Von der einfachen Bodenplatte bis zu Meisterwerken der Bildenden Kunst

Dr. Arne Karsten über die römischen Papst- und Kardinalsgräber

von Uwe Blass

Dr. Arne Karsten

Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, der Erkenntnisgewinn und das neu generierte Wissen sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Eine zentrale Bedeutung hat dabei der Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik und sozialen Institutionen. Mit den „Bergischen Transfergeschichten“ zeigt die Bergische Universität beispielhaft, wie sich Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit in die Region einbringen, mit anderen Partnern vernetzen und die Gesellschaft so aktiv mitgestalten.
 
Von der einfachen Bodenplatte bis zu Meisterwerken der Bildenden Kunst
 
Dr. Arne Karsten über die römischen Papst- und Kardinalsgräber
 
Wer heute den Petersdom in Rom besucht, kann sich der Faszination des Gebäudes mit seiner monumentalen Ausstattung kaum entziehen. Neben Kunstwerken aus mehr als 500 Jahren finden sich auch zahlreiche Papstgrabmale, die sich als Erinnerungszeichen im gesamten Gebäude verteilen. Dr. Arne Karsten, Dozent für Geschichte der Neuzeit an der Bergischen Universität, hat sich mit der Bedeutung dieser Grablegen beschäftigt, die die Nachwelt immer noch vor viele Fragen stellen.
 
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Grabmalen mutet ziemlich morbide an, ist aber für den Historiker Arne Karsten eine sehr naheliegende Beschäftigung, denn, so sagt er, die Anfänge der Menschheitsgeschichte seien eigentlich mit Grabmalen markiert. Seine Studierenden antworteten auf seine Frage nach prominenten Gräbern dann auch prompt mit den ägyptischen Pyramiden. „Die ägyptischen Pyramiden sind nichts Anderes als Grabmäler“, sagt Karsten, „sie sind Erinnerungszeichen an Herrscher, die schon lange, lange tot sind.“
 
Das Projekt „Requiem“
 
Karsten hatte bereits zwei Jahre in Rom gelebt und stand vor dem Ende seiner Dissertation. Seine Forschungen über die Kunstförderung der Päpste und ihrer Verwandten im 17. Jahrhundert hatten dazu geführt, daß er sich in Roms Kirchen schon gut auskannte. Vor allem die Fülle an Gräbern fiel ihm immer wieder ins Auge. „Ich war sehr beeindruckt von der Vielzahl der Grablegen aller Art für die verschiedensten Leute in den verschiedensten Formaten und Ausstattungen.“ Von der einfachen Bodenplatte bis zu Meisterwerken der Bildenden Kunst, eröffnete sich ihm in der enormen Menge an Kunstwerken ein neuer Forschungsansatz, der sich für den Normalbürger auf den simplen Satz reduzieren lässt: Warum gibt es in Rom so viele Grabmale? Mit seinem Kollegen Philipp Zitzlsperger, heute Professor für Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck, wollte er die Kunstwerke als sozialgeschichtliche und mentalitätsgeschichtliche Dokumente untersuchen. So entstand das Projekt „Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalsgräber der frühen Neuzeit“, daß er am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin begann und seit 2009 in Wuppertal federführend fortführt.
 
Warum gibt es in Rom so viele Grabmale?
 
