CHESS
Musical-Ereignis am Essener Aalto
Premiere am 13. September 2008
Musikalische Leitung: Heribert Feckler Besetzung (Zweitbesetzung in alphabethischer Reihenfolge): U oder E - Bödsinn!
Der Volksmund unterscheidet immer noch zwischen U- und E-Musik. Diese Einteilung ist natürlich Blödsinn, weil sich die Grenzen Gott-sei-dank endlich aufgelöst haben - denn Unterhaltungsmusik kann genauso ernst daherkommen und gemeint sein wie E-Musik, die man früher gemeinhin mit Klassik gleichsetzte. Dabei kann Klassik (E-Musik) genauso unterhaltsam sein wie langweilig und öd. Der Begriff der Pop-Musik hilft hier kaum weiter, seitdem Puccinis „Nessun dorma“ nicht zum ersten Mal die Hitparaden stürmt. Der Kritiker schließt sich hier den Worten Kurt Weills an, nach denen es nur gute oder schlechte Musik gibt. Dabei zählen die Hits der berühmten Band ABBA zur ersteren Kategorie. ABBA
Daß Erfolg, man kann es eigentlich im Zeitalter der Supernasen-Talentshows kaum glauben, auch mit Qualität und fundierter Ausbildung verbunden sein kann, bewiesen und beweisen weiterhin die
Substanz und Kompetenz
Nun zum Musical CHESS: Nachdem der weibliche Teil ABBAs sich 1980 endgültig von seinen kreativen männlichen Partnern getrennt hatte, suchten diese neue musikalische Betätigungsfelder – Stichwort: Musical. Lange bevor sie mit MAMMA MIA (1999), einer recht einfallslosen Kompilation alter Hits, eingebaut in eine recht simple Rahmenhandlung, den ganz großen Musicalerfolg feiern konnten, hatten sie schon im Jahr 1984 die famosen Noten für ein Musical zu Papier gebracht, das dem großen Autor und Librettisten Tim Rice schon lange auf den Nägeln brannte: CHESS. Die Geschichte zweier Schachweltmeister in Zeiten des Kalten Krieges, historisch den allseits bekannten Vorbildern Fischer & Spasski nachgezeichnet und ummantelt mit einer hübschen Liebesgeschichte, leider ohne Happy End. Vielleicht waren es eben jenes „fehlende Happy End“ und die allzu anspruchsvoll und realistisch am Schach klebende Geschichte, daß dieses absolut superbe Musical nicht die erwartete internationale Popularität erreichte. Schade, denn CHESS zählt zum besten und gelungensten, auch musikalisch anspruchsvollsten Konstrukt, das in den letzten 30 Jahren produziert wurde. Wir hören gekonnte Anklänge an Wagner, Brahms, Stravinsky – gepaart mit Heavy Metall à la Uriah Heep und Deep Purple. Sakrale Gesänge alternieren mit toller Pop-Musik (One Night in Bangkok, I know him so well…) und immer wieder kurze Balladen im Dylan- oder Donovan-Stil. Der Oldie-Fan ist richtig traurig, daß die Geschichte nach rund 100 Minuten schon zu Ende ist. Diese herrliche Musik könnte man stundenlang weiterhören. Essen zeigt Flagge
Endlich, endlich, endlich… ist es gelungen, die phantastische Technik des Essener Musentempels adäquat einzusetzen und in aller Perfektion und allem Zauber glänzen zu lassen. (persönliche Anmerkung: Ein derartiges Lob für den Opernbereich steht leider seit gut 20 Jahren noch aus, läßt aber den Schuhkarton- und Einheitsbühnenbild-geplagten Kritiker noch hoffen!). Geradezu wie auf der Zauberbühne in Las Vegas bei Siegfried und Roy bewegen sich Gegenstände, Monumente, Ebenen und Spielflächen – es rotiert die Drehbühne, Ober- und Untermaschinerie feiern wahre Orgien (Verantwortlich: Dirk Becker). Ja, wann hat man Ähnliches zuletzt hier erleben dürfen? Hinzu kommen professionell und variabel eingesetzte Projektionsflächen mit erkennbar guten und überzeugenden Videobildern (Omas Wackelkamera – Orlando läßt grüßen - hat hoffentlich endlich ausgedient).
