Judy Garland: Eine starke Stimme, die mit Haut und Haaren erzählt

Christa Warnke zum 100. Geburtstag einer Showikone

von Uwe Blass

Judy Garland in The Harvey Girls Eric Carpenter for Metro-Goldwyn-Mayer
In der Reihe „Jahr100Wissen“ beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Bergischen Universität mit 100 Jahre zurückliegenden Ereignissen, die die Gesellschaft verändert und geprägt haben.

 
Judy Garland: Eine starke Stimme,
die mit Haut und Haaren erzählt

Die Musikpädagogin Christa Warnke
zum 100. Geburtstag einer Showikone
 
Frances Ethel Gumm, besser bekannt als Judy Garland, wurde am 10. Juni 1922 in Minnesota geboren. Was verbinden sie mit dieser Künstlerin?
 
Warnke: Sie ist eine starke Künstlerin, sehr authentisch, sehr intensiv, eine beeindruckende Künstlerin. Aber sie ist auch ein Extrembeispiel dieses tragischen Showbusiness`. Sie hat eine Mutter, die ihren eigenen Traum in ihrem Kind verwirklichen will. Darum puscht sie Judy bis in die Unterhaltungsindustrie. Das war schon ein schweres Los.
 
1939 hatte die damals 17jährige ihren internationalen Durchbruch mit dem Film „The Wizard of Oz“ (Der Zauberer von Oz) und sang einen Evergreen. Um welches Lied handelt es sich dabei?
 
Warnke: Das ist natürlich „Somewhere over the rainbow“. Ein wunderschöner Titel. Die meisten meiner Schülerinnen müssen den Song mal gelernt haben, weil er musikalisch spannend ist, und den Text kann man jedem mit ins Leben geben. Ich finde es gut, wenn wir Lieder mit uns tragen, die wir überall singen können, weil der Text so zeitlos ist, der bleibt wirklich fürs Leben.
 
Sie füllte in den 50er und 60er Jahren die Konzerthallen und spielte auch in der zweiten Hollywoodverfilmung des Musicals „A Star is born“ 1954 die Sängerin Esther, die in späteren Versionen von Barbra Streisand und Lady Gaga verkörpert wurde. Dieses neue Comeback war für die Künstlerin auch bitternötig, denn sie hatte bereits einige Filme vorzeitig beendet und litt unter starken Drogenproblemen. Man versuchte sogar teilweise ihre Gesangsnummern mit einem Double zu ersetzen. „Swanee“ von George Gershwin und „My Melancholy Baby“ von Ernie Burnett interpretierte sie in ihrer ganz eigenen Art. Was ist das Faszinierende an ihrer Stimme?
 
Warnke: Sie hat erst einmal eine richtig starke Stimme, relativ tief, Mezzo, Alt oder so, mit klarer Intonation, eine gut verständliche, weiche Artikulation. Das ist schon eine geschulte Stimme mit enormer Tragfähigkeit und einem charakteristischen Klang. Was ich besonders spannend an ihr finde, sie erzählt mit Haut und Haaren ihre Lieder. Es gibt ein Gedicht von Eva Strittmatter, da heißt es: „Es muß so sein, als hätte er für dieses Lied gelebt. Für diesen Augenblick, in dem er singt“. Und das tut sie, sie singt sehr ausdrucksstark, manchmal mit groben Effekten, scratches (Kratzer) oder distortion (Verzerrung) nennen wir das heute, also nicht vornehm zurückhaltend, sondern sie kann sehr derb sein, wenn es sein muß.
 
Wenn man Garland 1961 in dem Film „Das Urteil von Nürnberg“ sieht, für den sie noch einmal in der Kategorie der besten Nebendarstellerin für einen Oscar nominiert war, ist sie ein paar Jahre vor ihrem Tod kaum wiederzuerkennen, abgemagert und zerstört von einem lebenslangen Drogenmissbrauch. Sie hat zum Schluß sogar ihr größtes Kapital, nämlich ihre Stimme zerstört und wurde auf Ihren Konzertauftritten ausgebuht. 1969 starb sie mit 47 Jahren an einer versehentlichen Überdosis Tabletten. Marilyn Monroe, Jim Morrison, Romy Schneider, Michael Jackson, Amy Winehouse, Prince, Whitney Houston, viele Künstler enden so. Woran liegt das?
 
