Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal

Antonin Dvorak – Requiem op. 89

von Johannes Vesper

v.l.: Dorothea Brandt, Rena Kleifeld, Gregor Meyer, Sangmin Jeon, Jens Hamann - Foto © Johannes Vesper

Chor der Konzertgesellschaft:
Antonin Dvorak – Requiem op. 89
 
Beim Stabat Mater von Antonin Dvorak (1841-1904) 1884 in der Royal Albert Hall zu London unter seiner Leitung waren mehr als 12.000 Zuhörern anwesend. So viele waren es bei seinem Requiem am 21.11.2021 im Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal nicht. Immerhin waren 650 vorschriftsmäßig maskierte Zuhörer entsprechend den 2G-Regeln zugelassen worden. Der Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal unter Gregor Meyer hatte sich nach knapp zwei Jahren Zwangspause wegen Corona das Riesenwerk vorgenommen.
 
Dvorak hatte es als Auftragskomposition für das Birmingham Triennal Music Festival 1890 geschrieben, war er doch in England nach seinem Stabat Mater, nach seiner Kantate „Die Geisterbraut“ und seines Oratoriums „Die heilige Ludmilla“ sehr bekannt und im Laufe seines Lebens insgesamt neunmal zu Konzertreisen nach England gereist. Seine erste Stelle hatte er mit 32 Jahren als Organist angetreten, nachdem er zuvor jahrelang als Bratscher mit Unterhaltungsmusik in einer Musikkapelle sein Brot verdient hatte. Katholische Kirchenmusik hatte er in jungen Jahren auf der Prager Orgelschule kennengelernt und wurde von ihr geprägt.
 
Jetzt aber zur Aufführung in Wuppertal: Erst trugen die Geigen, dann alle Streicher unisono, leise das markante eintaktige Motiv vor, bevor von der Empore aus das „Requiem aeterna“ des Chores im mezzopiano wie aus den Tiefen eines großen Domes zur Oboe un poco lento einsetzte. Dieses Todes- oder Kreuzmotiv dominiert das gesamte ca. 90minütige Werk. Dabei handelt es sich eigentlich nur um die allerdings synkopisch verschobene Umspielung eines zentralen Tons, wie sie als Motiv ganz ähnlich schon im 2. Kyrie der H-Moll Messe von J.S. Bach vorkommt. Bald übernahm der Solo-Tenor Sangmin Jeon, als Ensemblemitglied der Oper Wuppertal hochgeschätzt, die Führung. Nach glanzvollen Blechakkorden schwebte der Solo-Sopran von Dorothea Brandt über allem. Unter dem exakten, eleganten wie eindeutigen Dirigat läßt Gregor Meyer, der Leiter des Gewandhauschores mit großer Erfahrung, die ca. 150 Musikanten gestalten. Dorothea Brandt, die von 2006-2014 als Sopranistin ebenfalls an der Wuppertaler Oper immer großen Eindruck hinterlassen hatte, stieg mit Glanz und Strahlkraft schwerelos in höchste Sopranhöhen auf. Nach einem letzten Kreuzmotiv der Streicher endete der ersten Teil im dreifachen ppp, und seelenvoll begann der Solosopran sein „Graduale“, in welchem die Sopranistin souverän ihre ganze Musikalität ausbreitete. Die prinzipiell heiklen Trioleneinwürfe des Frauenchors gelangen mühelos und es kam zu beglückendem Zusammenspiel zwischen Solo- und Chorsopran, bevor sonor, tragend im pp des mehrstimmigen A cappella Männerchor der „Gerechte im ewigen Gedenken fortlebt“. Der Satz endete im ppp der hohen Geigen. Aber dann, dann eröffnete das große Blech inklusive Baßtuba den Tag des Zornes, (dies irae) an dem die „Welt in Asche zündet“. Orchester und Chor, dessen Sicherheit und Klangfülle immer wieder bestach, wirbelten schwer im Fortissimo, wobei die Baßtuba orgelpunktartig das schwarze Fundament im Chaos bildet. Renata Kleifeld beeindruckte mit sonorem und warmem Alt. Insgesamt zeichnete sich das Solisten-Quartett mit Jens Haman (Baß), aber auch in allen Kombinationen durch sauberen Ton und differenzierte Dynamik aus vor allem auch im Solo-Quartett des „Recordare“. Mit langen dynamisch subtil ausgestalteten Melodiebögen wurde hier um Gnade, Nachsicht und ein seliges Ende gebeten. Erstaunlich, wie Dvorak aus diesem kurzen Kreuzmotiv, Schmerz, Endzeit und jüngste Gericht erwachsen läßt, wobei Johannes Brahms ihm doch seinen Einfallsreichtum neidete. Dabei hat er das Requiem überhaupt nicht aus einem Guß komponiert, sondern großteils auf Konzertreisen: das „Lacrimosa“ z.B. „in Köln am Rhein auf der Reise nach London“. Überhaupt komponierte er nie mehr als 40 Takte pro Tag, kümmerte sich lieber um seine Familie, seine Taubenzucht und pflegte seine Vorliebe für Eisenbahnen und Lokomotiven. Ernst und mit großer Kraft begann das „Confutatis“, „wird die Hölle den Verdammten…zur Belohnung“ und der Chor bot große dynamische Breite zwischen ff und pp. Mit den beunruhigenden Triolen begann das „Lacrimosa“, in dem zuletzt mit Amen und leiser Pauke um Erbarmen gebeten wird. Das hochkonzentrierte Publikum, andachtsvoll und still, horchte konzentriert, lieferte keinen Husten und verzichtet am Ende des 1. Teils auf Applaus.
 

