Tod auf dem Nil
(Death on the Nile - USA 2020)
Regie: Kenneth Branagh
Mit: Kenneth Branagh, Gal Gadot, Annette Bening, Armie Hammer, Emma Mackey, Jennifer Saunders, Dawn French u.a.
Es gibt zwei Grundprobleme bei der Neuverfilmung der „großen“ Hercule Poirot-Krimis von Agatha Christie. Erstens existieren sowohl zu „Mord im Orient Express“ wie „Tod auf dem Nil“ Vorgängerfilme, die mit einer All-Star-Besetzung glänzten, die heute nicht mehr aufzubieten wäre. Luxus pur, nicht nur der Namen, sondern auch der Leistungen. Beide Filme erscheinen regelmäßig in den Fernsehprogrammen, man kann also davon ausgehen, daß „jeder“ sie kennt, zumindest jeder Agatha Christie-Fan.
Und da ist auch noch Poirot. 1974, im „Orient Express“ hatte man den kleinen belgischen Detektiv mit Albert Finney besetzt, an sich ein großer Schauspieler, aber gleich festgestellt, daß er nicht der Richtige war. Für die Nilfahrt wählte man dann 1978 Peter Ustinov, der in seiner Verschmitztheit und Ausstrahlung eine Idealbesetzung darstellte. Zudem ist nicht zu vergessen, daß später von 1989–2013 in nicht weniger als 70 Fernsehfolgen David Suchet eine absolute Meisterleistung ausgefeilter Charakteristik bot, so daß er für jedermann als „der“ Poirot gelten wird.
Kenneth Branagh ist also in große Fußstapfen getreten, wenn er Poirot sein möchte (Wallander zu verkörpern, war leichter, weil die schwedische Originalbesetzung bei uns nie so bekannt geworden ist). Er wählte schon optisch eine ganz exzentrische Lösung, indem er sich einen Riesenschnauzer verpaßte, der bis weit in die Backen reicht, und von Poirot gewissermaßen „zartem“ Wesen bringt er gar nichts – und die überragende Intelligenz strahle er auch nicht aus. Dennoch – sein erster Versuch mit dem „Orient Express“, mit sich auch in Regisseur-Funktion, hat, mit einigermaßen prominenter Besetzung, genug eingebracht, daß er das Versprechen, das er am Ende des Films gab, einhalten konnte. Er werde in Ägypten erwartet, hat er damals verkündet.
„Tod auf dem Nil“ ist nun, wieder mit ihm in der Doppelfunktion als Regisseur und Poirot, schlechtweg mißglückt, und das aus vielen Gründen. Um seinen Bart zu rechtfertigen (!), gibt es ein völlig unnötiges Vorspiel aus dem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs. Da erweist sich der Soldat Poirot als so gescheit, daß er seine Kompagnie rettet, trägt aber eine so starke Wunde im Gesicht davon, daß seine Freundin entscheidet, er müsse sich einen Bart wachsen lassen. Außerdem klappt es mit der Herzensdame nicht, was Poirot einmal sentimental erzählt, womit der Figur ein neuer Nimbus gegeben wird. So weit, so okay.
Dann allerdings hat man die Vorgaben des Buches dermaßen der gängigen politisch korrekten Diversität angepaßt, daß vom Original nichts bleibt als die fatale Dreiecksgeschichte, um die sich alles dreht. Die schöne Millionärin Linnet (Gal Gadot war als Wonder Woman weit interessanter als hier, wo sie dauerlächelt, halb glücklich, halb tapfer) nimmt ihrer freuen Freundin Jaqueline (Emma Mackey ist so farblos, daß man kaum glauben würde, daß Mia Farrow einst die Hauptrolle daraus gemacht hat) den Verlobten weg. Dieser Simon Doyle muß zwar nicht mehr tun, als gut aussehen, und das schafft Armie Hammer gerade noch – wollte man ein bißchen Hintergründigkeit verlangen, wäre das schon mehr, als er bietet (bieten kann?). Negativ erwähnen muß man, daß das Drehbuch von Michael Green sich gar keine Mühe macht, diese zentrale Geschichte auch wirklich klar heraus zu arbeiten.
Vermutlich war der gute Mann zu sehr damit beschäftigt, alles andere im Zeitgeist-Sinn zu verändern. Da gibt es nun ein altes Lesben-Paar, denn die reiche Mrs. Van Schuyler (Jennifer Saunders vergeblich in der Nachfolge von Bette Davis) wird nur pro forma von einer Dienerin begleitet, eigentlich ist Mrs. Bowers (Dawn French – was hat Maggie Smith einst aus deren Rolle gemacht!) ihre Geliebte, und irgendwie hat man vergessen, daß diese Figuren auch eine Funktion haben sollen.
Poirots Freund (einst David Niven, unersetzlich) ist zu einem jungen Mann geworden (gänzlich unauffällig Tom Bateman als Bouc), der hier die Aufgabe hat, sich von seiner besitzergreifenden Mutter sekkieren zu lassen (Annette Bening ist auch schon größeren Herausforderungen begegnet als diesem Klischee) und sich in eine junge Dame zu verlieben, die natürlich PoC sein muß (Letitia Wright as Rosalie) und gleich noch eine ebenso farbige Tante mitbringt (Sophie Okonedo, die auch singen darf, ohne daß es Sinn ergibt). Der Doktor (Russell Brand) wirkt exotisch, der verdächtige Vermögensverwalter (Ali Fazal) ist Inder.
Damit ist der Diversität Genüge getan – daß alle Beteiligten im Grunde höchst reizlos wirken, ist allerdings das Problem des Films, der keine Figur wirklich ausführt. Dagegen hat Branagh als Regisseur mit ein paar affektiert verfremdeten Passagen versucht, Spannung zu erzeugen, was absolut nicht gelingt.
Dazu kommen Schrecklichkeiten – daß die Crew Ägypten nie auch nur von Ferne gesehen hat, ist klar, selten sind die Pyramiden schlechter aus dem Computer gekommen, und das im Studio nachgebildete Abu Simbel ist eine Schande. Kurz, der Film hinkt optisch, hinkt dramaturgisch, hinkt handwerklich, und auch Branagh ist als Poirot keinesfalls die „strahlende“ zentrale Figur, bei der alles zusammen läuft, sondern er scheint sich verlegen am Rand der Handlung herum zu drücken.
Am Ende verspricht er keine Fortsetzung. Nach dieser Erfahrung ist man auch nicht besonders erpicht darauf. Aber trösten wir uns: Mit „Belfast“ hat Kenneth Branagh bewiesen, daß er ein großer Regisseur ist – hoffentlich honoriert man diesen seinen Film bei den „Oscars“ nachdrücklicher als bei den „Golden Globes“… Oder nimmt man ihm übel, daß er gleichzeitig Mainstream und echte Filmkunst machen möchte?
Renate Wagner
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