Die Vielzahl der Grabmale in Rom lasse sich nicht aus religiösen Gründen erklären, sagt Karsten. „Das Christentum ist eine jenseitsorientierte Erlösungsreligion. Das Eigentliche kommt nach dem Tod. Seelenheil oder ewige Verdammnis folgen auf das Leben im Diesseits, als ewiges Leben im Jenseits. Und für dieses ewige Leben sind Triumphzeichen, prächtige Grabmäler eher kontraproduktiv, das ist innerweltliche Eitelkeit. Das ist Ruhmsucht, das sind alles Dinge, die das Christentum, theologisch gesehen, ablehnt.“ So hätten auch Theologen im Laufe der Geschichte die Grabmale ausnahmslos kritisiert. Eine einfache Bodenplatte sei vielleicht noch erlaubt, jedoch das Aufstellen glanzvoller Büsten der Verstorbenen, Tugendallegorien oder gar Inschriften, die die Leistungen in dieser Welt verkündeten, gehören eindeutig nicht in den Bereich der Theologie. Die Suche nach einer Erklärung ging also weiter und fand sich schließlich in der Bedeutung des Grabmals für die Nachwelt. „Indem man durch die Erinnerung an einen berühmten Vorfahren den eigenen Status der Familie etabliert und der Nachwelt vor Augen führt: Seht, schon unser Vorfahre, Papst X, oder Kardinal Y hat in den und den Jahren gelebt und Großes vollbracht“, erklärt Karsten, „daher sind wir, seine Nachfahren auch berechtigt, in der römischen Aristokratie unsere Rolle zu spielen.“
 
Die Grabmalgeschichte von 1420 bis 1798
 
Das Projekt „Requiem“ untersucht die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler im Zeitraum zwischen 1420 und 1798. Die Begrenzung auf eben diese Jahre hat mit der Kirchengeschichte zu tun. „1417 endet das große abendländische Schisma, daß dazu geführt hat, daß es zeitweilig sogar mehrere Päpste gab. Dem voran ging eine Zeit des babylonischen Exils der Kirche, als die Päpste in Avignon residierten. 1420 kehrte mit Martin V., (Papst von 1417-1431) das Papsttum endgültig nach Rom zurück und etablierte dann auch dauerhaft seine weltliche Herrschaft im Kirchenstaat bis 1798, als der Kirchenstaat als Folge der Französischen Revolution zeitweise unterging.“
 
Die Fragestellung des Wissenschaftlers bestimmt die Antworten, die er entdeckt
 
Das interdisziplinäre Arbeiten an einem Projekt bringt viele Wissenschaftler zusammen, die durch ihre fachspezifischen Fragen immer neue Geheimnisse enthüllen. Karsten berichtet über Kunsthistoriker, die sich fragen, woher bestimmte Figuren kommen, ob es Darstellungstraditionen gebe, welche kunsthistorischen Entwicklungen zu beobachten seien und welche Künstler beteiligt oder nach welchen Vorbildern sie gearbeitet hätten. Die Sozialhistoriker wiederum beschäftigen sich mit den Familien. Wie einflußreich waren sie? In welchen Kirchen haben sie Grabmale erbauen lassen? „Oder wir fragen mentalitätsgeschichtlich nach den Inschriften“, erklärt er. „Da werden ja die Taten der Verstorbenen geschildert. Was sind das für Taten? Wird Frömmigkeit erwähnt, Großzügigkeit, Armenfürsorge? Oder sind es berufliche Karriereschritte?“ Letzteres finde man häufig, weiß der Wissenschaftler. „Wenn der Onkel z.B. päpstlicher Botschafter in Paris war oder Legat in Bologna und damit Chef der päpstlichen Verwaltung in der zweitwichtigsten Stadt des Kirchenstaates“, erklärt er, dann hätten diese Karriereschritte am Ende oft dazu geführt, daß er Kardinal oder gar Papst geworden sei, und das wiederum erhöhe das Prestige der Nachfahren.
 
