Angespanntheitsboy und der Blattschuß - oder: Man sieht sich im Leben immer zweimal

Eine Geschichte aus dem Leben

von Alex Lindinger (der natürlich ganz anders heißt)
Angespanntheitsboy und der Blattschuß
 
Neuer Rekord!
 
Interview in 24 Minuten abmoderiert.
 
Obwohl ich mich normalerweise freimachen kann von persönlichen
Befindlichkeiten, was meine Kandidaten angeht, da es eben viele arrogante
Beratertypen sind, mit denen ich abends an der Hotelbar KEIN Bier trinken
würde, mußte ich neulich einen Kandidaten recht rasch abknipsen, obwohl
ich ihm wirklich eine reelle Chance gab….
 
Grund war folgender, recht netter Dialog im Vorfeld.
 
Ich mache mich auf dem Weg zum Düsseldorfer Büro, und nach dem
Verlassen der S-Bahn-Station „Gerresheim“ zünde ich mir draußen
eine Zigarette an, hinter mir läuft Angespanntheitsboy, der fahrige
Superheld.
 
Er fängt irgendwann nach 30 Sekunden, so circa vier Meter hinter mir
gehend - gekünstelt an zu husten, dann an sich so veronica-ferres-esk zu
räuspern, dann wieder aufgesetztes Hüsteln. Das geht ungefähr drei, vier
Inhalationen so.
 
Irgendwann drehe ich mich um, es kann ja sein, daß er mich unauffällig
auf Taubenkacke auf der Anzugsjacke hinweisen möchte, frage freundlich,
jedoch pointiert im Weitergehen:
 
   „Entschuldigung, alles in Ordnung?!“
 
   „Eine Unverschämtheit, daß Sie hier rauchen!“
 
   „Bitte? Freundchen, wir sind im Freien!“
 
   „Halt die Schnauze Du Pimmel!“
 
Halt. Die. Schnauze. Du. Pimmel. Bumm.

 

Ich halte mich normalerweise für schlagfertig, aber das hat mich doch
irritiert….. ich ließ ihn vorbeiziehen, und wünschte ihm aufgesetzt
freundlich… „Ebenfalls einen erfolgreichen Tag!“.
 
Schnitt.
 
Im Büro trinke ich einen Kaffee, gucke mir die Unterlagen meines um 09.00
Uhr beginnenden Interviews an, stimme mich mit dem Fachbereich ab
(„Alex, der Bewerber ist schon da und sitzt im Raum.“), betrete den Raum -
und ein guter, neuer Bekannter sitzt dort:

Angespanntheitsboy.
 
Ich bin sehr freundlich, gebe ihm die Hand, seine Körpersprache des „Die
Welt gehört mir! Ich bin Gottes Geschenk ans Consulting!“ ist sofort wie
weggeblasen, als er mich sieht.
 
Doch da ich ein passabler Schauspieler bin, übergieße ich ihn mit kühler
Freundlichkeit, die übliche Anmoderation „Blalabla, vielen Dank daß Sie hier
sind, gut hergefunden, blalabla, Kaffee / Wasser anbieten, Kekse nicht nur
Dekoration, pipapo, gedreht zum Managing Director…
 
„Herr XYZ und ich hatten die Gelegenheit, uns im Vorfeld kurz
auszutauschen“, wieder zum Kandidaten, „Schön, daß Sie hier sind,
entgegen Ihrer Spekulation ist mein Name ‚Lindinger‘ – ICH FREUE MICH
DARAUF, SIE INTENSIVER KENNENZULERNEN."
 
Der Junge war da schon völlig alle.
 
Ich habe ihn innerhalb der CV-Paraphrase – zehn Minuten, in denen ich kein
Mal nachbohrte, sondern ihn nur zu den neuralgischen fachlichen Punkten
führte - und nur durch zwei offene Soft-Skills-Fragen („Was bedeutet für Sie
Kundenorientierung?“ und „Ist das Kehren des Parkplatzes für Sie ‚job
enrichment‘ oder ‚job enlargement‘?) dazu bewegt, daß er von sich aus
erklärte, er sei sicherlich nicht für die Führungsposition geeignet.
 
Ich begrüßte seine Offenheit und teilte seine Meinung.
 
Dankte hernach herzlich und zückte das Fahrtkostenabrechnungsformular.
Und verabschiedete ihn mit der Plattitüde: „Man sieht sich immer zweimal im
Leben, ich persönlich freue mich auf ein Wiedersehen.“
 
Der Fachbereich hatte außer einem „Guten Morgen“,
„Vorname / Nachname“, „Freue mich sie kennenzulernen“ keinen Redeanteil.
 
Einen solchen aufgesetzten Blattschuß habe ich einem Kandidaten seit
2004 nicht mehr verpaßt! Tat verdammt gut.
 
Pro-Vitos oder Campari & Simpel nehmen ihn vermutlich ;-). WIR NICHT.