Die Bildgewalt des Expressionismus

„Brücke und Blauer Reiter“ im Von der Heydt-Museum Wuppertal

von Frank Becker und Evin Gecer

Otto Mueller, Adam und Eva 1913 - Foto © Frank Becker
Die Bildgewalt des Expressionismus
 
Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt
vom 21. November 2021 bis zum 27. Februar 2022
Meisterwerke des Blauen Reiter und der Brücke
 
Neue Künstlervereinigung München (1909), Münchner Neue Secession, Sonderbund, Blauer Reiter – der Ab- und Aufspaltungsprozeß innerhalb der jungen Kunstszene Münchens entwickelte eine ungemein kraftvolle Dynamik mit Ergebnissen, die bis auf den Tag die bildende Kunst beeinflußt und glücklicherweise nicht zuletzt durch Mäzene, vorausschauende Sammler wie Bernhard Koehler und kluge Kunsthändler die Anfeindungen der etablierten Kunstwelt überstand. Der 1911 von Marc und Kandinsky gegen Adolf Erbslöh und die Münchner Neue Secession strategisch kalkuliert gegründete Blaue Reiter setzte sich durch.
Die Gruppe zählte u.a. Wassily Kandinsky, Marianne von Werefkin, Gabriele Münter, Franz Marc, August Macke, Adolf Erbslöh, Paul Klee und Alexej von Jawlensky zu ihren Protagonisten.
 
Die 1905 in Dresden gegründete Künstlergemeinschaft „Brücke“, zu der Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein, Otto Mueller und Emil Nolde gehörten, rief dazu auf, eigenes Erleben und Empfinden in der Kunst zu gestalten. Um gegenüber dem etablierten Kunstbegriff neue Gestaltungsmittel für ihre Ausdruckskunst zu finden, experimentierten sie vor allem in Zeichnungen und Druckgrafiken. Leben und Schaffen zu verbinden, gelang ihnen, indem sie Motive ihrer alltäglichen Umgebung aufnahmen. Die völlig neuen Auffassungen von Portraits, die lebensfrohen Bilder von Badenden und die zauberhaften Akte, die in Farbkaskaden getauchten Landschaften legen eindrucksvolles Zeugnis von der Kraft und Vehemenz ab, mit der die „Brücke“ am Anfang des 20. Jahrhunderts der Bildenden Kunst insgesamt radikal neue Wege erschloß.
 

Franz Marc, Liegender Hund im Schnee 1911 -  Foto © Frank Becker

In den Gemälden des Blauen Reiter findet sich weichere Elemente und als in den akzentuierten Strichen der Brücke-Künstler, die oft und sichtbar von afrikanischer Kunst beeinflußt waren. Dennoch wurden beide Richtungen gleichzeitig und gleichwertig von Sammlern und Kunsthandel angefragt. Ihr Publikum hatten sie gemeinsam. Vorbilder wie Vincent van Gogh, Zeitgenossen wie Jean Metzinger oder Kees van Dongen und Anstöße werden in die Ausstellung eingestreut, und ein Ausblick auf die Zeit und die Impulse nach 1945 schließt den Rundgang durch die neun Räume im Obergeschoß des Museums ab.


Jean Metzinger, Stilleben 1913 - Foto © Frank Becker

Beiden Gruppen gemeinsam ist die Farb-Skepsis, die sich besonders beim Blauen Reiter und im Werk von Mueller, Heckel, Nolde und Kirchner Bahn bricht. Der Mensch steht wie beim literarischen Aufbruch dieser Epoche bei der Brücke im Mittelpunkt, der Moloch Stadt ist verdächtig, die Idylle sehnsuchtsvoll erstrebt und in Garten- und Badeszenen beschworen. Die Revolution brodelt in Bildern und Texten, denken wir an Jakob van Hoddis´ berühmtes Programmgedicht des Expressionismus:
 
„Weltende“
„Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.“
 

Max Pechstein, Der Sohn des Kuenstlers 1917 - Foto  Frank © Becker

Der grobschlächtige, archaische Holz- und Linolschnitt Schmidt-Rottluffs, aggressiv breitflächig angelegte Szenen und ausdrucksvoll subtile Akte Muellers drücken die anti-bürgerlichen Hauptrichtungen dieser Linie aus. Traum und Phantasie hingegen, eine romantische, fast fluchtähnliche Verklärung und Verfremdung bis hin zur Abstraktion, ja Poesie spielen im Werk der NMKV/Blauer Reiter eine entscheidende Rolle. Hier treten auch inhaltlich-konzeptionelle Korrespondenzen mit Musikern wie Alban Berg, Arnold Schönberg, Anton Webern und Alexander Skrjabin auf den Plan, bilden eine frühe Form der Farbvertonung, wie sie in unseren Tagen vom „ensemble sonorfeo“ gepflegt wurde.
 

