Stehcafé am Montagmorgen

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker
Stehcafé am Montagmorgen / V
 

Heute ist Montag. Ein ganz anderes Gefühl habe ich heute; kein Vergleich zu gestern morgen, als ich auch durch den Wald lief. Sonntags besteht ja immer die Gefahr, daß ich von der Welt vergessen werde.
An Sonntagen bemerkt sie mich nicht, die Welt, ob sie nun im Sonnenlicht schweigt, oder ob sie unter Regengüssen versinkt oder den Morgennebel wie eine Decke über den Kopf zieht. Erst in der Bäckerei werde ich schließlich bemerkt.
 
Es nieselte leicht, der graue Himmel hing niedrig über dem Wald. Aluminiumsessel und Tischchen standen regennass vor dem Schaufenster – nur drinnen waren Leute, ein halbes Dutzend Handwerker und Bauarbeiter, die hier ihre Frühstückspause machten.
 
„Kommen Sie nur herein“, rief die Bäckerin, die frohgemut zwischen den kraftvollen Männern an dem großzügig dimensionierten Tisch stand. Alle schienen vergnügt zu sein.
 
 „Für Sie ist genug Platz“, sagte einer.
„Kommen Sie, ich rutsche ein bißchen beiseite.“
 
Ich blickte mißtrauisch. Bin ich hier akzeptiert, ich, der Rentner im Trainingsanzug? Ich versuche einen ersten Kontakt herzustellen: „Ist von der Milch was übrig?“
 
Klar. Ich kann alles haben. Wird sowieso nicht mehr gebraucht.
 
„Machen Sie den Innenausbau hier in der Siedlung? Oder die Renovierung?“
 
Ja! Ja!
 
Ein Volltreffer. Ich bin kompetent. Vielleicht pensionierter Ingenieur, werden sie hoffentlich denken, einer mit Praxiserfahrung. Nicht einfach nur Rentner, der morgens im Lesesaal der Stadtbücherei sitzt und etwas über die Herkunft der Azteken heraussucht.
 
„Hier ist noch Milch“, sagt einer. „Die ist offen.“
 
Stark. Sie verachten mich nicht, halten mich nicht für einen asthenischen Schreibtischmenschen. Ich stehe zwischen den Muskelmännern mit blauen Arbeitshosen mit Trägern. Gurten mit Halftern, in denen Werkzeug - fast wie Colts -hängt, seitlich aus der Hose ragenden Zentimetermaßen, Gummistiefeln, haarigen Handrücken, frischen, blitzenden Blicken. Sie heißem, Lothar, Hans, Luigi, Egon, Wimmi und Horst.
 
Abends sage ich zu meiner Frau: „Kennst du das Berufskleidergeschäft in der Bahnstraße? Da habe ich vorhin Arbeitshosen gesehen, aus Cord. Unverwüstlich, sage ich dir. Gurte mit Werkzeughalfter haben die auch, also praktisch alles. Auch gefütterte Westen. Damit kannst du bei Wind und Wetter überall hin.“
 
„Hm“, sagt sie. „Hast du denn was Besonderes vor?
 
 „Nein, nein“, sage ich. „Nur für praktische Arbeit, zum Beispiel im Garten, oder auf dem Flachdach.“
 
 „Hm“, sagt  sie. Ich füge schnell hinzu: „Falls ich das demnächst mache.“
 
 „Tja“, sagt sie. „Man müßte auch die Bohrmaschine und den Hochdruckreiniger endlich auspacken. - Weißt du nicht mehr? Die du vor fünf Jahren gekauft hast!“
Dann fällt ihr Blick auf meine Schuhe. „Was sind das denn für dicke Schuhe?“
 
 „Sicherheitsschuhe. Da sind die Zehen geschützt, egal was dir darauf fällt.“
 
Meine Frau bleibt ernst. „Nur nichts ins Theater anziehen!“ mahnt sie.



© Karl Otto Mühl - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008