Die Geheimnisse der Vögelfotografie

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Die Geheimnisse der Vögelfotografie
 
Manchmal treffe ich Vögelbeobachter, die an der Pader stehen und Vögel fotografieren. Viele von ihnen sind als Finken verkleidet und denken, die Finken hielten sie für Artgenossen. Ich traf jetzt einen Knipser, der behauptete er wäre Starfotograf. Ich dachte zuerst, er fotografiert Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Monsignore Austen von der Kelly Family, bis er mir gestand, daß er sich nur als Starfotograf auf Stare spezialisiert habe. Früher sagte man dazu Paparazzo oder sogar Voyeur. Ich sage ihnen ganz ehrlich, wenn ich ein Spatz wäre, möchte ich nicht dauernd fotografiert werden. Kann man als Sperber nicht mal einen Mäusebussard ärgern, ohne daß man davon in der Zeitung liest? Auch Amseln beim amseln zu beobachten ist ungehörig. Ich sah jetzt mal ein Wacholderdrosselfoto, auf dem eine Wacholderdrossel eine Blaubeere im Schnabel trug? Wollen sie das sehen? Ich will das nicht sehen.
Warum ist das Beobachten von Vögeln ein Kavaliersdelikt, während das Ausspähen von anderen Geschöpfen eine strafbare Handlung ist? Auch Vögel haben ein Recht auf Privatleben. Warum soll der Kuckuck nicht über die Stränge schlagen dürfen, ohne daß sein in fremden Nestern liegendes Ei im Internet auftaucht? Auch der Versuch dieses Stalken in die Nähe des Naturschutzes zu rücken ist armselig. Viele Vögelbeobachter klagen, daß sie in diesem Jahr kaum eine Glockenhaubenamsel gesehen haben. Ich will ihnen sagen, warum. Die Glockenhaubenamsel ist genervt von allen Vögelbeobachtern und will in aller Abgeschiedenheit ihre Glocken hauben.
Und ist seit Erfindung der Fotografie nicht alles schon festgehalten worden, was Vögel zu Vögeln macht? Drossel beim Nestbauen, Sperling beim Apfelessen, Uhu auf dem Ast, Meise im Flug? Die Vögel verändern weder ihr Aussehen noch ihre Rituale, sie tragen auch im Jahre 2022 keine FFP2 Masken oder bauen einbruchsichere Nester. Einmal Kuckuck immer Kuckuck. Wenn ein Zaunkönig auf einem Zaun von Zaunkreisel erwischt würde, das wäre fotografierenswert, alles andere ist langweilig. Auch V-Formationen am Himmel muß ich mir nicht jeden Herbst auf einem Foto ansehen. Ich meine, wenn die Vögel dabei eine andere Formation ausleben würden, ein Anarcho „A“ bilden, ein Peace-Zeichen oder das Drei-Hasen-Symbol zum Besten geben würden, das wäre ein Hingucker.
Wäre es nicht an der Zeit Vögel anders wahrzunehmen? Warum kann man einen Papagei nicht fragen, ob ihm das Auftauchen in einem Vogelkalender recht ist? Viele Papageien sprechen unsere Sprache und lassen sich oft von Dr. Wansleben vertreten. Andere fotografieren sich lieber selbst. Unterhalten sich zwei Eisvögel über ihre Eheprobleme. „Mein Mann hat immer nur seine verrückte Fotografie im Kopf. Gestern habe ich meine Koffer gepackt und bin ausgezogen.“ „Und wie hat er es aufgenommen?“ „Mit Weitwinkel, Blitz und Blende 8!“
 

 © 2022 Erwin Grosche

Erwin Grosches Web-Seite: www.erwingrosche.de