Der größte Massenmord an den Toten der europäischen Geschichte
 
Der Petersdom, so wie wir ihn heute kennen, entstand zwischen 1506 und 1612. Sein Vorgängerbau, Alt-St. Peter, 324 n. Chr. durch Konstantin den Großen über dem vermuteten Grab des heiligen Petrus erbaut, wurde unter Papst Julius II. abgerissen und mit ihm über 150 Gräber von Päpsten und Kardinälen. Dieser massive Zerstörungsakt ließe sich geradezu als Massenmord an den Toten bezeichnen. „Das haben die Zeitgenossen auch massiv kritisiert“, erklärt Karsten, „die alte Peterskirche, die zurückgeht bis in die konstantinische Epoche, war ein Eldorado von hunderten von Grabmalen aus dem Mittelalter, zurückreichend bis in die frühen Zeiten des Christentums. Mit der alten Kirche wurden nicht alle, aber die allermeisten dieser alten Erinnerungsmonumente abgerissen. Das war ein Akt großer Pietätlosigkeit.“ Zwar gäbe es heute vereinzelte Grabfragmente in den Grotten des Vatikans, aber letztendlich habe nur ein Papstgrab `überlebt´. Durch die Intervention der einflußreichen Familie Papst Innozenz VIII. wurde seine Grablege nicht zerstört und in den neuen Petersdom überführt. Vereinzelte Papstgräber finde man noch in umliegenden Kirchen, weil sich die Kirchenoberhäupter mit diesen verbunden fühlten. „Seit der Fertigstellung des neuen Petersdoms liegen seit dem 17. Jahrhundert die meisten Päpste dort.“
 
Kardinalstestamente regeln die Grablege
 
Einige Gräber sind sehr schlicht, andere wiederum monumental gestaltet. Das liege zum einen am letzten Willen der Verstorbenen oder manchmal auch ganz einfach an den finanziellen Möglichkeiten, weiß der Forscher. „Im Rahmen des Requiem-Projektes haben wir in Rom erhaltene Kardinalstestamente, die seit 1626 erhalten sind, einsehen können. Und die beginnen immer mit der Formel …sobald ich meine Seele Gott zurückgegeben habe, soll nach meinem Tod folgendes geschehen…“ Zunächst wird dann die Totenzeremonie mit der Bestattung des Körpers beschrieben und der Wunsch nach einem pompösen Grab oder einer schlichten Grabplatte geschildert.
Es gebe aber auch Fälle, in denen sich die Familie über den Wunsch des Toten hinwegsetze. „Es gibt einen Papstneffen, Antonio Barberini (1607 – 1671)“, berichtet Karsten. „Der möchte eine Grabplatte, auf der nur ein Wort stehen soll: Peccator (ein Sünder). Das hinderte seine Nachfahren aber nicht daran, rund hundert Jahre später in ihrem Landgut im Süden von Rom in einer Dorfkirche eine riesige Grabkapelle zu errichten, in die er umgebettet wird und mit der ganzen Kunst der Zeit mit Büste etc. das Familienprestige über den Wunsch des einzelnen gestellt wird. Da wird die große, traditionsreiche Familie gezeigt und Onkel Antonio wird gewissermaßen posthum gekidnappt.“
 
Moralvorstellungen verändern oder beseitigen Grabmale
 
An einzelnen Grabmalen hat es immer mal wieder Veränderungen gegeben. So war eine der Figuren des Grabes von Alexander VII. ursprünglich nackt. Es handele sich dabei um die Veritasfigur, die noch in den 1670er Jahren nach Berninis Plänen ausgeführt wurde. „Doch schon wenige Jahre später forderte der strenger denkende Papst Innozenz XI. Bernini auf, der Figur ein Bronzegewand anzulegen.“
Wie sich langfristig Moralvorstellungen in Rom ändern konnten, zeigt auch das Beispiel der Grablege der Mätresse des Borgiapapstes Alexander VI. (1492 - 1503), Vanozza de` Cattanei. Die vierfache Mutter der Papstkinder Lucretia, Juan, Cesare und Jofré, hatte bis ins 17. Jahrhundert in der prominenten Kirche Santa Maria del Popolo eine Grabplatte. „Da stand auch drauf, daß sie die Geliebte des Kardinals war und alle wußten, daß das Papst Alexander VI. war. Später wurde diese Grabplatte im Auftrag von Clemens VIII. abgetragen. Fragmente haben sich erhalten.“
 