Ernst Ludwig Kirchner, Sitzendes Maedchen 1914 - Foto © Frank Becker

1914, knapp vor dem bereits gespürten Ausbruch des Weltkriegs reisen Macke, Paul Klee und Louis Moilliet gemeinsam nach Tunis, um das wunderbare Licht des Orients zu skizzieren. Als der Krieg schließlich ausbricht, eilen Macke und Marc patriotisch überzeugt zu den Fahnen. Macke fällt am 26. September 1914 im Alter von 27 Jahren an der französischen Front bei in der Champagne, Marc am 4. März 1916 bei Verdun. Paul Klee, 1916 zum Landsturm eingezogen, als er sich in die neutrale Schweiz absetzen wollte, überlebt den Krieg an der Heimatfront als Schreiber. Alexej Jawlensky ist rechtzeitig vor der drohenden Internierung in seine russische Heimat geflohen. Der Blaue Reiter ist tot.
Auch die Brücke erlischt unter dem fatalen „Kunstgeschmack“ der Nationalsozialisten, die beide Strömungen als „entartet“ verfemten – auch Emil Nolde, der sich zum Nationalsozialismus bekannte und sich den Mächtigen als Nationalmaler andiente.
 
 
Franz Marc, Akt mit Katze 1910 -  Foto © Frank Becker

Die beiden für die Kunst des deutschen Expressionismus entscheidend wichtigen Künstlervereinigungen werden in dieser von Anna Storm und Roland Mönig kuratierten Ausstellung vom Buchheim Museum Bernried, der Kunstsammlungen Chemnitz und dem Von der Heydt-Museum Wuppertal mit eigenen Beständen und Leihgaben des Museums Wiesbaden, des Lenbachhauses München, des Kunstmuseums Moritzburg, des Saarlandmuseums Saarbrücken, des Städel Museums Frankfurt/M., der Kunshalle Kiel und aus Privatsammlungen nebeneinander präsentiert. Daß das Brücke Museum Berlin und die Kunsthalle Emden mit ihren bedeutenden Sammlungen nicht beteiligt sind, wirft zumindest Fragen auf.
 

Erich Heckel, Badende Frauen 1912 - Foto © Frank Becker

„Brücke und Blauer Reiter“
21. November 2021 bis zum 27. Februar 2022
Von der Heydt-Museum Wuppertal, Turmhof 8, 42103 Wuppertal


Katalog:
Zu dieser Ausstellung ist ein ausführlicher Katalog mit Beiträgen von
Frédéric Bussmann, Roland Mönig, Daniel J. Schreiber, Sandra Duhem, Isgard Kracht, Frank Ugiomoh, Anna Storm, Sibylle Dischler und Frank Schumann erschienen:
„Brücke und Blauer Reiter“
© 2021 Wienand Verlag Köln / Buchheim Museum Bernried / Kunstsammlungen Chemnitz / Von der Heydt-Museum Wuppertal (Hrsg. v. Frédéric Bussmann, Roland Mönig, Daniel J. Schreiber) – 303 Seiten, gebunden, mit 230 farbigen und 22 s/w Abbildungen, 31 x 24 cm  – ISBN: 978-3-86832-674-1
34,- €

Frühere Wuppertaler Publikationen zum Thema:
„Der expressionistische Impuls. Meisterwerke aus Wuppertals großen Privatsammlungen“ Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im von der Heydt-Museum, Wuppertal, 2008.
© 2008 Von der Heydt-Museum, Gerhard Finckh und Antje Birthälmer (Hrsg.), 368 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 21 x 27,5 cm - ISBN: 9783892020707
 
„Brücke und Blauer Reiter“ (Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle, Druckgraphiken) hrsg. von Sabine Fehlemann zu einer ähnlichen Ausstellung im Von der Heydt-Museum im Jahr 1997: 264 Seiten, Pb., ISBN 3-89202-030-2.