Eingeschlossene Gesellschaft
Deutschland 2022 Regie: Sönke Wortmann
Mit: Florian David Fitz, Anke Engelke, Justus von Dohnányi, Nilam Farooq, Thomas Loibl u.a.
Es gibt wohl kaum jemanden, der eine völlig ungetrübte Erinnerung an seine Schulzeit hat. Abgesehen von den lieben Mitschülern waren wohl für die meisten die Lehrer das Problem. Lehrer, die auch nur Menschen sind, Vorlieben und Abneigungen hegen, manche wohl auch zu Machtmissbrauch neigen. Kurz, Probleme.
Der deutsche Film hat meist versucht, dergleichen wegzulachen – von der „Feuerzangenbowle“ (wo die Pauker natürlich doof sind) bis zu „Lümmel“-Filmen. Regisseur Sönke Wortmann, dem zwischen komisch und tragisch mancher Film gelungen ist, versucht nun nach einem Drehbuch von Jan Weiler eine Schul-Geschichte, die in möglichst vielen Facetten Lehrer-Verhalten (und Eltern-Verzweiflung) auffächert, auf Komik nicht vergisst, aber doch den Ernst der Lage im Griff hat. Ein nicht einfacher Balanceakt, der allerdings bemerkenswert gut gelungen ist.
Man würde sagen, es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß in irgendeiner deutschen Stadt ein für seinen Sohn verzweifelter Vater mit einer Pistole in ein Lehrerzimmer einbricht, um die für das Abitur nötige Punktezahl für seinen Sohn mehr oder minder zu erzwingen – aber man hat genügend über Schultragödien gelesen, die blutig ausgegangen sind. Warum sollte ein an sich schlicht wirkender Mann – Thorsten Merten muß sich im Lauf der Handlung dann als Pfiffikus erweisen – nicht zu einer solchen Verzweiflungstat fähig sein?
Im Lehrerzimmer, in dem er an einem Freitagnachmittag erscheint, als die Schule leer ist, befinden sich sechs Lehrer, denen er abverlangt, den Fall seines Sohnes neu zu diskutieren. Er sperrt die teils verdutzten, teils wütenden Herrschaften (die sich selbst Handyverbot auferlegt haben und, als sie doch eines finden, bei der Polizei anfangs nicht auf Glauben stoßen) ein – aus der hochmütigen, sonst „geschlossenen“ Gesellschaft der Lehrer wird nun tatsächlich eine „eingeschlossene“ Gemeinschaft, die vor gegenseitigen Animositäten sprüht, die sich in der Zwangssituation noch mehr entladen als sonst. Da gubt es Machtkämpfe, Imponiergehabe gegen Widerstand, Sturheit und Opportunismus, grundlegend verschiedene Einstellungen zum Beruf. Der Vater selbst begibt sich in das Zimmer des Direktors, um die neue Entscheidung über seinen Sohn abzuwarten. Dort wird er die Akten der sechs finden und ihnen später mitteilen, welchen (flapsig gesagt) Dreck jeder von ihnen am Stecken hat (von glattem Betrug bis Pornos am Cpmputer). Das Ende? Eine leicht tragisch melierte Pointe.
Davor? Sechs Personen zeigen unter Druck, wo’s lang geht. Dabei sind die „Hardliner“ zwar die unsympathischsten, aber tolle Rollen. Daß Anke Engelke, als Komikerin mittlerer Preislage verrufen, eine so interessante Studie einer total frustrierten, verhärteten Persönlichkeit schaffen würde, die die Jugendlichen, die sie unterrichtet, eigentlich haßt (vor allem die Mädchen) – das hätte man ihr gar nicht zugetraut. Der Schlüssel zu ihrer Persönlichkeit ist so schlicht, daß man schreien könnte – als Groupie eines Stars ist sie diesem, den sie schüchtern verfolgte, nie so nahe gekommen wie ersehnt, weil es zu viele andere hübsche Mädchen gab… So simpel es klingt, dergleichen kann ewigen Haß ins Herz senken.
Als Primus inter pares genießt Justus von Dohnányi hochmütig nicht weniger als seine Gottähnlichkeit, bis er als kleinlicher, rachsüchtiger, bösartiger Erbsenzähler entlarvt wird – eine bis zum Zusammenknicken eindrucksvoll-abstoßende Persönlichkeit.
Aber auch die scheinbar sympathischen unter ihnen erweisen ihre Charakterschwächen – der von den Hardlinern gemobbte flotte Sportlehrer (ideal besetzt mit Florian David Fitz) erweist sich als notorischer Verführer von Schülerinnen und Kolleginnen, wobei ihn die junge Referendarin (Nilam Farooq), seine derzeitige Flamme, wissen läßt, daß er nicht sonderlich wichtig für sie ist (so etwas tut männlichem Ego nie gut). Der scheinbar ausgleichende Lehrer (glänzend in seiner Alltäglichkeit Thomas Loibl) erweist sich als Karrierist und Intrigant – und am rührendsten tut der Chemieprofessor (eine wundervolle Leistung von Torben Kessler) seine Frustration kund, in seiner Schüchternheit von den Kollegen beiseite geschoben und von den Schülern verlacht zu werden – wo es doch sein größtes Glück ist, in einer Klasse zwei, drei Schüler zu finden, die sich wirklich für das interessieren, was er mit so viel Leidenschaft für sein Fach zu vermitteln sucht.
Dabei geht es nicht nur um die Charaktere, obwohl diese im Mittelpunkt stehen, sondern auch um ihre Haltung den Schülern gegenüber, die diesen Lehrern ja letztlich doch ausgeliefert sind. Und wenn Eltern meinen, nur das Abitur sichere ihrem Sprößling eine einigermaßen ordentliche Zukunft – ja, dann kann der Topf zum Überkochen kommen.
Er tut es eindreiviertel Stunden lang unterhaltsam, und dabei gibt es doch einiges zum Nachdenken. Bei Erwachsenen wird am Ende das erleichterte Gefühl stehen, die Schule Gott sei Dank hinter sich zu haben…
Renate Wagner
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