Die wilden Rentner

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Die wilden Rentner
 
Wer erinnert sich noch an die Seniorennachmittage im Bayernzelt, wo die Alten zu Blasmusik schunkelten und so das Liborifest feierten? Heute rocken sie zu Heavymetal-Musik, und am Zelteingang stehen Ordner, die sie nach bewußtseinserweiternden Substanzen abtasten. Die Zeiten, wo Rentner beim Tanztee im Westphalenhof dem Alleinunterhalter an seiner Hammondorgel 20 Cent zusteckten und dabei Torten aßen, sind vorbei. Erst gestern wurde ich von einer Rentnergang von der Husenerstraße gedrängt, die „Born to be wild“ grölend auf ihrem E-Scooter in die City rollten. Muß man sich alles gefallen lassen? Rentner sind laut und unbequem geworden und verändern das Image unserer Stadt. Sie spucken grundlos auf den Boden und zeigen einem schon bei geringen Anlässen den Stinkefinger. Inzwischen ist es sogar so weit gekommen, daß man die Straßenseite wechseln muß, wenn sie einem mit ihrem Schlabber-Look begegnen. Wo waren die Paderborner Ordnungshüter, als erste Anzeichen auf die neue Bewegung aufmerksam machten? In Bielefeld haben die Rocker-Gruppierung Hells Angels ihren Sitz, im Kreis Lippe sind es die Freeway Riders. Nur in Paderborn machen sich andere Unruhestifter breit: Die Rentner. Als hätten sie nur darauf gewartet, daß Ordnungsamtsleiter Udo Olschewski sich aus dem Berufsleben verabschiedet, lümmeln sie sich im Paderquellgebiet herum, urinieren selbstbewußt in die Hauseingänge und stören Poetry Slam Abende durch unpassende Zwischenrufe. „Wie nennt man Menschen, die auch montags gute Laune haben? Rentner.“ Man sieht sie manchmal, wenn sie mit einem Gleitflieger den Dom umkreisen oder laut lachend mit ihren Fallschirmen auf dem Westfriedhof landen. Man entdeckt sie in Discos, in Studiensälen und in Szene-Bars, die eigentlich für junge Leute eingerichtet wurden. Braungebrannte Senioren, muskulöse Überflieger, rassige Greisinnen und unbequeme Alte nehmen nicht nur am öffentlichen Leben teil, sie reißen es an sich. Ist Anstand ein Fremdwort geworden? Rentner sind topfit, stählen sich beim Golf- oder Boule-Spielen, haben Geld wie Heu und wissen genau was sie wollen. Wer mußte nicht schon eine rüstige Rentnerin auf die andere Straßenseite führen, die einem dann kokett ihre Telefonnummer zusteckte? Wer lernte nicht das rücksichtslose Verhalten tätowierter Greise kennen, die einen an der Fleischtheke aus der Schlange schubsten? Mir liegt ein Dokument vor, daß alte Menschen planen den neuen Bahnhof mit obszönen Graffitis zu beschmieren. Müssen wir uns das gefallen lassen? In manchen Stadtteilen wurden schon No-go-Areas eingerichtet, weil hier schwadronierende Rentnergangs ihr Unwesen treiben. Zieht sich denn der alte Mensch nicht mehr freiwillig zurück und überläßt müde und weise geworden das Rumtreiben in den Innenstädten der Jugend?
     Ein Rentner bekam beim Augenarzt eine neue Brille. Damit werden Sie Ihre Mitmenschen wieder richtig sehen können!“ Nach drei Tagen brachte er die Brille zurück. „Es lohnt sich nicht ...“
 

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