Hilfe Mama, kein Durchkommen!
Es ist noch gar nicht so lange her, da machte die Nachricht die Runde, daß unser Extremschwimmer André Wiersig in 18 Stunden von der Maspernpader bis nach Helgoland geschwommen ist. Die Zeit brauche ich derzeit, wenn ich mit dem Auto vom Südring bis zum Dom gelangen will. Die Stadt ist nicht nur voller Baustellen, die Stadt ist eine Baustelle. Alles steht, alles stöhnt, alles kommt nicht weiter. Wer von den Stadtplanern und Baustellenzulassern aalt sich in der Gewissheit, sich nirgendwo Freunde gemacht zu haben? Das sind ja auch keine schönen Baustellen. Da wird nicht gesungen oder getanzt. Man kommt einfach nicht mehr an. Man irrt herum. Man ist verzweifelt. Die Stadt wird grau und bereitet uns so auf ihr neues Gesicht vor. Ich sah jetzt einen weinenden Fahrradverkäufer, der suchte seine Arbeitsstelle, schaffte es aber nicht mehr auf die Detmolder Straße zu kommen. Welcher Fahrradverkäufer fährt denn mit einem Auto zur Arbeit? Es ist ja auch nicht so, daß man die Bauarbeiten auf der Bahnhofstraße gerne in Kauf nimmt, weil man weiß, daß dort in fünf Jahren ein Bahnhofsbau von erhabener Größe mit einer imponierenden Fassade zu sehen sein wird. Ein häßliches Bauwerk kann auch ein Verkehrshindernis sein. Natürlich zwingen diese Absperrungen, Verengungen und Änderungen den Autofahrern einiges ab. Drängler, Wichtigtuer, Raser und Kaskadeure können endlich zeigen, wie man trotz Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer und Mißachtung der guten Sitten, noch bei Rot eine Grünphase nutzen kann. Sind wir von allen guten Geistern verlassen worden? Auch der Porschefahrer findet keinen Parkplatz, nur schneller. Ich traf jetzt einen verzweifelten Autofahrer im Haxtergrund, der eigentlich zum Fußballstadion wollte. Zum Glück haben Weyhers seit 1. Dezember wieder geöffnet, so konnte er seinen Frust mit einem Apfelkuchen mildern. Autofahrer, laßt uns nicht unsere gute Kinderstube vergessen. Wir kennen doch den Bibelspruch: „Was ihr dem schlecht fahrenden Autofahrer getan habt, das habt ihr mir getan.“ Seien wir auch auf der Straße gütig. Lassen wir den Bruder vor. Diese tausend Baustellen dürfen keine Macht über uns bekommen. Ich nehme mir immer vor die Stauzeiten zu nutzen. Wann haben wir das letzte Mal ausgiebig unsere Ohren gereinigt? Okay, das Handschuhfach ist irgendwann aufgeräumt, aber man könnte in der aufgezwungenen Pause auch das Lenkrad desinfizieren. Ein Bekannter hat in nur sieben Rush Hours eine neue Sprache gelernt und kann nun andere Verkehrsteilnehmer auf Italienisch beschimpfen. Man kann auch in der vorweihnachtlichen Zeit Weihnachtslieder auswendig lernen und seine Kinder damit überraschen, daß man alle Strophen vom „Maria durch ein' Dornwald ging“ drauf hat. Oder bleiben wir einfach zu Hause. Nehmen wir uns eine Auszeit und bleiben für unbestimmte Zeit zu Hause. Kümmern wir uns um unsere eigenen Baustellen und werden zur Tempo 30 Zone.
„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, daß sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“ (Blaise Pascal). Kommt Zeit, kommt Rad.
© 2021 Erwin Grosche
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