Kleinode europäischer Kunstlieder

Zwischenwelten - Judith Hilgers (Sopran) Lydia Hilgers (Klavier)

von Johannes Vesper

Zwischenwelten
 
Kleinode europäischer Kunstlieder
 
Wie ist der Titel dieser CD zu verstehen? Laut Text im Beiheft geht es um die Komplexität zwischenmenschlicher Gefühle, wie sie in Gedichten von Dichtern und Musikern von 1823 (Franz Schubert „Auf dem Wasser zu singen“, Text: Louise zu Stolberg) bis 1937 (Benjamin Britten „On This Island“, Text: Wystan H. Auden) empfunden wurden. Oft als Erfindung der deutschen Romantik bezeichnet, ist das Lied vor allem als meist mündlich überliefertes Volkslied natürlich viel älter. Aber vor allem mit Schubert, der mehr als 600 Lieder komponiert hat, emanzipierte sich das Bürgertum mit dem komponierten „Kunstlied“ vom geistlichen Lied der Kirche und den Theater- und Opernvergnügungen der höfischen Gesellschaft. Und der uralte, enge Zusammenhang zwischen Gedicht und Lied wird z.B. schon in der Bezeichnung des Nibelungenliedes deutlich, welches als reines Versepos ohne jede Musik entstanden ist.
Musik und Dichtung, auf dieser CD vereint in kleinem Format ausgewählter und anspruchsvoller Kunstlieder, spiegeln Gefühle, Episoden, Liebe, Leid, Lachen und Weinen, Schimpfen und Zorn, Sehnsucht, Tod, und damit Zwischenwelten, wie sie im Titel angekündigt werden. Die Auswahl trafen Judith Hilgers (Sopran) und Lydia Hilgers (Klavier). Gleich zu Beginn bei den beiden Schubert-Liedern („Auf den Wassern zu singen“, „Die junge Nonne“) fällt die exzellente Ausdruckskraft des klangvollen wie beweglichen Soprans auf, wenn er zum bewegten Klavier in spiegelnden Wellen die vergehende Zeit oder den in Baumwipfeln heulenden Sturm innerer Konflikte besingt.
 
Auf Schubert folgen Lieder von Hugo Wolff (1869-1903), der 1891 und im zweiten Anlauf 1896 sein Italienisches Liederbuch nach Liebes- und Tanzgedichten („Strambotti“) aus Italien komponiert hatte. Solche freien Gedichte ohne festes Reimschema entstanden bereits im 14. Jahrhundert. Der außerordentlich produktive Dichter und Schriftsteller Paul Heyse (1830-1914) hatte 1860 solche Verse aus dem Italienischen übertragen. Er liebte Italien über alles und seine Dichtermuse, seine Erato, war offensichtlich Italienerin. In den hier ausgewählten Liedern geht es natürlich um Liebe, um blutige Tränen, um Herzschmerz und den seelenvollen Blick zum Holden, aber auch um dessen völlig unzureichende Einladung zu Tische, um Eifersucht und um sein garstiges Gerede. („Schweig endlich einmal still, du garstiger Schwätzer dort…“). Wie das Leben so ist. Sopranistin und Pianistin wirken hier zwischen Elegie und Sarkasmus als gleichberechtigte Duopartner in beglückender Synergie.
 

Lydia Hilgers (Klavier), Judith Hilgers (Sopran) - Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Benjamin Britten (1913-1976) komponierte den Liederzyklus op. 11 „On This Island“ nach Gedichten seines Freundes Wystan H. Auden (1907-1973), der Erika Mann geheiratet hatte, um ihr einen britischen Paß zu verschaffen. Britisch-imperialistisches Lebensgefühl, herbstliche Melancholie beim Fallen der Blätter, stürmische See vor Kalkfelsen, Nocturne (cis-Moll bis zum Morgengrauen) und auch das letzte „As it is, plenty“: All das bietet reiches musikalisches Material vom englischen Barock bis zur Tanzmusik der 20er Jahre. Erstaunlich seelenvoll und kristallklar werden Sopran und blitzsauber das Klavier auf der CD hier präsentiert. Beglückend, wenn die Sängerin lange Töne strahlen läßt, bevor mit angedeutetem Tremolo die schwingende Seele hörbar wird.
Der Herbst ist auch Thema bei „Automne“ von Gustav Fauré (1845-1924) und bei der plärrenden „Mandoline“ Claude Debussys (1862-1918) nach dem Gedicht von Paul Verlaine spüren die beiden Musikerinnen schauriger Galanterie morbider Parties nach.
Joaquín Turina (1882-1949) hat viele Lieder geschrieben. Bekannt ist seine „Homenaje a Lope de Vega“ (1562-1653). Hier wird liebevoll geschaut, geseufzt, sehnsüchtig geschmachtet, werden Eifersucht und spanische Dessous musikalisch spanisch-impressionistisch besungen.
 
Der Liedreigen endet französisch-impressionistisch mit „Beau Soir“ von Claude Debussy nach dem Gedicht von Paul Bourget (1852-1935). Bei Sonnuntergang hinter rosa gefärbten Flüssen und lauem Abendhauch über dem Weizenfeld sollen wir den Charme der Welt kosten, was mit den dargebotenen musikalischen Kleinodien ohne Weiteres gelingt.  
Diese ausgesuchte Auswahl europäischer Kunstlieder bietet in der exzellenten Darbietung von Judith Hilgers und Lydia Hilgers bei makelloser Aufnahmetechnik reines Vergnügen.
Liedtexte und Informationen zu den Künstlerinnen im Beiheft.
 
Zwischenwelten - Judith Hilgers (Sopran) Lydia Hilgers (Klavier)
© 2022 Fitschgetau recording-producing-publishing
(Tonmeister Manfred Dahlhaus, Fotos Karl-Heinz Krauskopf)
Stücke:
1. Auf den Wassern zu singen op.72 (Franz Schubert), 2. Die Junge Nonne op. 43 no.1 (Franz Schubert), Italienisches Liederbuch (Hugo Wolff): 3: Nr. 19 “Wir haben beide…“, 4. 20 „ Mein Liebester singt“…, 5: Nr. 25 „Mein Liebester hat zu Tische…“, 6. Nr. 32 „Was soll der Zorn“, 7. 40 „O wär dein Haus“, 8 Nr. 41 „Heut Nacht erhob ich mich“, 9 43 „Schweig einmal still“. On this island op. 11 (Benjamin Britten) 10. Let the florid music praise, 11 Now the leaves are falling fast. 12. Seascape 13. Nocturne, 14 As it is , plenty!. 15 Automne op. 18 no. 3 (Gabriel Fauré), 16. Mandoline.(Claude Debussy), Hommage a Lope de Vega op. 990 (Joaquin Turina) 17. Cuanda tan hermosa os miro…, 18. Si con mis deseos… 19 Al val de Fuente Ovejana …. 20 Beau Soir (Claud Debussy).
Gesamtspielzeit ca. 47 Minuten
 
Weitere Informationen: www.fitschgetau-recording.de/