Der Zauber des Lichts
Eine Einführung in die große Kunst
der Malerei mit (und von) Licht
„Nie hätte das Auge je die Sonne gesehen,
wäre es nicht selbst sonnenhafter Natur;
und wenn die Seele nicht schön ist, kann sie das Schöne nicht sehen.“
(Plotin)
Licht bringt das Schöne der Welt zur Geltung, Licht bringt Verborgenes an den Tag, Licht weist den Weg, es läßt Perspektiven erkennen und es beleuchtet die Gefühle des Menschen. Wie wichtig das Licht für uns ist, sehen wir grade jetzt nach Wochen, ja gefühlten Monaten bleischwer grauen Himmels, da die Sonne hervorbricht und alles erstrahlen läßt. Wir nehmen die Nuancen des Lichts dankbar und mit mehr Sensibilität wahr. Die Effekte des Lichts, ob bei Tage oder Nacht, natürlich oder künstlich, im Bild einzufangen, sie für die Ewigkeit festzuhalten, gehört zur großen Kunst der Malerei und gewiß auch der Fotografie.
Der Dietrich Reimer Verlag legt das brillante kompakte Werk „Das Licht in der Kunst“ von Massimo Mariani in einer handlichen Ausgabe vor, das mit Werken aus der vorchristlichen Zeit bis zur Moderne Licht und Wirkung in der Malerei, Bildhauerei, Film und Architektur, vor allem aber der Malerei in Beispielen vorstellt und griffig erklärt.
Der Verlag dazu: Licht hatte in der Kunstgeschichte immer wieder andere Bedeutungen und Funktionen: In mittelalterlichen Fresken standen Lichtstrahlen für die Präsenz des Göttlichen, bei den niederländischen Malern des 17. Jahrhunderts sollte Licht Räumlichkeit erzeugen und Stimmungen vermitteln. Die Impressionisten wollten dann das Licht an sich und sein Spiel auf den Oberflächen der Gegenstände mittels Farbe darstellen. Und Fotografen nutzten Licht - Sonnenlicht oder auch künstliches -, um die Dinge überhaupt sichtbar zu machen.
Der Buchumschlag zeigt in einer Collage exemplarisch drei Werke der Malerei, die im bürgerlichen, religiösen und landschaftlichen Zusammenhang für die hohe Kunst des Umgangs mit dem Licht stehen: Jan Vermeers „Dienstmagd mit Milchkrug“, Caravaggios „Berufung des Heiligen Matthias“ und William Turners „Venedig - Dogana und San Giorgio Maggiore“ – nur drei Meister von den vielen, die Massimo Mariani mit köstlichen Kunstwerken zur Thematik an- und vorführt.
Beginnen wir mit einem, dem es wie kaum einem anderen gelungen ist, in seinen Gemälden Licht aus seinen natürlich Quellen effektvoll einzusetzen: Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Wer je in einem Museum vor seinen dramatisch lichtdurchfluteten schon vor-impressionistischen Seestücken, seinen Sonnenuntergängen oder den himmelblauen venezianischen Impressionen gestanden hat, wird vor Ergriffenheit erschaudert sein. Dass Licht seiner Sujets fließt schier aus den Gemälden, ist zu gewaltigem, leuchtenden Eigenleben geworden (Seiten 152-159). Der russische Seemaler Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski (1817-1900) ist der geniale naturalistische Gegenpart. Auf Seite 69 läßt das Schiffbruch-Sujet „Die neunte Woge“ (1850) seine große Kunst erkennen.
Der Impressionismus mit seiner von Barbizon geprägten luftigen Freilicht-Malerei setzte das Licht in seiner poetischen Form ein. Beispiele von u.a. Claude Monet, Georges Seurat, Paul Signac, Camille Pissarro oder Gustave Courbet werden beispielhaft angeführt.
Aber auch künstliches Licht, so von Feuern, Öllampen, Kerzen will effektiv eingesetzt sein. Wunderschöne Beispiele dafür sind Gerard van Honthorsts „Die Heiratsvermittlerin“ (1625) auf Seite 89, Tizians „Venus von Urbino“ (1538) auf Seite 133, Rembrandts „Der lesende Mönch“ (Seite 123) oder, von göttlichem Leuchten erfüllt, Giambattista Tiepolos „Der Triumph von Zephyr und Flora“ (1732). Letzteres schwelgt in üppigen Farben und magischem Licht (Seiten 73-75), wo Rembrandts Mönch bei letztem fahlem Licht 1661 ein Traktat vors müde Auge führt. Tizian läßt seine Venus vor abendlicher Dämmerung, in der ein Kind in Hintergrund kniend sein Nachtgebet spricht, hell ausgeleuchtet mit ihrer gänzlichen Nacktheit locken, womit er provokativ einen scharfen Kontrast zwischen Religion und Libido herstellt. Eindeutig erotisch besetzt ist van Honthorsts Heiratsvermittlerin, die aus dem Schatten des dunklen Raums auf die von Kerzenlicht herausgestellten (körperlichen) Vorzüge des zu vermittelnden Mädchens hinweist: das lockend saftige Dekolleté überstrahlt noch das hübsche, freundlich lachende Gesicht. Man sieht, was Licht kann.
Der üppig und farblich hervorragend bebilderte Band ist mit seinen griffigen Beschreibungen und Erläuterungen für Jedermann, besonders aber für Studenten, für Künstler, angehende Kunstwissenschaftler und Kunstliebhaber erbauliche Lektüre, ein lesenswertes Handbuch, wenn auch ein Namensindex schmerzlich fehlt. So ist das Buch zwar als Nachschlagewerk redlich ungeeignet, als erhellende Lektüre zu vielen Aspekten des behandelten Themas aber von hohem informativem Wert.
Massimo Mariani – „Das Licht in der Kunst“
Die Geschichte des Lichts in Malerei, Grafik und Skulptur
Aus dem Italienischen von Martina Kempter
© 2022 Dietrich Reimer Verlag, 200 Seiten Broschur, 25 x 17 cm, mit zahlreichen Farb- und s/w-Abbildungen - ISBN-13: 9783496016601
24,90 €
Weitere Informationen: www.reimer-verlag.de
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