Die Braut

Eine merkwürdige Begebenheit, erzählt

von Eugen Egner

Die Braut

"Ist Ihr Aufenthalt geschäftlicher oder privater Natur?" fragte die Dame an der Rezeption, nachdem Kramp ihr das, wie ihm nun auffiel, nicht vollständig ausgefüllte Anmeldeformular zurückgereicht hatte. Er geriet in Verlegenheit, überlegte und brachte schließlich unsicher hervor: "Ich... wir sind auf Hochzeitsreise hier." Die Empfangsdame sah ihn an, als ob sie nicht richtig verstanden hätte, und Kramp versuchte es anders: "Ich brauche Urlaub, mein Zustand ist bedenklich, deshalb kommen wir her, meine Braut und ich." Daraufhin warf die Empfangsdame einen überraschten Blick auf das Formular, stutzte und wollte wissen, wo die Braut denn sei. "Das frage ich mich allmählich auch", antwortete Kramp. Er ging zuerst einmal auf sein Zimmer und dachte nach. Aus dem Nebenzimmer waren Schritte und ein leises, unverständliches Gemurmel mehrerer Stimmen zu hören. Ja, wo war sie, die Braut? Kramp rief die Rezeption an und verlangte, der Hoteldetektiv solle nach seiner Braut suchen. Ihm wurde zugesichert, alle erforderlichen Schritte würden umgehend eingeleitet. Damit zunächst einiger­maßen zufriedengestellt, doch nach wie vor ratlos, nahm Kramp im Sessel Platz und rauchte. Aus dem Nebenzimmer waren immer noch Schritte und Stimmen zu hören. Wurde da nicht an die Wand ge­klopft? In der Tat, nebenan klopfte jemand wieder und wieder an die Wand, unüberhörbar und daher mit der Zeit störend. Kramp rief noch einmal die Rezeption an und meldete, daß fortwährend an die Wand geklopft wurde. Im Nebenzimmer sei angeblich einmal jemand er­mor­det worden, hieß es daraufhin, vielleicht habe das Klopfen damit zu tun. Sehr befriedigend fand Kramp diese Auskunft, nach der sogleich wieder aufgelegt wurde, nicht gerade. Er sah es als notwendig an, selbst hinüberzugehen, um nachzusehen. Wie er beim Öffnen der unverschlossenen Tür sah, war der Raum leer. Es gab jedoch im Moment Wichtigeres als leere Räume, Kramp mußte seine Braut finden. Er schloß sorgfältig ab und ging in den Garten hinunter. Der Hoteldetek­tiv wartete schon auf ihn. Da Kramp wenig Lust hatte, von sich und seinen nicht zum Besten stehenden Verhältnissen zu berichten, trachtete er, einer etwaigen Frage nach seinem eigenen Befinden zuvorzukommen, indem er sich schnell erkundigte: "Und woran arbeiten Sie zur Zeit?" Der Detektiv sprach davon, daß er beauftragt worden sei, Kramps Braut zu suchen, das sei gegenwärtig sein einziger Fall. Er versprach, sein Möglichstes zu tun. So verblieb man fürs erste und ging hoffnungsvoll auseinander.

   Auf seinem Zimmer dachte Kramp weiter nach. Durch die Wand zum Neben­zimmer drangen unausgesetzt Stimmen und Schritte herüber. Es wurde Abend, ohne daß Kramp etwas von seiner Braut oder dem Hoteldetektiv hörte. Er ging zur Rezeption hinunter, die er jedoch verwaist fand. Die Küche war geschlossen, der Aufenthaltsraum ganz menschenleer. Langsam stieg er wieder zu seiner Etage hinauf. Vor der Tür des Nebenzimmers blieb er stehen, da er auch jetzt Stimmen und Schritte darin hörte. Diesmal war abgeschlossen, und Kramp kehrte in sein Zimmer zurück. Er mußte sich sehr wundern, denn ganz fremde Leute lagen in seinem Bett.


© Eugen Egner - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007
Beispielbild
Eugen Egner - Foto © Frank Becker

Eugen Egner, * 10.10.1951 in Ingelfingen

Dichter phantastischer Prosa (Auswahl): "Androiden auf Milchbasis", "Gift Gottes", "Die Eisenberg-Konstante", "Aus der Welt der Menschen", "Der Universums-Stulp"), „Nach Hause“ (April 2007)
Erfinder glaubhafter Biographien ("Die Tagebücher des W.A. Mozart", "Aus dem Tagebuch eines Trinkers")
Hörspiel-Autor (u.a. "Das Schattenfräulein", "Was macht eigentlich Harry Absolut?")
Zeichner (u.a. "Meisterwerke der grauen Periode", "Als die Erlkönige sich Freiheiten herausnahmen", "Gefährliche Gitarristen")
selbst gefährlicher Stromgitarrist