Foto © Johannes Vesper

Zwar als Auftragskomposition für ein Musikfest geschrieben, zeigt dieses Requiem doch die tiefe Gläubigkeit seines Komponisten, der selbst geschrieben hat: „...ein Künstler, der nicht gläubig ist, bringt solches nicht zustande“.
 
Im 2. Teil ändert sich der Charakter des Requiems. Bedrohlich und finster im 1. Teil, geht es im 2. Teil, der wieder mit dem Kreuzmotiv beginnt, nicht mehr um Höllenqualen sondern um das ehemals Abraham verheißene, heilige Licht des Himmels. Der Aufforderung des böhmischen Kirchenliedes „Fröhlich laßt uns singen“ wurde der Chor in der großen, kunstvollen Fuge „Quam olim Abraham…“ mehr als gerecht. Souverän mischten sich die nahezu virtuosen Chorpartien mit dem voll aufspielenden Orchester und die Herrlichkeit des Herrn füllte die Stadthalle bis in den letzten Winkel. Ein Fest der Stimmen bot auch der vierstimmige Männerchor gegen den Solosopran in „Hostias“. Und weil es so schön war, gab es nach dem Seelengebet die Fuge noch einmal, nach etwas schneller. Der Chor folgte mühelos allen Intentionen des Dirigenten. Die konsequente Chorarbeit von Georg Leisse, der seit 2016 den Chor leitet, hat hier wunderbare Früchte getragen. Daß sich seit 1986 die Generalmusikdirektoren um diesen Chor nicht mehr kümmern, hat ihm offensichtlich nicht geschadet. Im Sanctus mit tragfähigen und runden Baß Solo (Jens Haman) scheint die Musik zunehmend emotional und naturhaft zu schwelgen. Im katholisch prächtigen „Agnus die“ rissen dann zum letzten Mal die Himmel auf, bevor das Werk andächtig leise verklang und das Publikum lange in Stille verharrte, bevor stürmischer Applaus losbrach. Mit Bravi und Bravissimi wurden Chor (Einstudierung Georg Leisse), der treffliche Dirigent und das Orchester und natürlich die Solisten überschüttet. Ein großes Chorkonzert nach nahezu zweijähriger Pause!