben: Ernst Wilhelm Nays "Mit weißen Rhomben" (1954), Willi Baumeisters kraftvolles "Aru 7" (1955), Heinz Trökes´ "Nachtfest am Meer" (1953), Ernst Oberhoffs Lack-Fließ-Arbeiten, Anfang der 50er Jahre für das neue Wuppertaler Opernhaus gemalt, Winfred Gauls "In lieblicher Bläue erblühet der Kirchturm" (1954) und Gerhard Tauberts "Abstrakte Komposition" (allerdings 1957) sind ein Labsal für das farbhungrige Auge. Walter Zimmermann knüpft mit seinen Aquarellen an August Macke an, Emil Schumachers Blumenstilleben fällt aus dem Farbraster des Malers und auf vielfachen Wunsch des Publikums werden seit langem wieder einmal die drei Chagalls aus dem Museumsbestand gezeigt.
Gang durch die jüngere Kunstgeschichte
Die acht Plastiken der Ausstellung bringen das Element des Greifbaren, des Haptischen ins Spiel (dennoch: bitte nicht anfassen!). Wuchtig behauptet Fritz Wotrubas "Denker" von 1948 seine Position, fast klingend verzaubert Norbert Krickes fragiles "rot-weiß" (1954), Germaine Richiers "Gottesanbeterin" (1954) erschreckt und Kenneth Armitages "Menschen im Wind" stemmen sich gegen die Naturgewalten. Karl Hartungs charmante "Komposition" (ca. 1949) wirkt ausgeglichen und ungemein beruhigend. Ein Angelpunkt der lebhaften Ausstellung.
Wir treffen auf bekannte Namen, die ihren Rang nie verloren haben, auf solche, die seit einiger Zeit wieder aufleben und auf Vergessene wie Franz Krause, deren Wiederentdeckung das Museum als großartigen Nebeneffekt der Durchsicht seiner Magazine feiert. Einflüsse Mirós, Mondrians, Picassos werden sichtbar, Paul Fontaines "Abstrakte Komposition" (1948) zeigt den Schulterschluß des modernen Amerika mit dem neuen Europa. Die Ausstellung ist ein Gang durch die jüngere Kunstgeschichte, besser: eine Geschichtsstunde mit Aha!-Effekt, für die man gerne die Museums-Schulbank drückt.