Eine fabelhafte „Lichtregie“ (Ltg. Jürgen Nase) verdient ihren Namen zurecht. Konzepte die stimmen und stimmig sind; alles ist bis auf feinste Nuancen sauber ausgeleuchtet und sogar der alte „Verfolger“ wird perfekt integriert – geradezu ein Lehrbuch für anstehende Berufsanfänger. Warum ist das nur nicht immer so? Der Opernfreund braviert allen weiteren Beteiligten.
Die phantasiereichen Kostüme von Martina Feldmann widerspiegeln, integrieren und konterkarieren genial das jeweilige Szenario – sei es in der Farbigkeit und dem Kostüm traditioneller Bergdörfler (Meran), dem charmantem Orientalismus (Bangkok) oder integrieren sich sinnfällig ins individuelle Bild der schwarz-weißen Schach-Monochromie. Wunderbar!
Der gute Ton
Doch Kern- und Angelpunkt einer jeden Microport-Produktion, ist die Tontechnik. War sie, zumindest
Das Team am Mischpult arbeitete am Samstag mit der Präzision einer Studioaufzeichnung. Hier hat zum ersten Mal das Prädikat „exzellent“ seine Berechtigung. Fünf Sterne! Bravi auch für alle am Ton beteiligten fleißigen Seelen. Solche „High Fidelity“ muß Zukunftsstandard bleiben – egal ob Operette oder Rockoper. Und laßt Euch nicht an der Lautstärke herummanipulieren, bitte! Rockmusik ist laut und muß auch so wiedergegeben werden! Egal welcher Pflegefall sich da in der Pause beschwert. Damit lebt und stirbt jede Live-Aufführung. Mehr als großes Lob von dieser Stelle an die Leiterin der Tonabteilung Sabine Bormann und den akkuraten unerschütterlichen Männern am Pult, Helmut Baar und Axel Vent.
Atemberaubend
Besser als Heribert Feckler kann man kaum die Musiker, Sänger und gelegentlichen Klangmassen motivieren. Der kopfhörerbewehrte Dirigent ist für mich der „Mann des Abends“ gewesen. Zusammen mit dem Dream-Team vom Sound läßt er die Musik in höchster Klangreinheit erblühen; egal ob edler Blechbläserklang, schneidende Gitarrenriffs, fabelhaftes Schlagzeug (!), raumgreifende Orgelklänge bzw. samtiger Kammersound – alles tadellos. Die tolle Truppe der 16 Musiker des sogenannten „United Rock Orchester“ hätte es mehr als verdient, im Programmheft einzeln erwähnt zu werden.
Staraufgebot
Last but not least hatte man für die Gesangs-Partien die „Crème de la Crème“ der deutschen Musicalszene eingeflogen. Überragend präsentierte sich Femke Soetenga (Florence) – eine Stimme, die mich frappierend ans Abba-Original von Frida Lyngstad erinnerte. Sie war der absolut umjubelte Star des Abends, als wäre die Musik direkt für sie geschrieben. Sicherlich eine Idealbesetzung, denn sonst hätte man sie kaum nach den Riesenerfolgen mit derselben Partie in Nordhausen und Dresden nun schon zum dritten Mal in dieser Rolle erleben dürfen. Brava! Der sympathische junge Serkan Kaya (Anatoly) ist nach „Miami Nights“, „Elisabeth“, „Footloose“ und
Schnell zuschlagen heißt es für den Musical-Fan, denn die Karten für die Folgevorstellungen werden im Handumdrehen ausverkauft sein. 5 Sterne! Eine tolle Aufführung.
Informationen unter: www.theater-essen.de
Die Rezension ist eine Übernahme mit freundlicher Erlaubnis des "Opernfreund" |