Augenschmaus
Ruth Bernhards Fotografien
von Körpern und Muscheln
Nur wenigen Aktfotografen gelingt es, ihre Modelle mit soviel Liebe zu sehen, mit solcher Hingabe ins Licht und Bild zu setzen und mit soviel unaufdringlicher, dennoch fesselnder Erotik zu präsentieren, wie es Ruth Bernhard (1905-2006) getan hat.
Ein längst vergriffener Bildband aus dem Jahr 1986 „The Eternal Body“, erschienen bei Photography West Graphics und 1994 erneut herausgegeben in der Reihe „Chronicle Books“ des San Francisco Chronicle, zeigte mit 50 beispielhaften Bildern den ästhetischen Blick der in Deutschland geborenen amerikanischen Fotografin, die in Deutschland allerdings im wesentlichen unbekannt blieb.
Das Leben und Werk von Ruth Bernhard dem Vergessen zu entreißen und ihr vor allem in ihrer Heimat Deutschland angemessen Geltung zu verschaffen war und ist Ziel und Absicht einer Ausstellung der Berliner Galerie Albrecht im Oktober/November 2021, zu der im Verlag Wasmuth & Zohlen ein wertvoller Begleitband erschienen ist. Texte von Hans-Michael Koetzle und Michael Kenna führen in das Werk Ruth Bernhards ein.
Der Katalog zeigt als erste Publikation überhaupt einen Querschnitt durch das mehr als vier Jahrzehnte umfassende Werk Ruth Bernhards, indem er sowohl eine Auswahl der besten ihrer Aktfotos und Körperstudien als auch Beispiele ihrer künstlerischen Naturfotografie präsentiert. Unübersehbar sind dabei die Einflüsse von großen amerikanischen Fotografen, so Ansel Adams, der sie als größte Aktfotografin überhaupt bezeichnet hat, Edward Weston, der ihr lebenslanger Freund und Lehrmeister war, sowie Imogen Cunningham und Dorothea Lange.
Die mit ihren berückenden Körperformen ausgesucht schönen fotografierten Frauen, die im Katalog gezeigt werden, das Raffinement von Aus- und Beleuchtung (Luminous Body 1962 / Carmen 1971), aber auch die zurückhaltende Wahl nur weniger ver- bzw. enthüllender Stoffe (Draped Torso 1962 / Bride 1968) oder nur Haar (At the Pool 1951) machen die Betrachtung der zärtlichen Akte zu einem einzigen Augenschmaus von dezidierter Erotik. Die beiden Fotos «In the Box Vertical» und «In the Box horizontal» von hinreißenden Akten in schlichten Pappkartons sind von unvergleichlicher Originalität, das eine fließend hingegeben (horizontal), das andere unerhört kraftvoll (vertical).
Diese dezent fesselnde Erotik geht eindeutig auch von den Arrangements mit Muscheln (Angelwing, Bear Paw Clam 1943) und Schneckenhäusern (Snail Shells 1943 – im Katalog irrtümlich als Deep Sea Scallop bezeichnet) sowie von Pflanzenstudien (u.a. Bone and Passion Flower 1958) aus, die ganz deutlich von Edward Weston beeinflußt sind.
Ruth Bernhards fotografisches Werk gehört in der Tat – insbesondere im Bereich Akt – zum Besten seiner Art. In Deutschland zu Lebzeiten kaum beachtet, eine Ausnahme machten zwei Beteiligungen an den Sammelbänden „Akt 61“ (At the Pool 1951, Classic Torso 1952 u.a.) und „Akt 62“ (Dancer in Repose 1951). Der vorliegende Katalog stellt einen guten Vorstoß in eine Lücke der Fotogeschichte dar und könnte der Beginn einer deutschen Gesamtrezeption von Ruth Bernhards Arbeit sein. Eine Empfehlung der Musenblätter.
Ruth Bernhard – „Fotografien - Photographies 1930 – 1976“
Herausgeber: Galerie Albrecht, Susanne Albrecht – Begleitbuch zu einer Ausstellung in der Galerie Albrecht Berlin
© 2021 Wasmuth & Zohlen, 96 Seiten, fadengeheftete Klappenbroschur, 28,5 x 22,5 cm, Bildseiten im zweifarbigen Duplexdruck, Sprache: Deutsch, Englisch - ISBN: 978-3-8030-3415-1
34,- €
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Fotografie
04.01.22