Wie im alten Ägypten begannen die Grabarbeiten schon zu Lebzeiten der Päpste
 
Berühmte Bildhauer wie Gian Lorenzo Bernini (1598 – 1680) schufen kolossale Gräber wie das von Urban VIII. oder Alexander VII. Damit wurden sie schon zu Lebzeiten der Päpste beauftragt und schufen neben handwerklichen Kostbarkeiten auch regelrechte Grabkonzepte. „Das war eine neue Idee“, sagt Karsten. „Es ist die Frage, wie sich das Grabmal zu dem umgebenden Raum verhält. Da gibt es brillante Lösungen, und Bernini ist ein wirklicher Virtuose. Wenn ein Grabmal dann auch über das physisch Sichtbare Botschaften vermittelt, also Informationen über das Wesen, die Ziele und auch die Politik des Verstorbenen verrät, werden Grabmäler zu hochkomplexen Bedeutungsträgern.“ Besonders verklausulierte Botschaften machten die Erinnerungsbauten zu geistreichen, künstlerischen Werken.
 
Das beeindruckende Freigrabmal im Petersdom
 
Die Frage nach dem Lieblingsgrab hat Karsten schon oft gestellt bekommen und nicht immer gibt er die gleiche Antwort. „Im Moment“, sagt er, „wäre mein Favorit das Grabmal von Papst Alexander VII. von Bernini im Petersdom, weil der Künstler dort auf der Höhe seiner Fertigkeiten, der Vermittlung subtiler Bildbotschaften ist.“ Das Faszinierende an diesem Monument ist der Bau eines Freigrabmales, daß es eigentlich im Petersdom nicht geben darf. Freigrabmale sind freistehende Monumente, um die der Betrachter herumgehen kann. Einige Päpste hätten versucht, eine solche Grablege für sich durchzusetzen. „Frei im Raum, so liegen Könige“, sagt Karsten und das sei auch ein wesentlicher Grund, warum der alte Petersdom abgerissen wurde. „Julius II., der mit diesem Neubau beginnt, der möchte ein riesiges Grabmal von Michelangelo haben, das eben buchstäblich den Rahmen sprengt. Er scheitert damit, und einige Nachfolger auch. Der Grund: wenn einer der Päpste damit anfängt, sich ein solches Riesending zu bauen, ist die Amtsgleichheit in Frage gestellt. Was macht Bernini? Er hält sich, formal gesehen an das Dekorum, wahrt die Form und nimmt eine Nische. Aber in der Nische baut er im Zentrum einen Sockel und um den Sockel herum perspektivisch vier Figuren, so daß keiner etwas sagen kann. Aber dadurch, daß an vier Seiten diese Frauenfiguren auftauchen, ist es eben doch ein Freigrabmal geworden. Das ist Geist und Witz. Er spielt mit den Sehgewohnheiten.“ Der Clou an diesem Bauwerk ist zudem eine mittig nach hinten gesetzte Tür. Wenn man diese öffnet, erstrahlt gleißendes Tageslicht durch das Grabmal. „Der Tod kommt aus dem Licht. Das ist sehr beeindruckend.“
 
Grabmale wie das von Alexander VII. haben zu allen Zeiten die Menschen beeindruckt. Kirchenfürsten wußten schon damals, wie man Wissen auch in der Bildhauerei überzeugend einsetzt. Papst Julius II., der für den Neubau des Petersdoms verantwortlich war, formulierte es so: „Wissenschaftliche Kenntnisse sind für den Bürgerstand Silber, für den Adel Gold und für die Fürsten Edelsteine.“
 
Uwe Blass
 
PD Dr. Arne Karsten (*1969) studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Göttingen, Rom und Berlin. Von 2001 bis 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin. Seit dem Wintersemester 2009 lehrt er als Junior-Professor, seit der Habilitation 2016 als Privatdozent für Geschichte der Neuzeit an der Bergischen Universität.