Paderborner Erinnerungen

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Paderborner Erinnerungen
 
Denken sie noch manchmal an die süße Twele? Ich kannte ihr Geschäft am Kamp, weil ich gegenüber zur Schule ging. Schon bei der Nennung ihres Namens, ahnt man, was in ihrem Laden angeboten wurde. „Dort kauften die feinen Leute feine Süßwaren.“ Wie passend, daß dort heute der Juwelier „Honig“ seine Schmuckstücke ausbreitet. Letzte Woche traf ich im Haxtergrund die Eheleute Schmidt vom ehemaligen Feinkostgeschäft Schmidt. „Was duftet im Schildern? Schmidts Kaffee.“ Herr Schmidt erzählte mir von seinem Vater, der noch mit Flüssigkreide seine Sonderangebote auf eine Tafel gemalt hat. Es war so schön, an früher zu denken, als man als Schüler durch den Kötterhagen lief und sich freute, einen heimlichen Blick auf den Schaukasten des Corso-Kinos werfen zu können.
     Jetzt fiel mir ein Kinderbuch in die Hände: „Prof. Knülle erfindet den Sonntag“ von dem Schriftsteller Uwe Natus, aus dem Jahre 1973. Eine Hommage an den legendären »Onkel Jupp« Knülle, ein Weweraner Original. Der Text war im Buch auf jeder Seite zweimal gedruckt worden. Einer war im üblichen Layout gesetzt worden und der andere tauchte nochmal kopfüber auf. So konnte der Vorleser vorlesen und der Zuhörer es kontrollieren. Damals entdeckte man die Gedichte von Natus, illustriert von Peter Vehlau, auch im Gasthof Weyher, wo sie mich schon als Schüler beeindruckten. Können sie sich noch an die Porzellanmalerin erinnern, die in den Neunziger Jahren durch die Westernstraße lief und Betty hieß? Sie trug oft einen Poncho und hatte ihre Haare zu Zöpfen gebunden. Sie war eine bekannte Stadtgängerin und frühstückte manchmal im hinteren Teil der Bäckerei Zarnitz beim Rathaus.
     Sind es nicht diese Originale gewesen, die auch anderen Mut machten eigene Wege zu gehen? Ich liebte auch den Zauberer Uli Lottmann. Er war Deutschlands Lachzauberer Nr. 1 und begeisterte auf Kreuzfahrtschiffen, bei Weihnachtsfeiern und in Varietés. Ich sah mal eine Premiere seiner Zaubershow auf dem Franz Stock Platz. Er hatte sich angeblich im Vorfeld seinen linken Arm gebrochen und mußte dann jemanden aus dem Publikum holen, der beim Zaubern seinen linken Arm ersetzen konnte. Ich frage mich heute noch, ob der Gips am Arm echt oder alles vielleicht nur ein Trick gewesen war. Mich beeindrucken immer Menschen, die sich trauen ihr Leben in die eigene Hände zu nehmen um das tun zu können, was sie lieben. Wie wichtig war für unsere Stadt auch mein wundervoller Freund Toto Blanke. Dieser international bekannte Gitarrist, mit dem ich ab 1991 zusammenarbeiten durfte, hatte einen zärtlichen und auch kritischen Blick auf seine Heimatstadt. Heimatliebe darf auch eine Auseinandersetzung mit den Ereignissen sein, sonst wird sie selbstherrlich und peinlich. Wer nicht über seine Fehler lachen kann, macht sie erneut. Die Lieder, die ich damals mit Toto Blanke schrieb und aufnehmen durfte sind für mich inzwischen Sonnentage geworden, an denen man auf einer Bank sitzt und sich für Augenblicke wohl fühlt, bis man die Augen wieder öffnet und den Krieg erkennt, der um einen tobt.
 
 
© 2022 Erwin Grosche
 
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