Scheint eine Art authentisches Stück Leben zu bieten

„Haute Couture“ von Sylvie Ohayon

von Renate Wagner

Haute Couture – Die Schönheit der Geste
Frankreich 2020
 
Regie: Sylvie Ohayon
Mit: Nathalie Baye, Lyna Khoudri, Soumaye Bocoum u.a.
 
Der Titel des Films trägt ein wenig Etikettenschwindel in sich. Unter „Haute Couture“ stellt man sich die Welt der großen Modehäuser vor (ein bißchen wie das „House of Gucci“), exzentrische, kreative Chefs, schöne verrückte Models und dergleichen. Nichts davon in diesem Film von Regisseurin Sylvie Ohayon, der zwar bei Dior spielt, aber in der relativ glanzlosen Abteilung der Werkstätten, genau gesagt, des Schneiderateliers. Hier ist Esther (Nathalie Baye) die Chefin, sie sorgt dafür, daß der Betrieb läuft. Man ist einfach in der schlichten Arbeitswelt, wenn Esther auch deren Moral hochhält.
Dennoch ist die Haute Couture nur der Hintergrund für die Geschichte zweier Frauen – der gutbürgerlichen Jüdin Esther und von Jade (Lyna Khoudri), die aus der Welt der Banlieue stammt, die Frankreich derzeit (und schon lange) so viele Sorgen bereitet. Hier, wo vor allem die großteils muslimischen Zuwanderer wohnen, herrschen Armut und Gewalt, und so muß es einen nicht erstaunen, daß Jade und ihre Freundin Souad (Soumaye Bocoum). ein geschickt auf einander eingespieltes Diebespaar abgeben, das sich an Taschen und Börsen vergreift.
 
Ausgangspunkt ist die – nicht leicht verständliche – Tatsache, daß Jade die von Esther gestohlene Tasche zurück bringt, Warum, wird eigentlich nicht klar, denn es ist ja keinesfalls zu erwarten, daß Esther sich der jungen Frau annimmt und ihr sogar einen Job als Näherin in der Dior-Schneiderei verschafft, wo gewissenhaft und diszipliniert mit vielen kleinen Stichen gearbeitet werden muß. Luxuskleider, genäht von Unterschicht-Frauen – das Ergebnis zählt nur durch die liebevolle Arbeit, die darein investiert wurde.
Warum Esther Jade den Job gibt? Die junge Frau scheint sie zu faszinieren, sie entwickelt Gefühle aller Art, sie mögen auch gleichgeschlechtlicher Art sein… Oder sucht die eine die Tochter, die andere die Mutter, weil diese Beziehungen für beide in der Realität schief gelaufen sind?
Es geht auch um Esthers Verfallenheit an ihren Beruf (sie wird später zugeben, daß sie ihm ihre private Beziehung zu ihrer Tochter geopfert hat), es geht um den Glauben an sauberes Handwerk, an die Schönheit dessen, was man produziert. Um die Überzeugung, die Arbeit zu lieben – nicht als Broterwerb, sondern Beruf als Berufung.
All das möchte die ältere Frau, die ihrer Pensionierung entgegen geht, noch weitergeben. Aber Jade – die zuhause schreckliche Szenen mit ihrer eigenen depressiven Mutter -Mumu (Clotilde Courau)hat – läßt sich nicht so leicht domestizieren und zu einer braven, bürgerlichen Arbeiterin machen. Es gibt ein Gefühlschaos, und natürlich geht es auch darum, daß die Kluft zwischen der Unterschicht und der Oberschicht allein mit gutem Willen nicht zu überbrücken ist, wobei die Vorurteile auf beiden Seiten gleich stark sind. Und Jade enttäuscht auch (etwa, als sie Parfum stiehlt) das in sie gesetzte Vertrauen… Und doch gibt es Beispiele wie den junge Mann Abdel (Adam Bessa), der nicht Anstoß erregen will, sich Abel nennt, und der entschlossen um den (an sich nicht unmöglichen) Aufstieg kämpft… Mit noch einigen Randfiguren ist die Schneiderei auch eine Art von Kampfplatz.
 
Wie neulich auch in dem Film „In den besten Händen“ ist es auch hier eine Regisseurin, die den männlichen weichgespülten Filmen eines doch verlogenen Wohlfühlkinos ein Stück Realität gegenüber stellt. Wer sich nicht glanzvolle Glitzerwelt erwartet, wird mit einem Stück (dramaturgisch gelegentlich wackliger) Realität bedient, die zwar immer wieder an Sentimentalität und sozialen Kitsch anstreift, aber doch eine Art authentisches Stück Leben zu bieten scheint.
 
 
Renate Wagner