Präsident Ortega gegen Ernesto Cardenal

Wie ein Dichter diszipliniert werden soll

von Hermann Schulz

Hermann Schulz
Foto © Frank Becker

Präsident Ortega gegen Ernesto Cardenal

Wie ein Dichter  diszipliniert werden soll
 

Der Dichter und Priester Ernesto Cardenal hält sich gegenwärtig in den USA auf und wird vorerst nicht in seine Heimat Nicaragua zurückkehren. Er muß befürchten, daß ihn seine Regierung nicht zu seiner geplanten Europa-Lesereise ausreisen läßt, die am 23.9. in Oslo beginnen soll.
 
Der Stein des Anstoßes waren Cardenals kritische Äußerungen bei seinem Aufenthalt in Paraguay. Er weilt dort zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Lugo, zu der Daniel Ortega und seine Frau Rosario Murillo auf Druck mehrerer Nicht-Regierungsorganisationen, an der Spitze die neue Ministerin für Frauenfragen Gloria Rubin, nicht eingeladen worden waren. Sie werfen ihm vor, Ortega habe seine minderjährige Stieftochter Zoilamérica seit ihrem 11. Lebensjahr mißbraucht. Cardenal führte in seiner Kritik aus, in Nicaragua sei die Revolution verraten worden und das Land wieder in der Macht weniger Familien. Die Meldungen gingen am 14. August 2008  durch die lateinamerikanische Presse, ebenso, daß der Dichter aus Nicaragua in Paraguay hoch geehrt worden sei und daß seine Lesungen großen Zuspruch hatten.
 
Am 25. August 2008 wurde dem Büro des Dichters eine gerichtliche Benachrichtigung zugestellt, daß ein Gerichtsurteil vom 13. Dezember 2005 (es ging um eine Verleumdungs- und Beleidigungsklage) durch Richter Rojas aufgehoben sei und Cardenal eine Geldstrafe von 20.000 Córdoba (ca. 1.000 US-Dollar) zu zahlen habe. Es handelte sich um eine Zivilklage; seinerzeit beurteilte die Richterin in der 1. Instanz den Vorwurf als so absurd, daß sie den Dichter von jeder Schuld freisprach.
 
Daß der Fall nach drei Jahren gegen jede Legalität (die Revisionsfrist beträgt in Nicaragua 6 Monate) wieder hervorgeholt wurde, führte nicht nur der Dichter auf Anweisungen von Präsident Ortega zurück. Weil die Zahlung ein Schuleingeständnis wäre, lehnte er sie ab und veröffentlichte am 26. August eine Erklärung über die politischen Hintergründe.
Außerdem deckte er auf, daß der Anwalt, der die Klage gegen ihn vertritt, der gleiche Anwalt ist, der seinerzeit Ortega wegen des Verfahrens wegen Mißbrauch seiner Stieftochter vertreten hat. Am 27. August brachten die Zeitungen Cardenals Erklärung unter dem Cardenal-Zitat: „Soll man mich doch einsperren!“
 
Kurz darauf gingen Solidaritätsadressen aus Lateinamerika und aller Welt ein; ein Text von Eduardo Galeano erschien in Nuevo Diario unter dem Titel „Niedertracht einer niederträchtigen Regierung“; eine Erklärung wurde von José Samarago, Mario Benedetti, Juan Gelman und mehr als 100 anderen international bekannten Persönlichkeiten unterzeichnet, darunter Bianca Jaegger, Bischof Pedro Casaldáliga aus Brasilien und Antonio Skármeta aus Chile.
Am 28. August erschien Cardenal mit anderen Künstlern bei der nicaraguanischen Menschenrechtskommission CENIDH und bat um Rechtsschutz. Zwei Tage darauf erklärte Richter Rojas, man könne den Dichter aus Altersgründen nicht ins Gefängnis sperren, halte aber am Urteil fest.
An der darauf folgenden Schmutzkampagne gegen den Dichter beteiligten sich auch frühere Kampfgefährten wie Tomás Borge und Omar Cabezas; er sei im Auftrag der Rechten des Landes  nach Paraguay gereist, um Ortega zu diffamieren; außerdem unterstellte man ihm enge Verbindungen zum US-amerikanischen „National Endowment for Democracy“ (NED).
 
Weil Cardenal die Zahlung der 1.000 US-Dollar verweigerte, wurden am 3. September 2008 seine Konten eingefroren; sein Anwalt reichte eine Anzeige wegen Verletzung des Bankgeheimnisses ein, weil offensichtlich die Datenschutzrechte verletzt wurden.
 
Am 8. September erschien ein Artikel des angesehenen Publizisten Carlos Fernando Chamorro, Sohn des ermordeten Pedro Joaquín Chamorro, in dem er die Aktionen gegen Cardenal als Teil einer Einschüchterungskampagne der Ortega-Regierung gegen jegliche kritische Meinungsäußerung darstellte. Weil sich auch der kubanische Schriftstellerverband UNEAC am 5. September mit Cardenal solidarisierte, brachte die Ehefrau Ortegas, Rosario Murillo, ein weiteres Mal Cardenal öffentlich in Zusammenhang mit den USA; er habe sich „an das Imperium verkauft“.
 
Zwei Tage später verkündete die Regierung Ortegas durch Generalstaatsanwalt Hernán Estrada, gegen Ernesto Cardenal sei ein Ermittlungsverfahren wegen „Umweltvergehen“ in Solentiname (der Insel, wo Cardenal eine christliche Gemeinschaft gegründet hatte) eingeleitet worden.
 
In einem Brief an Cardenal schrieb Ignasio Ramonet, Chefredakteuer von „Le Monde Diplomatique“:
„Eben erfahre ich von der erbärmlichen Kampagne, die sie gegen Dich in Deinem eigenen Land führen, dessen hervorragendster und würdigster Vertreter Du bist. Du verkörperst ein Beispiel politischer Integrität, das sich weder der Tyrannei Somozas noch dem Hochmut des Vatikans gebeugt hat ... Ich möchte Dich in diesem beklagenswerten Moment meiner uneingeschränkten Solidarität versichern. Du weißt, daß Du auf mich und auf Millionen Freundinnen und Freunde in der ganzen Welt zählen kannst, die Dich als schöpferischen Menschen, als Dichter, als Kämpfer, als Revolutionär und als unzähmbaren Vertreter des Widerstandes bewundern.“
Der Nobelpreisträger Josè Samarago u.a.: „Einmal mehr ist eine Revolution von innen heraus verraten worden!“ Und der nicaraguanische Romancier Sergio Ramírez: „Weiß der Richter, wer Ernesto Cardenal ist? Ich glaube nicht, daß dies Bedeutung für ihn hat. Das einzige, was er weiß ist, daß er die Befehle ausführen muß, die man ihm gibt.“
 
(Verantwortlich im Sinne des Presserechtes: Roberto Deimel, Tübingen; Hermann Schulz, Wuppertal)