Warnke: Das Showbusiness ist ein hartes Business, es ist nicht deine Familie, es sind keine Freunde. Du bist ein Produkt, aber es ist dein Leben. Du hast keine Zeit mehr für Freunde und Familie. Das ist das Dilemma, in dem jeder Star steckt. Du hast Stress, du schuftest wie ein Idiot, bist wurzellos und dann überhöhen dich alle. Du hast kaum echte Freunde, die dich auch mal anschnauzen und dich wieder auf den Boden zurückholen. Das habe ich auch bei einer jungen, erfolgreichen Band erlebt. Da wurden diese damals 18jährigen Künstler beispielsweise nach Merkels Politik gefragt und sie sollen dann fundiert Auskunft geben. Da bekommen Menschen in dem Alter schon den Eindruck, daß sie sehr wichtig sind, so einzigartig. Da kann man leicht eine narzisstische Störung entwickeln, wenn man in dieser Welt lebt und arbeitet. Ich glaube, es gibt nicht viele Musiker*innen, die vielleicht eine gute Erziehung oder ein gutes Fundament hatten, um damit klar zu kommen. Es ist sehr schwer, sich unter diesem Erfolgsdruck eine gesunde Psyche zu erhalten. Und Judy Garland, das muß man dazu sagen, hat ja schon von Kind an Drogen bekommen. In den 30er und 40er Jahren dachte man, daß der Körper mit Aufputsch- und Beruhigungsmitteln schon klarkommt. Sie ist von Kindesbeinen an mit Medikamenten versorgt worden.
 
Viele ihrer Aufnahmen wurden in die Grammy Hall of Fame aufgenommen, darunter „Over the Rainbow“, „Have Yourself a Merry Little Christmas“, „Get Happy“ oder „The Man That Got Away“. Haben Sie auch schon einmal einen Garland-Song performed?
 
Warnke: „Over the rainbow“ ist natürlich ein wichtiges Lied in meinem Leben und „Have Youself a Merry Little Christmas“ habe ich auch in meinem Repertoire. Was mich mit Judy Garland auch noch sehr verbindet, ich habe 2013 in der Musikschule in Bocholt das Musical „The Wizard of Oz“ mit 60 Kindern inszeniert. Und da habe ich mich wirklich sehr intensiv mit diesem Stück auseinandergesetzt. Das war das schönste Kindermusical, was ich in meinem Leben gemacht habe, weil es gut geschrieben ist und eine zeitlose Geschichte erzählt, die noch heute trägt. Ich war froh, daß ich das machen konnte und es den Kindern mit ins Leben geben konnte.
 
Garlands Tochter, Liza Minelli sagte über sie, sie habe acht Leben in einem geführt. Was meint sie damit?
 
Warnke: Es ist sicher einmal dieser Kinderstar, Baby Frances, die dreijährig schon mit ihren Schwestern tanzt. Das kann man bei YouTube sehen und das ist beeindruckend, was die schon machen. Und dann gibt sie sich selbst mit 12 Jahren den Künstlernamen Judy Garland. Das finde ich erstaunlich, daß so ein junges Mädchen auf einen anderen Namen besteht. Dann kommt sie zu MGM, der Filmfirma, und wird dort die ganze Zeit bevormundet; also erst durch ihre Mutter und dann durch die Filmindustrie. Ihre Mutter entscheidet, ob sie ein Kind bekommen darf, sie hat einen brutalen Arbeitsrhythmus und wird letztendlich dann rausgeschmissen. Und dann begann nach dem Schauspiel die Sängerkarriere. Sie sagt: ´I was beeing like reborn, I heard the applause and I realised, I`m not finished, I`m still Judy Garland. ` Dann wird sie Mutter. Das sind alles Dinge, die sie bedienen mußte und das kann schon wie mehrere Leben wirken. Man muß immer sein Innerstes nach außen kehren und das ist schon ein komisches Lebensgefühl.
 
Garland gilt heute als eine der ersten Schwulen- und Lesben-Ikonen und das hat auch wieder etwas mit dem Zauberer von Oz zu tun. Wissen sie, was?
 
Warnke: Ich denke, es ist der Regenbogen, der daher kommt. Und es gibt in Bezug auf dieses Musical immer diese Phrase: Are you a friend of Dorothy? Das heißt, dann bist du hier in der Gruppe herzlich willkommen, denn dann bist du mit jemandem befreundet, der keine Vorurteile hat. Vielleicht ist sie auch eine Ikone geworden, weil sie etwas zu sagen hatte, denn sie war kein Sternchen. Sie war authentisch, hatte Charisma und war auch mit vielen Homosexuellen im Showbusiness befreundet.
 
Uwe Blass
 
Christa Warnke ist seit dem SS 2005 künstlerische Angestellte für das Fach Gesang mit dem Schwerpunkt Jazz Pop Rock an der Bergischen Universität Wuppertal.